Italien, September 2023

Tag 1, 19. September

Am 19. September 2023 steht Carissima vor mir und sieht mich leicht lädiert an. Nicht außen, eher innen. Was los, frage ich. Ich bin erledigt, sagt sie. Ich verstehe das. Vergangenen Herbst mussten wir auf unsere Reise verzichten. Krankenhaus für Carissima, bis April. Danach dann eine lange Reise, von der wir alle drei, Carissima, Wanda und ich, nicht zurückkommen wollten. Es gab genau zwei Gründe, weswegen ich wirklich zurückgekommen bin, und einer davon war der Besuch meiner lieben Freundin Marie aus Australien. Und jetzt, jetzt steht sie da, mit neuen Bremsen, einem neuen Geräusch, ich mit neuen Sorgenfalten, weil die vergangenen drei Wochen einfach furchtbar waren und wir schauen einander an. In der Ferne wird alles immer leichter, seufzt Carissima. Ich weiß, sage ich, doch diesmal bin ich einerseits wirklich absolut erschöpft von den vielen delays, die wir ausgefasst haben, ich wollte seit 3. September unterwegs sein, und anderseits gibt es noch immer einen Grund, und diesmal nur einen einzigen, für den es sich zu bleiben lohnt.

Nebst diesem einen Grund war das Hündlein erkrankt und heute, zwei Tage vor Abfahrt, mussten wir auch noch in die Tierklinik. Sorge um das Hündlein ist schlimmer als alles andere und ich war froh, dass Carissima mit war. Ich habe ja den Auftrag, das Geräusch zu beobachten, also alle ausstehenden Erledigunsfahrten mit ihr.

Unser Glück in all dem Chaos: Der beste Automechaniker der Welt stand und steht uns zur Seite. Ich habe wieder viel gelernt, über Carissima und über mich selbst.

Wir müssen aufbrechen, sage ich, mehr zu mir selbst als zu Carissima. Das Hündlein liegt zusammengerollt auf einer Decke, dem ist es egal. Solange Carissima unser Bett ist und ich mit dabei, würde Wanda überall hinfahren wollen. Es geht also los. Es ist eine Zeit des Pläne im Zweitagestakt neu schmiedens, das Geräusch macht mir Kummer, wie weit werden wir kommen? Wer mutig ist, kommt überall hin, ich weiß.

Warum ich diesen Tag Tag 1 nenne, obwohl wir noch nicht unterwegs sind? Weil ich seit heute im Reisemodus bin. Bisschen loslassen ist angesagt. Wir werden am Donnerstag nach Tirol fahren, Südwesten klingt immer gut. Von dort geht es dann in etwa einer Woche weiter.

Aufbrechen ist nie ganz einfach.

Heimkommen aber auch nicht 😉

So what.

Tag 2, 20. September

Nachdem es mich um 6.00 Uhr aus dem Bett katapultiert hat, steht einem Tag voller Aufbruchsstimmung ja nichts mehr im Wege. Der letzte Tag in Salzburg, ich wieder mal am Checklisten abarbeiten. Hab ich alles eingepackt??? Was würde ich unterwegs vermissen? Carissima seufzt und räkelt sich ein klein wenig. Es dauert noch, bis die Sonne über die Garage kommt und es auch dort wohlig warm wird. Du vergisst doch eh immer was, nuschelt sie. Ja eh, sage ich. Aber ich habe immer das Bedürfnis, EINMAL nichts zu vergessen.

Zwei Wochen delay, sage ich. Naja, sagt Carissima. So nun auch wieder nicht. Den tollen Auftrag am ersten Septemberwochenende, das wusstest Du ja schon länger. Hm, sage ich, ja, stimmt. Wenn das Reisefieber ausbricht, verliere ich ein klein wenig den Bezug zur Realität. Also gut, stimmt, sage ich. Ich wollte am 10. aufbrechen und nun wird das der 21. Also elf Tage delay. Wer weiß, worfür das gut ist, sagt sie. Ja stimmt, sage ich, wer weiß, wofür das gut ist.

Tag 3, 21. September

Na, das fängt ja gut an.

