Oktober 2021 – die Sache mit der Zeit

Tag 13 bis Tag 18

Ich bin aus der Zeit gefallen. Hier muss sich ein Zeitportal befinden, anders geht es nicht. Auf all den Reisen habe ich erst zwei dieser Portale entdeckt, einmal in Perros Guirec und einmal in der Desierta de Tabernas. Ein Zeitportal definiert sich für mich so: Du kommst an, denkst Dir, naja, ganz nett hier, nicht zu 100% perfekt, aber was ist das schon. Und auf einmal sind zwei Wochen vorbei und Du möchtest nie mehr weg.

Auf einmal definieren sich Deine Tage über wie lang sind die Schatten der Olivenbäume, wie kalt ist das Meer und welche Schaumkrönchen zeigt es heute und wie schmeckt das Frühstückscroissant heute. Die Franzosen machen besseres, ja klar. Das muss auch so sein. Und trotzdem ist es herrlich, einfach da zu sitzen und Kaffee zu trinken und das zarte Gebäck in den heißen Kaffee zu tauchen. Die Arbeit geht gut voran und die Welt ist auf einmal wieder rund. Das Zeitportal auf der Insel Pag. Mit Tobias, der mich auf dem Weg nach Dubrovnik besucht hat, mache ich jeden Tag einen Ausflug und wir erkunden die Insel durch struppige Macchia und entdecken einsame Buchten.

Heute Abend werde ich ganz woanders sein… und berichten. Ausführlich.

Und so war er, der Tag 18. 2. Oktober 2021. Ich breche auf – nicht weil ich will, sondern weil der Platz hier schließt. Am Tag der Abreise erfahre ich, dass Dennis meint, naja, wer noch bleiben will, kann bleiben… aber da habe ich schon alles eingepackt und irgendwie mag ich ja auch weiter, aber irgendwie doch nicht. Ich werde von einer tiefgründigen Sentimentalität erfasst, Bilder meiner Kindheit tauchen auf, Bilder aus meiner Jugend, erste Lieben, Scheitern, wieder Aufstehen, der Duft des Sommers, die Macchia im Herbst. Auf der Fahrt von Novalja bis zur Brücke, die die Insel mit dem Festland verbindet, bleibe ich sage und schreibe fünf Mal stehen, um Fotos zu machen, Olivenöl zu kaufen, Fotos zu machen, Wein zu kaufen und Wanda zu füttern. So läuft das nie, wenn ich eine mini Tagesetappe von knapp 80 Kilometern vor mir habe. Es ist unglaublich. Ich kann mich von dieser Insel nicht trennen. Mir ist zum Heulen und ich höre Stefanie Werger, weil ich meine Maffay CD nicht mehr finde. Beides nicht unbedingt stimmungsaufhellend, das gebe ich zu.

Passt auf Eure Insel auf. Baut nicht mehr zu viel. Lasst den Schildkröten und Fledermäusen noch ein Stück Macchia übrig. Sorgt dafür, dass die Partyarschlöcher in den Städten bleiben. Passt auf Eure Insel auf. Mit diesen Gedanken fahre ich über die Brücke und irgendwo da vorne ist Zadar. Ich denke an vergangene Tage, als ich hier mit dem Motorboot Urlaub machte, ganz klassisch Urlaub. Ich will nicht mehr mit dem Motorboot hier sein und das Meer aufwühlen. Und will auch nicht mehr klassisch Urlaub machen. Mein Ziel heute ist südlich von Zadar, einfach, weil ich die Strecke bis Sibenik zu weit finde bei der Hitze.

