Frühling 2024, Teil 1

2. April 2024

Nach 15 Ewigkeiten, Möglichkeiten abwägen, Motor anstarten, lauschen und weinen habe ich mich dazu entschlossen, Carissima von einem Autotransport nach München bringen zu lassen. Im Nachhinein betrachtet war dies die einzig richtige Entscheidung, lässt mich der Motorspezialist wissen. Die Entscheidung für https://car-transport.at ist rasch getroffen. Da sind zwei Männer am Werk, die sich auskennen, anpacken können und vor allem: Eine große Liebe zu alten Fahrzeugen haben. Hier bin ich gut aufgehoben! Carissima wird also um halb neun Uhr früh auf den Autotransporter gefahren und zweieinhalb Stunden später sind wir in München. Eine sehr angenehme Fahrt.

25. April 2024

Unglaublich. On time, wow, alles nach Plan, ich darf Carissima abholen! Das erste Mal in meinem Leben fahre ich einen Tesla, danke Chris für die Fahrt nach München und diese Gelegenheit, und am frühen Nachmittag sind wir auch schon wieder daheim. Nun habe ich eine Woche Zeit, um die ersten 1.000 Kilometer raufzufahren. Herr Seidl ist entsetzt, er hatte viel später mit uns gerechnet und hat nun Schwierigkeiten, den 1.000 Kilometer Check unterzubringen. Ich fahre dennoch… das Wochenende verbringe ich im Auto. Am Samstag nach Irdning, in mein geliebtes Kloster, am Sonntag nach Eggenfelden, zu meinen alten Fallschirmkollegen. Ich habe wohl noch nie an einem einzigen Wochenende so viel gelacht, so viel geträumt und so viel geweint. Es war einfach gut. Am Sonntagabend sind wir um viele Erfahrungen und um 715 Kilometer reicher und ich erstatte Herrn Seidl Bericht. Ein leichter Ölverlust ist das einzig Negative, dass mir an dem super rund laufenden Motor auffällt. Herr Seidl ist not amused, ich bekomme einen Termin für den 1.000 Kilometer Check am 10. Mai. Alles klar.

Carissima findet das alles noch ungewohnt und ich merke, dass sie mir ein klein wenig misstraut. Immerhin habe ich sie ohne Vorwarnung einfach zerlegen lassen. Aber wenn ich mir die Bilder vom restaurierten Motor ansehe, weiß ich, dass es richtig war.

7. Mai 2024

Heute reisen wir nach Trins. Die erste Reiseetappe 😉

Kilometerstand 83.912

Ja, natürlich, am Freitag geht es nochmal nach München. Erst, wenn uns Peter Seidl das motorische Ok gibt, kann es weitergehen. Aber immerhin sind wir hier. Es regnet in Strömen und im Ofen knistert das Feuer. Ein guter Start. Die kommenden Tage bringe ich wieder Mal mein Leben in Ordnung. Nach dem Verlust einer Beziehung, dem Großteil meiner Kunden sowie meinem Vertrauen in die Welt habe ich seit Herbst dahingerödelt. Überlebensmodus. Tun, was notwendig ist, nicht mehr, nicht weniger. Jetzt habe ich fertig gebrütet und Neues steht an – und all das Neue wird diese Reise etablieren. Ich bin gespannt.

Der Blues, der seit Herbst mein ständiger Begleiter ist und bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr von meiner Seite gewichen ist, fläzt auf er Couch und bohrt in der Nase. „Ich kriege heute Abend Besuch“, sage ich. Er rülpst. „Du musst aus der Wohnung, während ich Besuch habe“, sage ich. Der Blues setzt sich auf, kratzt sich seinen Dreitagebart, der ist neu, und hält danach die Hand auf. Ich drücke ihm 20 Euro in die Hand. „Unten im Dorf gibt es eine Bar. Bring sie alle zum Weinen“, sage ich. Er grinst. „DARAUF kannst Du Dich verlassen“, sagt er. Nun muss ich auch grinsen. Unten im Dorf ist das Café Max und man hat mich dort schon mal rausgeworfen, weil ich Wanda in ihrem Rucksack mit hatte und das „Hunde nicht erwünscht“ Schild an der Tür nicht gesehen hatte. Menschen wie diesen wünsche ich einen Abend mit dem Blues. Viel Spaß, Ihr da unten.