Wir brechen auf. Mit sechs Stunden delay in Bezug auf die Wunschaufbrechung. Aber egal. DAS ist ja wirklich egal. Was aber viel schlimmer ist, oder eigentlich das einzige, das schlimm ist, ist, dass Carissimas Geräusch immer lauter wird. Nahezu unterträglich. Der beste aller Mechaniker ist nicht erreichbar und so sehr ich mich auch bemühe, auf Höhe Innsbruck bin ich dann der Verzweiflung anheim gefallen. Wir schaffen es bis Trins und ich vereinbare einen Termin, Morgen Früh, ÖAMTC Stützpunkt Innsbruck. Ich bin sehr desperat.

Wenn der dritte Tag schon eine Katastrophe ist, dann kanns aber nur noch besser werden, merkt Carissima an. Ich höre ein leises Glucksen. Der Blues sitzt hinter mir auf der Couch, hält sich mit einer Hand gespielt den Mund zu, um nicht laut loszulachen, und schlägt sich mit der anderen Hand auf den Oberschenkel. Du warst aber lang nimmer da, sage ich. Hast Du mich vermisst, prustet er los. Nein, sage ich, aber was ich an Dir schätze ist Deine Verlässlichkeit. Da glaubt man, man ist richtig gut drauf, dann passiert was, eine kleine Reihe an Vorkommnissen, die einen ein klein wenig aus der Bahn werfen, und schon bist DU da. Du bist verlässlicher als alle anderen Männer auf dieser Welt. Ich hab ja auch sonst nix zu tun, sagt der Blues. Bier, frage ich. Ja, sagt er. Fast artig sizt er nun auf der Couch, so, als wollte er mich schonen.

Apropos vergessen, übrigens. Obwohl ich so lange rumgepackt habe, habe ich was vergessen. Diesmal das Ladegrät für die elektrische Zahnbürste. Ohne dem geht natürlich gar nix. Aber nachdem es eine österreichische Politikerin gibt, im im Zuge der steigenden Stromkosten gemeint hat, wir sollten auf elektrische Zahnbürsten verzichten, bin ich guter Dinge. Ein Volk, das solche Politiker hat, darf sich getrost der Blödheit überantworten. Und morgen, falls alles wieder gut ist, kaufe ich mir eine neue. Zahnbürste 😉

Tag 4, 22. September

Unser morgendlicher Besuch am ÖAMTC Stützpunkt Innsbruck fällt unbefriedigend aus. Der Mechaniker zeigt sichtlich Abneigung gegen alte Fahrzeuge und will auch gar nicht mit mir reden. Er meint, dass es das Radlager hinten sei und er mich nicht mehr weiterfahren lassen darf. Er schickt mich zu einer Werkstatt in der Nähe. Eine sonderbare Gegend. Wäre das Neapel, würden Angstgefühle in mir auftauchen, so ist es Innsbruck und ich denke mir, was soll hier schon sein. Eigenartig, wie unser Gehirn in der uns vertrauten Gegend anders tickt. Ich kreise um einen Block, in dem sich acht Autowerkstätten befinden und die letzte davon ist die mir empfohlene. Der Mann, dem die Werkstatt gehört, ist gerade beim Losfahren, er hat auch einen Abschleppdienst und ist offenbar allein. Klar kann er mir helfen, meint er. In vier Wochen. Vorher kein Termin frei. Er empfiehlt mir eine andere Werkstatt, ebenfalls hier im Block. Ich gehe zu Fuß zurück und merke, dass ich langsam aber sicher keine Lust mehr habe, genau das mitzumachen, was man als Frau meistens bei Mechanikern erlebt: Die präpotente Haltung des Allwissenden gegenüber einer Person, die keine Ahnung haben KANN. Und zwar ausschließlich und nur aus dem Grund, weil sie eine Frau ist. Meine Befürchtung ist, dass das bei der nächsten Werkstatt genauso laufen wird und ich wieder keine Chance bekomme, zu erklären, dass ich einfach nur noch zurück will, um den besten aller Mechaniker zu bitten, Carissima noch einmal zu reparieren.

Also gehe ich nicht zu der empfohlenen österreichischen Werkstatt weiter, sondern in eine türkische. Alis Car Repair. Die Familie von Ali, alle arbeiten hier, Ali, sein Bruder, der Sohn, der Neffe – macht innerhalb von zehn Mintuten Platz auf einer Bühne und dann stehen sie zu viert um Carissima und begutachten das Geräusch. Es wird gedreht und gehört und geredet, auf Türkisch, ich kriege natürlich nichts mit, und dann kommt einer, der bisher ganz still war und meint, alles Blödsinn, das sind die Achslager. Und ich soll jetzt ganz gemütlich heimfahren zu meinem Mechaniker und alles gut. Ich kriege sogar noch einen Kaffee, weil man offenbar meinen desperaten Zustand erkannt hat und Kaffee bekanntlich immer hilft.