Park4night hat mir einen netten Campingplatz vorgeschlagen und zu diesem versuche ich nun zu fahren. Versuche, weil hier an disem Küstenabschnitt alles sehr, sehr eng ist. Man fährt von der Hauptstraße ab, befindet sich in einem Wohngebiet und hier reiht sich ein „Car Park“ an den anderen. Bei diesen Car Parks handelt es sich um schmale Privatgrundstücke zum Meer hin, darauf steht ein Privathaus, in das man eine kleine Rezeption integriert hat und zwei Toiletten, davor zehn Stellplätze und schon ist der Campingplatz fertig. Grundsätzlich finde ich das sehr weise. So kann jeder, der auch nur einen Streifen Land am Meer besitzt, an dem touristischen Wahnsinn der kroatischen Adria teilhaben, das ist fair. Wesentlich fairer als wenn irgendein ausländischer Investor alles aufkauft und hier eine Fünfstern Hotelanlage errichtet. However. Bevor ich noch den vorgeschlagenen Camp erreiche, hält eine rsche Dame in einem Pkw vor mir und erklärt mir, dass sie einen super Camp Ground hat, mit Platz am Meer, ich soll ihr einfach nachfahren. Geschäftstüchtig! Ich fahre ihr hinterher, doch dann kommt das Schild des mir vorgeschlagenen Camps und ich biege dort ein. Die Rezeption ist erst um 15 Uhr besetzt, doch ein Camper eilt sofort zu Hilfe und meint, man könne sich einen Platz suchen. Das mache ich auch, packe dort meine Sachen aus, mache alles gemütlich, sieht gut aus.

Vorbereitungsarbeiten dieser Art dauern meist eine halbe Stunde und ich finde, dass das nun perfekt ist, noch ein wenig zu arbeiten, ich bin hinterher. Kaum habe ich mich an den Schreibtisch gesetzt, sehe ich, wie eine feste, große Frau im Stechschritt auf mich zustampft. Sie erinnert mich an „Petit“. „Petit“ war eine Frau, die ich Anfang der 1990er in Frankreich kennen gelernt habe. Sie sah aus wie eine russische Ringerin, ging auch so und jeder hatte Respekt vor ihr. Ihr Papa nannte sie „petit“, meine Kleine, doch wir anderen aus der Weinlesetruppe in Chateau-neuf-du-pape nannten sie „der Panzer“. Diesen Begriff hatte Robert ins Leben gerufen, der seit Jahren auf der Straße lebte und viel Erfahrung hatte, nicht nur mit Frauen.

Nun, der Panzer stampft auf mich zu und plärrt mir in lautem, aggressiven Tonfall entgegen „Ich habe Kamera im Auto!!!“

Ich zögere. Was will die Frau von mir? Ich überlege, ihr zu gratulieren. Es ist schön, eine Kamera zu besitzen. Ich bin immer noch im Abschiedstaumel von Pag, weich und verletzlich, begreife nicht, was die Frau von mir will, doch mein Intellekt brüllt, dass es nicht Lob für eine neu erstandene On board Kamera ist. Also warte ich ab. Eine Hasstirade wird vom Stapel gelassen, dass sie dokumentiert habe, dass Wanda vor ihre Camper gekackt habe, dass es immer dasselbe sei mit den kleinen Hunden und dass sie das beweisen könne. Ich merke, wie in mir ganz langsam ein Schalter kippt. Der Schalter, der bisher verhindert hat, dass ich unfreundlich werde. Als der Schalter eingerastet ist, beginne ich zu schreien. Während ich schreie und die Frau beflegle, wundert sich mein Intellekt, warum ich das auf Hochdeutsch mache. Ein sattes „Du Brunzkochi“ oder „Du depperte Funsn“ wäre schlagkräftiger, doch ich begnüge mich mit „Du olle Kuh“. Komisch irgendwie. Die Dame meint, ich solle mich entspannen. Ich schlage ihr dasselbe vor. Sie meint, sie sei tiefenentspannt und ich kriege einen hysterischen Lachkrampf. Daraufhin stampft sie davon, nicht, ohne mir noch hinterherzubellen, dass ich wohl die Impfung nicht vertragen hätte. Leider bin ich nicht spontan genug, zu antworten, dass ich angstfrei sei und die Impfung für Weicheier, das hätte ihr wohl den Rest gegeben. Nicht meine Meinung, aber ein Argument gegen Schlussfolgerungen dieser Art. Die Energie hier stimmt nicht. Ich packe alles wieder ein und fahre drei Pätze weiter, zu der Frau mit dem Kleinwagen.

Die hat offenbar war mitbekommen, denn sie begrüßt mich mit „Das ist ein Ort des Friedens, herzlich willkommen! Hier alles: NEMA PROBLEMA!“ Oh Gott, ich muss Aufkleber mit diesem Spruch drucken lassen. Der Abend vergeht mit einem langen Spaziergang in der örtlichen Marina und der Erkenntnis, dass ich hier nicht hergehöre. Ich muss morgen weiter. Weg von touristischen Pfaden.