10. Mai

Ich surfe auf einer Welle des Weltvertrauens nach München. Mein Mittwochabend war grandios, unglaublich und hochphilosophisch, genau so mag ich Abende. Zu viel Wein, egal, viel gelacht, zu Abba getanzt und besprochen, warum Italien gerade den Bach runtergeht. Vieles davon wusste ich nicht. Was ich aber weiß ist, dass es nun wieder bergauf gehen wird und zwar in jeder Hinsicht. Das bestätigt sich auch in München. Der Ölverlust macht den Motorspezialisten zwar unglaublich traurig, aber es ist eine Garantiesache. Ich kann jetzt fahren, soll im August nochmal kommen. Dann sind das voraussichtlich nochmal zwei Tage Arbeit, die ich zum Glück nicht bezahlen muss. Würde auch grad richtig eng werden. Noch ist „das Neue“ ja nicht auf der Welt angekommen. Ich fahre zurück, glücklich, und der Rest des Wochenendes vergeht wie auf einem Zauberteppich. Besuch von lieben Freundinnen, gemeinsam Grillen, und dann, Freitagnacht, die Polarlichter. Ich kann es nicht glauben, mit wieviel Liebe, Hoffnung, Freude und Staunen ich in einer einzigen Woche versorgt werde. Danke Universum. Du meinst es wirklich gut mit mir.

15. Mai

Der Blues fläzt auf dem Sofa. Ich habe Feuer gemacht, es ist kalt geworden. Dünn ist er geworden, der Abend im Cafe Max hat ihn offenbar geschafft. Er hatte nicht damit gerechnet, dass ein ganzes Wirtshaus voller betrunkener Tiroler schwer in die Knie zu bringen ist. Er war über vier Tage weg! Ich gedenke nicht, ihn nun aufzupäppeln, aber ganz so ungut ist es auch nicht, wenn er, dünn und sprachlos, einfach auf der Couch rumhängt. Ich erzähle ihm alles, von meinem Wochenende, meinen Gedanken, meinen Plänen, und er muss hilflos zuhören. Rollt ein wenig die Augen und das war’s auch schon. Ich lache.

Gestern hat mir der Freund meiner Nachbarin geholfen, die Dämpfer der Heckklappe zu tauschen, die waren nämlich plötzlich komplett im Eimer. Ein Wunder, dass die Sendung mit den Ersatzdämpfern überhaupt noch on time angekommen ist. Ein weiteres Wunder. Ich fühle mich gesegnet. Morgen geht es los.

16. Mai

Es geht los!!!

Nach einem sensationellen Regenabend in Trins nutze ich den frühen Morgen, um all die Dinge, die noch nicht im Auto sind, einfach reinzuwerfen. Regenpause abwarten, runterlaufen, Tür auf, Zeug rein, Tür zu. Regenpause abwarten. Ich finde Wetterlagen wie diese genau richtig, um zu verreisen. Es kann – zumindest was das Wetter angeht – nur noch besser werden.

Der Blues fläzt auf dem Bett und schnarcht, Wanda liegt in ihrem Reisekorb und schnarcht. Wer neu hier ist und den Blues nicht kennt: Er ist eine fiktionale Figur, die persönliche Zweifel sowie die Verzweiflung der Welt an sich in einer Person vereint. Schwer zu beschreiben und in meinem Roman „Vom Reisen mit dem Blues“ auf 450 Seiten zusammengefasst. Das Buch gibt es nicht auf Amazon, sondern nur bei mir. Just in case.

