Mai 2022

  1. Mai 2022

Nach enormen Abreiseschwierigkeiten fahre ich mit dem Gefühl los, von der Welt im Stich gelassen worden zu sein. Das Packen war sehr strange und chaotisch.

Und dann die Außenbedingungen. Das Wetter ist öd. Von der Post bis zum Tischler, vom Motorradmechaniker bis zur Müllabfuhr: In der vergangenen Woche hat mich jeder mindestens einmal versetzt. Und auch, wenn ich an sich zu Hause bleiben sollte, um Ordnung zu schaffen, reicht es mir. Und zwar komplett. Ich fahre am Sonntag los, mit zweieinhalb Tagen Verspätung und meine Seele beruhigt sich erst, als die Europabrücke in Sicht ist. Dahinter, irgendwo, der Brennerpass. Und erfahrungsgemäß ist mir hinter dem Brenner alles rechtschaffen egal.

2. bis 6. Mai 2022

Im Moment geht viel schief. Menschen rufen mich an und fragen, ob Merkur rückläufig ist, nein, ist er nicht. Und trotzdem scheint nichts zu klappen. Mein kleines Paradies hier in den Tiroler Bergen wehrt sich standhaft gegen Ordnung und Struktur, meine versprochene Aufräumunterstützung liegt mit Corona im Bett, der fast beste aller Männer sieht plötzlich nicht mehr ein, warum und vor allem wie er sich mit seinen tischlerischen Fähigkeiten hier einbringen soll und alle Menschen, die vor einem halben Jahr noch gejauchzt haben über diese wunderbare Option scheinen vom Erdboden verschwunden oder nicht willig, sich im versprochenen Ausmaß zu verpflichten. Nun sitze ich also da, mit zwei Wohnnungen, so war das nicht geplant. Ich beschließe, mich nicht unterkriegen zu lassen und dennoch vergeht eine ganze Woche in einer höchst sonderbaren Energie. Trotzdem. Diesen Traumplatz will ich nicht missen.

Unter Umständen liegt meine miese Stimmung aber auch daran, dass ich einen Besuch in Innsbruck wage, das Wetter ist ab Mitte der Woche scheußlich und ich komme in eine extrem sonderliche Ecke dieser ohnehin sonderlichen Stadt. Es hat nur noch 10 Grad und regnet.

Und obwohl ich das Gefühl habe, einfach gar nichts geschafft zu haben – was nicht stimmt, denn ich habe viele wichtige Gespräche geführt und die Terrasse vom Unkraut befreit – fahre ich am Samstag los. Weg aus dieser Kälte. Über eben jenen Brenner, hinter dem alles immer ganz anders erscheint.

7. Mai

Entegen aller Pläne – oder nicht Pläne, aber Hoffnungen – komme ich nur bis an den Gardasee. Drei Stunden bei strömendem Regen schaffen mich so sehr, dass ich einfach nicht mehr weiterkann und als es hier eine Regenpause gibt, bleibe ich einfach stehen. Unter blühenden Bäumen mit zwitschernden Vögeln. Wanda kämpft noch eine Runde mit dem großen Wasser und dann fallen wir beide ins Bett.

8. Mai

Wenn man vom Gardasee an die Cote d’Azur fahren möchte, fährt man einfach immer Richtung Süden, bis man am Meer ansteht, und biegt dann nach rechts ab. Das machen wir in etwa so und obwohl ich die Autobahn nehme, brauchen wir eine gefühlte halbe Ewigkeit, bis wir in Genua sind. Um 14.15 Uhr passieren wir den 45. Breitengrad und meine Stimmung steigt, meine Müdigkeit aber auch. So sehr es uns, aus dem Norden, von jenseits der Alpen, gut tut, den 45. Breitengrad zu überschreiten, so sehr hängen sich die vielen Autobahnkilometer in meine Muskeln. Weder Cafe doppio noch Red Bull können mich fit halten und es hilft einfach nichts, in Finale Ligure ist Schluss. Finale. Ich plumpse auf einen kleinen Campingplatz am Stadtrand, wir gehen noch auf einen Besuch ans Meer und um halb acht liege ich im Bett. Dass es sowas gibt!