3. Oktober, Tag 19

An sich wollte ich an der Küste bleiben, aber der gestrige Tag hat mich unrund gemacht. Ich will einfach nur noch weg. Ich wollte nach Sibenik und nun bin ich auf dem Weg in Richtung Krka Wasserfälle, hinein in die Berge hinter der Küste, ins Hinterland, wo nichts mehr ist als kleine Dörfchen und unendliche Hügel und Felder, die keinem zu gehören scheinen.

Bevor ich losgefahren bin, hörte ich noch, wie ein Campingnachbar zum anderen sagt, dass in einer Stadt in Slowenien die Pest ausgebrochen sei. Ich muss an einen Film denken, in dem im Radio von einer „Autobombe“ die Rede ist und der Protagonist versteht „Atombombe“ und kriegt voll die Panik. Ich muss mich verhört haben, ganz sicher. Dennoch bin ich verwirrt. Dann borge ich einer Camperin meine Starterkabel, denn sie hat ihren Mini zum Camper umfunktioniert und das moderne Auto möchte einfach jedes Mal, wenn man die Zündung einschaltet, das Licht mit einschalten und allerlei elektronischen Kram erledigen. Das hat die Batterie binnen weniger Tage schlicht gekillt. Was bin froh, dass Du nicht so bist, sage ich zu Carissima. Die war seit Tagen seltsam still. Sie liest in einer Dissertation über den Jugoslawienkrieg und möchte verstehen, wie so etwas Ende des 20. Jahrhunderts in Mitteleuropa möglich war. Ich kann ihr keine Antwort geben, auch nicht aus politikwissenschaftlicher Sicht. So viele Faktoren waren damals unberücksichtigt, niemand wusste genau, was geschah. Und vor allem, was man tun sollte.

Nachdem ich meine Starterkabel wieder habe – es hat nichts gebracht, die Batterie ist tot – wird mir klar, dass der bald eintreffende Pannendienst vermutlich die schmale Einfahrt zum Campingplatz blockieren wird und ich packe rasch zusammen. Immer noch verwirrt, verwirrt vom Abschied von Pag, von den Ereignissen des gestrigen Abends, von der Pest, die vermutlich ein Verhörer war, fahre ich los, hinein in die Berge, auf einsame Straßen. Einsam und an manchen Stellen sehr schmal, dennoch fahren die Einheimischen wie verrückt. Wann immer einer hinter mir auftaucht, halte ich in der nächsten Bushaltestelle, um ihn vorbeizulassen. Nach einer schnellen Kurve sitzt eine Schildkröte mitten auf der Straße und ich halte an und trage sie aus der Gefahr. Hoffentlich bleibt sie dann auch auf der Straßenseite, auf die sie wollte!

Am frühen Nachmittag komme ich in Kamp Skradin an, einem Campingplatz oberhalb von Skradin. Das Örtchen boomt, seit die Krka Wasserfälle Nationalpark sind, doch hier oben, nur einen Kilometer oberhalb des Dorfes, ist es still. Der Mann, dem der Campingplatz gehört, spricht perfekt deutsch und englisch, ist mit Salzburgs Bürgermeister befreundet, wie er mir stolz erzählt, und baut sich gerade einen alten Feuerwehrlkw zum Camper um. Die Feuerwehrautosache fasziniert mich wesentlich mehr als die Bürgermeistersache, muss ich zugeben.

Am Platz gibt es einen herrlichen Pool, Wanda darf frei laufen und die Sonne scheit – ich bin zufrieden. Am Abend, als ich gemütlich am Pool in der Sonne sitze, kommt ein Paar aus Deutschland um die Ecke, sie haben meinen Bus gesehen und wollten gleich Hallo sagen. Wir haben uns an der Küste kennengelernt und über Van Life gefachsimpelt. Wir stehen unter Mandelbäumen und unser Host bringt Weißwein aus eigener Produktion zum Kosten. Paradies.

4. Oktober, Tag 20

Ich wache früh auf und um mich ist es geschäftig – alle wollen heute zu den Wasserfällen fahren. Das steckt an. Sie haben ja recht, besser früh starten, wo es noch nicht so heiß ist. Im Gegensatz zu den anderen fahre ich nicht mit dem Auto, sondern gehe zu Fuß ins Dorf. Soll Carissima in Ruhe die Dissertation fertig lesen. Und ich bleibe ja im Gegensatz zu den anderen noch da. In Skradin gibt es eine Touristeninfo, wo ich das Bootsticket bekomme und dann geht es los. Das Hündlein ist not amused, am Schiff ist es windig und wir fahren den Fluss Krka hinauf bis in den Nationalpark.