Ich holpere also zurück nach Trins, packe meine Sachen und fahre zum Mittagessen mit dem fast besten aller Männer, der heute Geburtstag hat. Leider kann ich ihm nicht wirklich Partygefühle vermitteln, ich bin einfach nur noch erschöpft. Mit 70 km/h geht es dann weiter, über Nebenstraßen Richtung Traunstein, wo ich vier Stunden später ankomme. Das Geräusch ist unerträglich und es hört sich an, als würde man im zweiten Gang 100 fahren. Der beste aller Mechaniker ist ein wenig ratlos, denn ein Achslager, wie es der Türke beschrieben hat, das gibt es beim T3 nicht. Wir beschließen, morgen Früh zum T3 Super Hero zu fahren, vielleicht kann der helfen.

Tag 5, 23. September

Beim T3 Super Hero ist es ein wenig wie bei einem sehr guten Arzt. Als wir morgens um halb zehn dort ankommen, wartet schon jemand vor uns und es dauert noch eine Weile, bis Ludwig kommt. Der fährt dann 100 Meter und weiß, was Sache ist. Radlager nochmal tauschen, und diesmal alles. Da können wir dann die Bremsen auch gleich mitmachen, erklärt der beste aller Mechaniker und dass er sich Zeit nehmen wird, obwohl er die eigentlich nicht hat. Ich bin erleichtert, auch wenn es mir sehr unangenehm ist, die Pläne von Menschen durcheinander zu bringen. Aber so ist sie, die Carissima. Prinzessin durch und durch. Wir fahren nach Hause, ich bestelle die Teile und dann heißt es warten.

Tag 10, 28. September

Wir sitzen und warten. Warten ist nicht meine Stärke. Ich arbeite viel und beim täglichen Agni Hotra sehe ich mit Entsetzen schwarz auf weiß, wie die Tage täglich um vier Minuten kürzer werden. In meiner Phantasie spaziere ich mit Sommerkleid durch die abendlich beleuchteten Gassen einer süditalienischen Stadt. Carissima schläft viel, die Schmerzen in den Gelenken sind zwar beim Stehen nicht massiv, aber trotzdem spürbar. Das kenne ich auch von mir. Ich betrachte täglich unser Vision Board, das wir extra für Carissimas Genesung und unsere Reise angefertigt haben.

Tag 12, 30. September

Heute hat der beste aller Mechaniker Zeit für uns und das Warten ein Ende. Um 8.00 Uhr früh stehen wir in der Werkstatt parat, mit der üblichen Grundausstattung, Kaffee und Frühstück, Mittagessen, Hundefutter und natürlich das Hündlein, denn der Tag wird zu lange dauern als dass Wanda allein zu Hause bleiben kann. Ich stelle fest, dass wir vieles nicht sind aber eines ganz sicher: Bestens organisiert.

Das Ergebnis nach Abbau der Hinterräder ist entsetzlich. Die neuen Lager sind kaputt, offenbar hat das extra dafür gewählte Lagerfett seinen Job nicht getan, warum auch immer. Der garantiert zweitbeste aller Mechaniker, der zur Unterstützung herangezogen wird, empfiehlt uns ein anderes Fett und es geht wieder ans Zusammenbauen, alles nochmal von vorn. Diesmal machen wir aber auch gleich die Bremsen mit, das Material habe ich ja vor einiger Zeit schon bestellt. Die Ankerbleche sind ärgerlich schlecht gestanzt, wir fluchen und die Stimmung ist alles andere als grandios. Ganz nebenbei schleicht sich in meine Gedanken die klare Erinnerung, dass wir die Lager an der Vorderachse auch mit dem schlechten Fett eingebaut haben. Aber das lässt sich ja nun ohnehin nicht mehr ändern.