Ich fahre kurz vor Bozen von der Autobahn ab, weil es Stau gibt und den mag Carissima immer noch nicht, trotz Motor neu. Während die beiden Schnarchnasen die Luft vibrieren lassen, unterhalten wir uns über Gott und die Welt. Darüber, wie ein halbes Jahr, genau genommen seit November, so unglaublich schief laufen kann und dann PLÖTZLICH alles gut ist. Die Polarlichter, der Regenbogen, das Leben an sich. Carissima zeigt keinen deutlichen Leistungsgewinn, viele Menschen haben mir gesagt, dass das möglich wäre, doch im Lauf der Fahrt stelle ich fest, dass sie viel weniger Sprit braucht. VIEL weniger. Und das freut mich wesentlich mehr als ein Leistungsgewinn, denn was hätte ich denn davon, wenn wir jetzt mit 130 Sachen durch die Landschaft brettern? Tatsache ist, dass sie nach knapp 500 Kilometern immer noch einen viertelvollen Tank hat, wohingegen der Tank sonst nach 400 Kilometern leer war. Genaue statistische Berechnungen erspare man mir heute bitte, denn aufgrund der schweren Regenfälle unterwegs, mit 70 km/h auf der Autobahn, fast keine Sicht, konnten wir nichts mehr einkaufen. Das Abendessen bestand also aus einer Dose Erdüsse und einer Flasche steirischem Rosè.

Der süße Campingplatz oberhalb von Genua, den ich im vergangenen Jahr entdeckt habe, ist heute unser Ziel. Kurz hatte ich ja überlegt, am Gardasee Halt zu machen, aber bei dem Regen ergibt das einfach keinen Sinn. Wir rumpeln also weiter, direzzione Genua. Irgendwann lege ich ein Hörbuch ein, die Fahrt zieht sich. Nach gut sieben Stunden sind wir fast da, ich tanke zur Sicherheit noch 20 Euro rein, kann mit der Selbstbedienungstankstelle nicht umgehen und muss einen Mann um Hilfe bitten. Der kümmert sich rührend darum, dass der Tankautomat uns auch wirklich Sprit gibt und verabschiedet sich mit „Salve“. Ich muss an die vermaledeite Lateinmatura denken, Himmel, 38 Jahre ist das jetzt her und ich noch immer traumatisiert.

Am Campingplatz herrscht Chaos. Die Einfahrt ist gesperrt, der Besitzer kommt mit lehmverkrusteten Stiefeln auf mich zu und meint, dass er hier ein größeres Problem habe. „Can I solve your problem“, sage ich und er lacht. Er erklärt mir, dass die starken Regenfälle den Boden so aufgeweicht haben, dass die Camper einsinken und er nicht weiß, wo es noch sicher ist zu stehen. Ich meine, ich würde auch einfach vor dem Klohäuschen stehen bleiben, mitten am Weg, Hauptsache ich muss nicht mehr weiterfahren. Der Mann ist sichtlich amüsiert. Gemeinsam finden wir einen Platz, der vielleicht mein Auto morgen früh wieder freigibt. Wenn nicht, so meint er, würde er mich mit seinem Bagger rausziehen. Das mache er dauernd, sagt er. Na, ich bin mal gespannt. Jetzt erst mal noch mehr Regen. Mal sehen, ob das morgen ohne Bagger klappt 😉

17. Mai

Auf jeder Reise kommt der Punkt, an dem einem alles scheißegal ist, im besten Sinne. Auf dieser Reise kommt der Punkt sehr, sehr schnell. Ich bin gerade mal den zweiten Tag unterwegs. Um sieben Uhr früh war ich auf und fit und habe mit meinem Aufbruch einfach nur wegen meiner netten Nachbarn bis nach acht gewartet. Der Boden des Platzes ist immer noch schlammig und als ich die kleine Anhöhe zur Straße hinauffahre, gehen die Räder durch. Es gibt Momente im Leben, da sollte man einfach runter vom Gas. Es gibt aber auch solche, da bleibt man besser drauf. Ich bleibe. Der Schlamm spritzt nach hinten weg und ich hoffe inständig, dass er nicht den Frühstückstisch der Nachbarn getroffen hat. Mit einem Ächzen findet Carissima festen Boden unter den Rädern und wir sind weg. Und auf einmal ist alles scheißegal. Tag zwei und alles wurscht. Also. Ehrlicherweise muss ich sagen, ist es ja Tag 11. Weil ich Trins immer dazu zähle. Aber ob 2 oder 11. Es ist wurscht. Scheißegal.