Wer es NICHT weiß: Hier wurden einige Winnetou Filme gedreht… ja, man möge aus meinen Bildern erkennen, welche Szenen das im Fim waren. Ich bin jedenfalls sehr beeindruckt und froh, Picknick mitgebracht zu haben, denn in all den Bildern in meinem Kopf will ich nun nicht gestört werden. Ich muss mich also nicht mehr unter die Menge mischen und an den Imbissständen einkaufen, sondern genieße Sandwiches und Tee im Schatten alter Bäume.

7. Oktober, Tag 21 bis 23

Scirocco! Der Wind kachelt von in der Früh weg gnadenlos über das Land und meine ersten Versuche, draußen zu arbeiten, scheitern. Kaum glaubt man, jetzt ist es gemütlich warm, kommt ein Windstoß und fegt Nadeln und Staub auf den Schreibtisch, zusätzlich dazu fühlt es sich dann kälter an, als es ist. Ich arbeite also im Auto und das Moskitonetz vor der Beifahrertür schützt vor Staub und Blättern.

Wie vergehen diese Tage? Adriatief beobachten, Wind abwarten und Regen abwarten. In der Nacht ein schlimmes Gewitter, dass die Erde beben lässt. Dann ist das Adriatief da. Es regnet und regnet und regnet, die Temperatur fällt und nun geht es nur noch darum, den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, wenn der Regen kurz aufhört. Das ist am frühen Nachmittag des 6. Oktober der Fall. Ich spaziere ins Dorf und frühstücke dort in einem Café. Das tut gut. Warmes Essen. Aufgrund des starken Windes hier habe ich die vergangenen Tage hauptsächlich Brot und Käse gegessen.

Dazwischen plaudere ich mit dem Campingplatz Betreiber, der gerade zwei alte Feuerwehrautos zu Campern umbaut und sich da richtig was einfallen lässt. Am Platz ist ein reger Wechsel. Das Paar aus den Niederlanden, das über eine Woche hier war, ist gestern abgereist, da war der Platz kurz leer, und als ich von meinem Ausflug zurück kam, füllte er sich schlagartig. Mir gegenüber steht nun eine riesengroßes Wohnmobil (600.000 Euro mindestens, sagt mir der der Campingplatzbetreiber), in dem sogar ein Smart Platz hat. Links und rechts von mir VW Busse neuerer Bauart, dann noch zwei Wohnmobile. Alle sind ein wenig unruhig – wird man morgen zu den Wasserfällenn können? Denn heute, am 7. Oktober, ging gar nichts. Entlang der Küste sind viele Straßen gesperrt, Katastrophenstimmung dort und da, starker Wind und sintflutartige Regenfälle. Ich war gefühlt den ganzen Tag im Auto, mit drei kleinen Gassirunden, sobald es zu regnen aufgehört hat. Die Standheizung an, gute Musik und einfach arbeiten. Mittags hörte es für fast eine Stunde zu regnen auf und ich konnte sogar kochen.

Morgen möchte ich weiterfahren und mich mit Tobias treffen. Wir hoffen auf einen Platz an der Sonne mit gutem Internet, da wir beide arbeiten müssen… mal sehen, WO das dann ist!

8. Oktober, Tag 24

Großes Abschied nehmen. Der Wind kachelt immer noch, doch zwischendrin hört es zu regnen auf und ich kann packen. Ich nehme Abschied von dem Paar aus Bremen, die mit dem riesengroßen Wohnmobil, von der jungen Frau aus Berlin, die allein unterwegs ist, weil ihre Parternin kurzfristig den Urlaub abgesagt hat, von dem Paar, das heute noch unbedingt zu den Wasserfällen möchte. Dann lasse ich mich von der Routentante Richtung Zagdozd leiten, wie immer man das ausspricht. Der Ort in den Bergen soll ein guter Ausgangspunkt zum Besichtigen des roten und blauen Sees sein, einer Natursehenswürdigkeit an der bosnischen Grenze. In dem unaussprechlichen Ort werde ich auch Tobias treffen, der aus Mostar kommt.