9. Mai

Für heute erhoffe ich doch ein klein wenig mehr Durchhaltevermögen. Vor allem sollte ich mal wieder was arbeiten, die vergangenen Tage vergingen mit dem absolut Notwendigsten und das ist zu wenig. Heute haben wir knapp 150 Kilometer vor uns, dann sollten wir irgendwo im Hinterland, einige Kilometer von Nizza entfernt, auf einem Campingplatz ankommen. Tobias hat ihn entdeckt und findet, dass es schön dort ist. Eine ganze Arbeitswoche liegt vor uns beiden, dann endlich ein paar Tage frei. Wir fahren die Aurelia Richtung Westen, die kleine Staatsstraße, die es seit dem Römischen Reich gibt und die durch die Städte Imperia, San Remo und Ventimiglia führt und an der französischen Grenze endet. Dort begeben wir uns dann auf die Autobahn, weil ich heute nicht unbedingt durch Nizza fahren möchte. Es hat bereits am Vormittag 28 Grad!!! Jetzt beginnt der Süden. Mein Herz lacht.

10. Mai bis 12. Mai

Das erste Mal seit 2015 beginne ich eine Reise nicht allein. In den Hügeln vor Nizza, genau genommen bei La Colle sur Loup, treffe ich Tobias, der einen Tag vor mir hier war und ein herrliches Plätzchen gefunden hat. Nachdem wir beide diese Woche noch voll arbeiten, ist es ein Campingplatz mit super Internet und ich liebe es. Nicht nur das Netz, sondern auch die Ruhe, die Bäume, den Swimmingpool und die Tatsache, dass hier einfach nichts ist. Wanda findet das auch super, unsere abendlichen Ausflüge nach Cagnes sur Mer und Nizza eher nicht. Sagen wir mal so. Während Wanda im Rucksack sitzt und schaut, was passiert, fährt Muffin im Hundeanhänger mit und schreit die ganze Zeit. Wir müssen ein herrliches Gespann abgeben!

Am ersten Abend also Cagnes sur Mer, hin und zurück sind das nur 20 Kilometer und es ist herrlich, in der Abendluft zu radeln. Die Hunde spielen noch am Strand, danach kaufen wir ein, was wir brauchen und ich gönne mir im Campingrestaurant noch eine Pizza zum Abschluss und bewundere Tobias für sein Durchhaltevermögen in Richtung Sommerfigur, mir ist’s grad wurscht 😉

Am zweiten Tag dann versuchen wir SEHR früh zu arbeiten zu beginnen, bei mir war es halb acht, und dann früher Schluss zu machen. Wir starten am Nachmittag Richtung Nizza und das sind dann hin und zurück knapp 50 Kilometer. Mit dem Ebike kein Problem, der Verkehr ist allerdings… nunja. Cote d’Azur! Es gibt immer wieder tolle Radwegabschnitte, aber da, wo kein Radweg ist, fühlt man sich doch ein wenig, als würde man um sein Leben kämpfen. Dafür werden wir mit Nizza pur belohnt, ein kühles Bier unter alten Häusern und ein wenig Schlendern in der Fußgängerzone. Und natürlich Strand für die Hunde, denn die haben heute doch einiges mitgemacht mit uns Menschen.