Ich sollte nicht auf der Autobahn fahren, weil mein Budget gering ist. Ich sollte zum Frühstück Leinsamensaft und Hafergatsch essen. Ich hätte gestern noch für einen Kunden arbeiten sollen. Seit zwei Jahren mache ich das ohne Sonntag, ohne Feiertag und ohne Urlaub. Ich müsste, ich sollte, ich hätte sollen. Der Nebel steigt von den Hängen hoch, dahinter blauber Himmel und mir ist auf einmal alles scheißegal. Der Blues liegt mit verquollenen Augen auf dem Bett und stöhnt „So ist’s recht“. Wenn scheißegal kommt, verlässt mich der Blues meistens. Heute könnte das dauern, weil er verkatert ist. Er hat gestern meinen Biervorrat vernichtet, wieder einmal, und war danach noch unten im Dorf. Wie lange er fort war, weiß ich nicht, jetzt ist er da.

Ich nehme die sündhaftteuere Autobahn, die von Genua weg die Küste entlag führt. Bis Monte Carlo fahren wir hier. Hohe Brücken, dunkel Tunnels und links von mir das türkisblaue Meer. Lkw Fahrer, die mich mit der Lichthupe bedrängen, „geht nicht schneller“ würde ich gern in acht Sprachen auf die Heckscheibe schreiben. Aber dann ist das schöne Wings of Change Logo beim Teufel und das mag ich auch nicht. Wir bleiben oft stehen. Heute ist alles scheißegal. Tanken. Wandas Pipipause. Wandas Mittagessen. Tee trinken. Den schönten Autobahnrastplatz der Welt besuchen. Das Meer wird immer türkiser, die Felsen immer oranger, mein Herz lacht.

Bei Monte Carlo runter von der Autobahn, ab hier muss ich voll dabei sein, mitten im verrückten Leben hier an der Küste. Fast rammt mich ein Klein Lkw, ich schaffe es gerade noch, eine dritte Spur auf der engen Küstenstraße zu erfinden, alles geklappt, so fährt man eben hier. Dann Nizza. Vor eineinhalb Jahren sind Tobias und ich die Strecke an der Küste nach Saint Colle sur Loup mit dem Fahrrad gefahren. Und zwar mehrmals. Jetzt quäle ich mich mit dem Auto durch den beginnenden Pfingstverkehr, ein jeder will ans Meer, wie es scheint. Ich beschließe, bis mindestens Dienstag auf dem kleinen Campingplatz in den Bergen zu bleiben, dann müssen alle anderen wieder heim und ich fahre weiter Richtung Süden. Guter Plan, finde ich. An der Straßenkreuzung Richtung Antibes lasse ich den Blues aussteigen. Er hat seinen Seesack mit, sieht immer noch mitgenommen aus, ist aber guter Dinge. Wo Menschen über ein verlängertes Wochenende auf Urlaub fahren, kann der Blues sich gut andocken. Das seelische Ungleichgewicht lauert da nämlich an jeder Hausecke. Ich winke ihm noch aus dem Fenster zu und mache mich auf die letzten Kilometer Richtung Berge.

Ab da läuft alles wie geschmiert. Ich finden den Platz, es ist was frei und ich bekomme den exakt gleichen Stellplatz, den Tobias damals akribisch genau ausgesucht hat. Es ist perfekt. Für morgen noch Baguette bestellt und dann hinein inst Wochenende. Viel Arbeit vor mir, das ist sehr, sehr gut. Und die Sorgen vom Vormittag, die verziehen sich. Im Lauf des Abends bekomme ich eine Mail der Volkshochschule, die möchten meine Schreibkurse, ein kleiner Kunde meldet sich mit einem Proof Reading Auftrag und ein neues, großes Projekt steht im Raum. Danke Universum. Vielleicht wird das nun eine Übung im Vertrauen.

18. Mai, Tag 12

Im Westen nichts Neues hat mal einer geschrieben.

So sehe ich das heute auch. Die Arbeit geht mäßig voran, ich fühle mich immer noch geschafft, wenn ich an Arbeit denke. ABER. Die Sonne scheint. Da sind Palmen. Der Himmel ist blau. Der Rosmarin beginnt zu blühen. Das Paradies. Wanda ist viel schneller im Reisemodus als ich. Markiert ihr Revier am Campingplatz, lernt einen süßen Chihuahua Rüden kennen und flirtet ordentlich, schläft in der Sonne und genießt. Doch auch, wenn ich länger brauche, um im Flow zu sein: Es ist Tag 2 von scheißegal. Und das ist gut 😉

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