Was auch immer die Routentante für mein weiteres Leben vor hat, erst einmal schickt sie mich kreuz und quer durch die Berge. Meine Hoffnung auf eine Tankstelle, bevor der Tank leer ist, schwindet, nachdem ich eine ganze Stunde keinem anderen Fahrzeug begegnet bin und die kleinen Dörfchen an der Straße sehr unbelebt wirken – fast so, als wäre hier einfach nach dem Krieg keiner mehr hergezogen. Hier verliefen auch Gefechtslinien und man sieht immer noch die Zerstörung eines Krieges, der nun schon über 25 Jahre vorbei ist. Carissima liest immer noch an der Dissertation zum Jugoslawienkrieg, die sie begonnen hat, als wir diese Reise gestartet haben. Sie ist froh und freut sich auf die Transe, den Ford Transit von Tobias. Der ist hübsch beleuchtet, meint sie. Und den treffen wir dann auch, mitsamt Tobias und Muffin, Zagvozd, auf einem einsamen Campingplatz, auf dem einsame Radfahrer und Wanderer absteigen.

Der Wind nimmt wieder zu und bevor wir uns hier einigermaßen gemütlich einrichten, fahren wir noch einkaufen. Wanda ist zu kalt, sie versteckt sich in meiner Jacke und will diesen Platz auch nicht mehr verlassen. Ich denke mit Sehnsucht an die Tage auf Pag, Sommer, Sonne, Strand und das Gefühl, zu Hause zu sein. Hier ist es stürmisch, kalt und eine Herausforderung – doch auch so kann das Leben sein.

Den Abend verbringen wir mit Kochen, Geschichten austauschen und dem Versuch, aus den verschiedenen Wettermodellen abzulesen, wie sich das hier entwickelt. Fakt ist dann: Wir sitzen in Tobias‘ Heizdecke gehüllt bei 8 Grad Außentemperatur vor einem nicht vorhandenen Campfire und beschließen, dass hierbleiben einfach doof ist. Der nächste Tag bestätigt uns dann auch: Es regnet und als wir abfahren, hat es satte 11 Grad.

9. Oktober, Tag 25

Also auf nach Imotski, wo der blaue und der rote See sein sollen. Über kleine, gewundene Straßen fahren wir die 14 Kilometer und finden den blauen See auch sofort, allerdings ist da kein See. Eine Informationstafel verrät, dass der See immer wieder Trockenperioden hat und so eine ist grad. Seit 2012. Am Boden den ausgetrockneten Sees haben Menschen mit Steinen Botschaften hinterlassen und die steilen Felswände verraten, dass dieser See richtig tief sein kann, wenn Wasser drin ist.

Beim roten See haben wir mehr Glück, der See sieht nicht groß aus, ist aber an seiner tiefsten Stelle im Moment 55 Meter tief. Den Namen hat der rote See von den umgebenden Felswänden, die sich im Wasser spiegeln – heute natürlich nicht, denn es beginnt wieder zu regnen. Unsere gestrigen Recherche haben ergeben, dass die einzige Stelle an der Adria, an der es im Moment nicht regnet, ein Regenfenster zwischen Sibenik und Zadar ist, das würde also für die Insel Murter sprechen. Nach der Besichtigung der Seen ist zwar noch jede Menge Zeit, doch wir möchten auch noch Split ansehen und Tobias sucht über Park4Night einen Parkplatz heraus. In Split gibt es keinen Campingplatz. Sollte der Parkplatz passen, werden wir dort übernachten.

Ich bin unglaublich froh, dass ich nun einmal nicht selbst navigieren muss. Bei Wind und Regen, Sturm und Wetter, fahre ich einfach hinter der Transe her und denke mir meinen Teil zum Weltgeschehen. Viel bekomme ich ja ohnehin grad nicht mit, ich versuche, Nachrichten zu vermeiden und beim für mich Wesentlichen zu bleiben. Dennoch merke ich, dass ich immer noch nicht ganz auf Normalbetrieb bin, wenn jemand in meiner Gegenwart von Covid, Impfung oder Lockdown anfängt, könnte ich auf der Stelle einen Schreikrampf kriegen. Das ist jetzt zum Glück nicht der Fall, Tobias und ich haben Wichtigeres zu besprechen.