Am nächsten Morgen dann meine Überraschung: Muskelkater pur und körperliche Schmerzen überall dort, wo Knochen sind. Ich werde also heute eine Arbeitstag einlegen und mich GARANTIERT nicht mehr aufs Fahrrad setzen 😉 Für Tobias ist heute der vorletzte Arbeitstag vor seinem Urlaub und er ist auch noch radlfit. Mal sehen, was er erzählen wird, wenn er zurück kommt 😉

13. bis 15. Mai

Dieser Platz hier in den Bergen irgendwo vor Nizza ist einer jener Plätze, auf denen man durchaus einmal die Zeit vergisst. Während Tobias ein zweites Mal nach Nizza radelt, bleibe ich, um zu arbeiten und am nächsten Tag geht es gemeinsam nach Antibes. Zum Glück ist es nicht allzu heiß, die Hunde finden das Radeln aber, so vermute ich, mäßig witzig. Auf dem Weg nach Antibes, entlang der Küste, halten wir irgendwo an einer Strandbar, wo Muffin von einem ebenfalls schokobraunen Labrador namens Ralph verfolgt wird und Wanda sich mit Bellen und Kläffen gegen alles zur Wehr setzt, das in etwa so nahe kommen könnte wie Ralph.

Die alte Festung in Antibes zumindest macht beiden Hunden Spaß, denn hier dürfen sie ohne Leine laufen und einfach ein, während ich uralte Kakteen fotografiere. Die Altstadt ist entzückend und erinnert mich mit ihrer Stadtmauer und dem wunderschön aufbereiteten Innenleben sehr an Lucca. Die Stille in den mittlealterlichen Nebengassen, der Trubel auf den Plätzen, der Verkehrslärm außerhalb der Mauer.

Wir essen Pizza und genießen den Tag, an dessen Ende es wieder einmal über 50 Kilometer am Radltacho waren. Meine Muskeln krachen und ich weiß, dass ich morgen einen Tag frei machen muss.

16. Mai

Es gibt so Orte, da will man nicht weg. Genau so einer ist dieser Platz hier. Obwohl er sich in den vergangenen Tagen gefüllt hat, ist es friedlich und ich kann nicht genau fest machen, was diesen Frieden ausmacht. Die vielen blühenden Bäume und Sträucher, das Vogelgezwitscher, die Zeit, die ich für mich habe, das absolute nicht Vorhandensein von verpflichtenden Terminen und Treffen – außer den wenigen regelmäßigen Zoomcalls. Es tut gut, zwischendrin wieder Leere zu verspüren, Stille in mir. Frank wacht auf. Und ich beginne, wieder zu schreiben. Es ist ein Traum.

So betrachtet fühle ich mich ein wenig wie aus dem Paradies vertrieben, als wir am 16. Mai weiterziehen. Saint Tropez ist das Ziel, da war ich erst einmal, ganz kurz, und ich freue mich schon, es diesmal in Ruhe mit dem Fahrrad zu erkunden. Ich werde wieder einen Campinglatz außerhalb suchen, angepeilt ist einer in Strandnähe. Und obwohl ich sowohl meine Karte studiert habe als auch die Routentante einschalte und das Ziel nur knapp 80 Kilometer entfernt ist, schaffe ich es, mich viermal zu verfahren und brauche für die Strecke über drei Stunden.

Die Routentante führt mich über kleine Nebenstraßen durch Wäldchen und verlassene Dörfer, durch einen Nationalpark und schließlich entlang der Küste. Dort erlebe ich eines der wunderbaren Wetterphänomene, die ich am Meer so liebe. Plötzlich steigt Nebel auf und von den Bergen kommend sieht es aus, als läge ein riesiger Wattebausch auf dem Meer. Zehn Minuten später fahre ich durch dichten Nebel, es ist aber überhaupt nicht kalt. Diese Stimmungen sind unglaublich schön, ich habe das das erste Mal an der schottischen Ostküste erlebt und konnte mich kaum sattsehen. Satterleben.

Als ich in der Mittagshitze am ausgewählten Platz ankomme, bin ich nicht nur entzückt, sondern völlig glücklich: Ein neues Paradies, mit Meerzugang. Das wird bei der Abreise wieder schrecklich sein 😉

Und hier geht es dann weiter… mit Teil 2!

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