Tag 13, 1. Oktober

Mein Auftrag heute lautet: Probefahren. Wäre dies der einzige Auftrag, wäre es ein entspannter Tag. Mein Problem zurzeit ist aber, dass sich gefühlt tausend Menschen mit mir treffen wollen, auch virtuell, und ich nur noch Termine schiebe, weil ich die versprochene Lagerreparatur bereits dreimal verschoben habe. Mit jedem Tag Werkstatt verschieben sind die Termine auch gerutscht und nun muss ich ja alles irgendwann erledigen. Nebenbei, so offen muss ich mit mir selbst sein, sind aber andere Menschen nicht so korrekt mit Terminen und lassen mich dann warten, ein Zustand, den ich im Moment richtig furchtbar finde. Das sind aber nur Gedanken am Rande. Viel wichtiger: Nach etwa 70 Kilometern beginnen die Bremsen zu quietschen und zu schleifen, dass es eine Freude ist. Das Geräusch taucht während der nachmittäglichen Probefahrt auf und ich könnte auf der Stelle durchdrehen. Fahre also langsam nach Hause, schreibe dem besten aller Mechaniker und bekomme einen Termin für Montag früh.

Tag 14 bis 16, 2. Oktober bis 4. Oktober

Gemütlich ans Ende der Weisheit schippern, so der Buchtitel des heutigen Tages. Morgens um 9 stehe ich in der Werkstatt, wieder. Nach dem Abbau der Bremsen zeigt sich, dass das schlechte Stanzen der Ankerbleche dazu geführt hat, dass sich an manchen Stellen Schleifpunkte ergeben haben. Ein Ankerblech ist an einer Stelle sogar angeschmolzen. Es ist zum Schreien. Mit Schleifen und Flexen bringen wir alle neuen Teile dazu, nun doch zu passen. Und wieder ein halber Tag vergangen. Ich verspreche, wieder probezufahren und der beste aller Mechaniker möchte noch ein ernstes Wort mit mir sprechen.

Dieses ernste Wort beinhaltet auch das Gespräch, das wir mit dem T3 Super Hero geführt haben. Die Motorengeräusche seien nun wirklich auffällig laut, meint der Beste, und er würde nicht mehr fahren. Nicht nach Süditalien, nicht in die Toskana, nicht mal mehr an den Gardasee. Ich bin erschüttert, weil mir die Tragweite des herannahenden Motorschadens, über den wir seit April sprechen, nun erst in voller Tragweite bewusst wird. Ich habe einfach nie wirklich zugehört. Oder besser vielleicht, die Informationen haben den Weg von meinen Ohren zum Gehirn nicht geschafft. Ich werde innerlich sehr unrund.

Den Tag der deutschen Einheit verbringe ich mit ärgerlichen Arbeiten und am 4. Oktober fahre ich wieder. Und diesmal kommt das Geräusch auch bei mir an. Und ich muss nun ehrlich sein: Ja, Carissima war schon mal so laut. Das war vor dem Tausch der Hydrostößel. Diese sind nun 7.000 Kilometer drin. Sie dürfen nicht solche Geräusche machen. Was man hier hört, ist ein Motor, der in immer schneller werdenden Tempo sein Lebensende erreicht. Da stehe ich nun, an der Wallfahrtskirche Maria Plain, und weine bitterlich.

„Das ist doch nicht so schlimm“, versucht Carissima durch den Schwall an Emotionen zu mir durchzudringen. Aber ich habe mir doch alles so schön vorgestellt, die Toskana, Diamante, Assisi im Herbst. „Die Vorstellung ist der größte Feind des Jetzt“, sagt Carissima, „und im übrigen, ich bin ja zum Glück kein Mensch. Meinen Motor rauszunehmen und zu überholen, das ist viel weniger schlimm als eine HerzOP, auch wenn das oft verglichen wird. Nächstes Jahr fahren wir wieder!“ Ja schon, sage ich, aber man kriegt ja keine Teile zurzeit. „Zurzeit nicht. Aber bald“, sagt Carissima. Wie kommst Du darauf, frage ich. „Ich weiß mehr als Du“, sagt sie.

Ich bin nur mäßig getröstet. Aber ich füge mich den Tatsachen. Der Tatsache. Mein Leben ist nun mal Chaos. Immer. Und ich muss auch daran denken, dass Carissima beweglich bleiben muss. Ich kann es nicht riskieren, diesen Motor einfach zu Ende zu fahren, zum bitteren Ende. Denn sollte ich umziehen müssen, und diese Entscheidung schwebt ja ständig im Raum, dann kann ich sie ja nicht einfach an den neuen Wohnort beamen. Ich bereite nun also das Winterquartier für Carissima vor, plane meine Reise neu und gehe heulend zu Bett.

Hier geht es weiter.

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