Einmal quer durch Split mit einem Abstecher in die „Mall of Split“ und schon sind wir da, auf einem Parkplatz in Hafennähe, auf dem bereits fünf Camper stehen. Es scheint also sicher und erlaubt zu sein, hier zu übernachten.

Wir haben unglaubliches Glück! Kaum haben wir uns halbwegs eingefunden und die Hunde versorgt, hört der Regen ganz auf und ein wenig kommt sogar die Sonne heraus. Auf nach Split! Die Altstadt übertrifft alle meine Erwartungen, ich hatte eine Hafenstadt wie jede andere auch erwartet. Doch Split ist wirklcih besonders, ich verliebe mich auf Anhieb. Ja, hierher möchte ich noch einmal kommen.

Nach einem abschließenden Bier an der Promenade wandern wir zurück zu unserem Parkplatz und schlafen dort ganz wunderbar. Einzig in der Früh komme ich ein wenig in die Not, weil ich gern ein wunderbar beheiztes Klo hätte… ich renne also, nachdem ich Wanda rausgelassen habe, hinunter in die Marina und finde dort auch eines, in einem wunderbaren Restaurant, das zum Glück schon aufhat und außerdem auch Capuccino serviert. Was will man mehr!

10. Oktober, Tag 26

Es beginnt wieder mal zu regnen und zu stürmen und wir ziehen weiter, Richtung Murter. Da soll es ja anscheinend schön sein und wir haben auch schon einen Campinplatz ausgesucht. Die Frage ist nun, ob wir dort auch gutes Internet haben, da wir beide arbeiten müssen. Die Fahrt ist anstrengend. Wanda dürfte gestern am Strand irgendwas gefressen haben, während der Fahrt kotzt sie zweimal, einmal auf mich und einmal in ihren Korb. Das war meine letzte saubere Hose und Wanda hat nun auch kein Deckchen mehr. Irgendwie wird’s Zeit, dass wir wieder einmal in die Zivilisation zurückkehren.

Was mich verblüfft ist, dass der Blues sich in einem unbeobachteten Moment aus dem Staub gemacht hat und nicht einmal eine Nachricht hinterlassen hat und dass Carissima beharrrlich an ihrer Dissertation weiterliest, ohne mich über den Inhalt zu informieren. Schräge Zeiten! Wir zuckeln die Küstenstraße entlang und es ist immer wieder einfach nur schön, trotz Regen, trotz Wind. So viele Orte lachen mir entgegen, so viele Plätze, die ich mir gern genauer ansehen möchte. Ich schwöre, wiederzukommen. Wir tuckern an Sibenik vorbei, Richtung Zadar. Und da ist auch schon die Insel Murter.

Der Platz, den wir ausgesucht haben, ist an der Westküste und als wir da hinfahren, zeigt sich, dass die Plätze sehr nachsaisonlich sind. Tobias macht sich Sorgen wegen des guten WIFIs, das er braucht, um vernünftig arbeiten zu können. Wir fragen ein Paar mit Kind und Hund, wie das hier auf dem Platz ist und die beiden meinen, sie wären nur zum Wandern hier und würden auf einem wunderbaren Platz gleich gegenüber am Festland sein, an dem es wesentlich windstiller sei und das WIFI einfach hervorragend. Wir zögern nicht lange – ab auf den Olivia Green Camping.

Der Platz entpuppt sich als wahrer Glücksgriff und auch wenn Tobias sich noch den ganzen Abend Sorgen macht, ob das Netz morgen auch passt: Traumhaft.

11. Oktober, Tag 27 bis 15. Oktober, Tag 31

Die Tage, die folgen, vergehen beschaulich. Das Netz passt. Wir haben beide viel zu tun. Ich habe viel liegen lassen in den vergangenen Tagen und bin verblüfft, wie rasch sich das nun aufarbeiten lässt. Wir schaffen eine klare Struktur: Morgens um 8.15 Uhr gehen wir mit den Hunden. Ich schlafe bis 8.02 Uhr, während Tobias zu diesem Zeitpunkt dann schon zwei Stunden wach war und Sport gemacht hat. Dann arbeiten. Irgendwann dazwischen geht jeder mit seinem Hund wäscht die Wäsche und kümmert sich um Alltägliches. Am frühen Abend dann gibt es Essen, ich mache die Hauptspeise, Tobias den Salat. Entweder vorher oder nachher gehen wir an die Bar am Meer. Ich würde mal ganz pauschal sagen, das Leben könnte viiiiiiiiiiiiiiiel schlimmer sein 😉

Unseren letzten gemeinsamen Abend dieser Reise verbringen wir in einer wohl beheizten Pizzeria in Murter, denn, so geständig sind wir: Der Wind der vergangenen Tage war immer wieder anstrengend kalt. Und da sitzen wir nun, mit heißen Backen, essen Pizza und lassen uns von den Wärmelampen so richtig durchglühen. Und während Muffin, der treue Labrador, sein Herrchen anhimmelt, fixiert Wanda die Tür zur Küche. Denn da kommt die Kellnerin heraus, die ihr vorhin ein Stück Käse geschenkt hat…

Komisch ist er dann, dieser Freitag. Wir arbeiten beide völlig normal bis Mittag, dann gehen wir noch einmal eine Runde über den Platz, begutachten den wunderbaren, aber viel zu kalten Pool und dann hüpft Tobias ins Auto und fährt ab. 1.400 Kilometer hat er vor sich bis morgen Abend. Als er weg ist, parke ich um, damit Carissima mehr in der Sonne steht und sich vielleicht dann so erwärmt tagsüber, dass ich in der Nacht ohne Standheizung auskomme. Ich habe nun eine andere Aussicht und es fühlt sich komisch an, dass Tobias weg ist.

16. Oktober, Tag 32

In den Gesprächen mit Tobias ist mir bewusst geworden, wieder einmal, wie wunderbar mein Leben ist. Ja, auch ich habe ein sonderbares Jahr hinter mir, auch mir ging alles ordentlich an die Substanz, auch ich kannte mich nicht mehr aus mit all den Regeln und dem Wahnsinn, doch hier ist das alles sehr weit weg. Und das seit 32 Tagen. Soviele Tage, wie die meisten Menschen gar nicht Urlaub haben, geschweige denn, sich in einem Stück nehmen können. Und Mitte November geht es für mich weiter – wenn der Auftrag in Brandenburg, den ich gerade ausarbeite, steht, werde ich dort eine Woche drehen und danach nach Dortmund fahren. Also wieder zwei Wochen on the road. Und dann im Frühling… Griechenland? Wer weiß.

Heute habe ich mich außerdem als Erntehilfe beim Oliven ernten gemeldet. Leider ist die Truppe, zu der ich mich geselle, aber nicht auszuhalten. Sie sind alle Amateure, leider weiß keiner, was er tut und so liegen schaffen die sechs ausgewachsenen Männer an einem Vormittag knapp zwei Bäume. Das halte ich überhaupt nicht aus und verabschiede mich, gehe zurück an meine Arbeit, die zwar heute genauso langsam von sich geht, aber bitte, immerhin ist Samstag. Während ich schreibe und schwitze, denn es ist endlich wieder warm, beobachte ich den „alte Männer Trupp“ zwei Bäume weiter und beschließe, morgen dort zu helfen, die sehen wesentlich organisierter aus…

19. Oktober, Tag 35

Die Zeit, die Zeit. Ich schreibe diesmal nicht so viel, arbeite aber viel und aus einem mir unerfindlichen Grund purzeln die Aufträge geradezu herein, ohne mein Zutun. Mit leichtem Kummer denke ich daran, dass ich in knapp zwei Wochen schon wieder in München sein muss, ich möchte den dritten Seminarteil nicht versäumen. Teil 2 habe ich eingetauscht, gegen Reisen, Sonne, Meer und einfach sein.

Es wird noch einige Organisationsarbeit brauchen, bis ich all die wunderbaren Aufträge ordentlich in den Herbst integriert habe…. unvorstellbar. Ich bin bis Ende Dezember ausgebucht. Unglaublich.

Seit Tobias weg ist, ist der Blues wieder da. Er schlich am Abend um die Ecke und ich schnappte ihn sofort – selbstverständlich ohne ihm zu sagen, dass er bleiben soll. Nun lümmelt er herum, beäugt mich skeptisch und sagt nichts. Als würde er befürchten, dass wieder positive Gefühle von meiner Seite kommen. Egal. Ich bin froh, dass er da ist, der alte Haudegen. Er sieht dünn aus, aber nachdem er nicht spricht, habe ich keine Ahnung, was mit ihm los ist. Hoffentlich bleibt er über den Winter.

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