In den Süden – Der Reise vierter Teil

All my bags are packed
I’m ready to go
I’m standin‘ here outside your door…

So kiss me and smile for me
Tell me that you’ll wait for me
Hold me like you’ll never let me go
‚Cause I’m leavin‘ on a jet plane (naaaaaaja….)

John Denver „Leaving on a jet plane“

Heute ist eines meiner Assisi-Bilder auf der astronomie.de Seite abgebildet worden! Sehr cool. Und ich packe zusammen, bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad. In Rom soll es 22 Grad haben. Und dorthin soll die Reise gehen. Aber vorher noch Assisi.

Als ich heute am Campingplatz bezahlt habe, konnte sich der Mann an der Rezeption, der eigentlich nicht für die Rezeption zuständig ist, sondern im Restaurant kellnert und ständig herhalten muss, wenn in der Rezeption keiner ist, noch gut an mich erinnern. Fünf Nächte. Was, sage ich, fünf Nächte, echt? Ja, sagt er, am 13. Oktober sei ich angekommen. Ja, sage ich, das glaube ich schon. Ich weiß nur nicht, welcher Tag heute ist. Und es ist auch egal. Hm, sagt er. Eine Person. 7,50 pro Tag. Ein Camper, 6,50 pro Tag. Ja, sage ich. Hm, sagt er. Das ist aber ein kleiner Camper. Ja, sage ich. Klein, aber süß. Machen wir aus dem Camper ein Auto, fragt er, das wären dann nur 4 Euro pro Tag. Gute Idee, sage ich.

Was war nun los in den vier Tagen? Ich habe einen Muskelkater, weil ich viermal in Assisi war und der Fußweg durch die Weinberge doch nicht so kurz ist, wie ich mir immer wieder einzureden versuche. Ich war in der Abendmesse im Dom und hatte einige erfrischende Erkenntnisse danach, während der Messe ebenso. Der Franziskanermönch, der die Messe musikalisch geleitet hat, war einfach eine Show. Er sagte die Lieder an, mit Seitenzahlen im Liederbuch und stimmte sie ein. Wann immer ich eine Seite falsch verstanden habe und somit mit völlig fremdem Text einstimmte, zeigte mir die Dame in der Reihe hinter mir geduldig die richtige Seite. Der Mönch sang voller Inbrunst eine Strophe und bedeutete dann mir Handbewegungen, dass nun die Gemeinde dran sei. Der Mann ist es definitiv gewohnt, dass ihn keiner versteht! Kein Wunder, bei all den Pilgern aus aller Welt hier in Assisi, mehreren Messen pro Tag, Menschen, die kein Wort verstehen so wie ich. Aber doch seltsam berührt sind. Die Messe war einfach wunderbar.

Dann habe ich auch noch ein junges Paar aus Tschechien kennen gelernt, er Programmierer, sie Kunststudentin, und der einzige Satz, der mir spontan einfiel, war natürlich „Mam strach s’visky“, was die beiden sehr befremdlich fanden. Wer lernt schon am Campingplatz Menschen kennen, deren erstes Geständnis in der eigenen Muttersprache ist, dass sie Höhenangst haben… und die sonst einfach GAR NICHTS in dieser Sprache rausbringen, aber vieles verstehen…

Dann habe ich noch ein Paar aus Bayern kennen gelernt, mit Baby, die die Elternzeit nutzen, um zu reisen. Wunderbar. DAS kann Dir keiner nehmen. Dann habe ich auf Weisung des fast besten aller Männer die Rückseite des Solarpanels in ein Whiteboard zur Ideenfindung umgewandelt, habe richtig schönes Papier gekauft und nun sprudeln die Ideen wie verrückt aus mir. Und werden auch fest gehalten. Bald muss ich solarmäßig erweitern, weil kein Platz mehr ist.

Erkenntnisse

1. Es macht keinen Sinn, den lieben Gott zu bitten, dass Dich dieser oder jener Mensch bitte besser behandeln soll. Das kannst Du nur den betreffenden Menschen selbst bitten. Den lieben Gott kannst Du dann bitten, all diesen Krampf besser auszuhalten. Und das hilft immer.
2. Der Weg ist das Ziel.
3. Nicht alle Tschechen trinken gerne Bier.

Auf nach Rom

Nach fünf Tagen voller Erkenntnisse und Ideen geht es also weiter nach Rom. Zuerst Richtung, am Monte Subasio entlang. Während ich noch darüber sinniere, dass Radio Subasio während zweier Olivenernten mein Lieblingssender gewesen ist, fahre ich auch schon am Senderschild vorbei. Ja, eh klar. Wo sonst soll denn der Sender beheimatet sein? Am Monte Subasio kann man übrigens auch fliegen, das sagt mir der ausführlich bewindsackte Landeplatz. Groß, richtig groß, der Platz, das hätte mir gefallen. Allein, der Wind und der Regen in der vergangenen Tagen war wohl eher für Wanderungen geeignet…

Also höre ich Radio Subasio und fahre im gemächlichen Sonntagsverkehr Richtung Rom. Bewaldete Hügel und kein Dorf weit und breit, so breitet sich die Landschaft fern der Autobahn aus. Ab Narni ist dann die Via Flaminia gut ausgeschildert, die Bundesstraße nach Rom. Dei einzigen, die an dieser Strecke Interesse haben zu scheinen, sind die Motorradfahrer, kein Wunder, die Strecke ist einfach zauberhaft. Obwohl ich mich bemühe, schön Platz zu machen, schreckt es mich jedes Mal wieder, wenn einer Vollgas gibt und an mir vorbeizieht. Die französischen Motorradfahrer geben immer ein Fußzeichen, wenn ihnen ein Autofahrer Platz macht, die Italiener zischen in einem Tempo vorbei, dass Du in Gedanken schon festmachst, wo Du Deinen Verbandskasten verstaut hast.

Rom

Endlich Rom, die Stadt der Liebe. Ähhhh… nein, Rom, die Stadt, die niemals schläft. Nein. Rom, die Stadt der Lichter? Oder der Gewitter?

Keine Angst, ich kenne die richtige Antwort 😉 Aber bei meiner Ankunft zeigt sich Rom als die Stadt der Gewitter, keine Frage. Ich habe mich entschieden, von der herkömmlichen Campingplatzatmosphäre wieder einmal einige Zeit Abschied zu nehmen und üb Airbnb ein „Camping Indoor Outdoor“ auf einem Bauernhof gefunden. Speziell! Weil erstens: ein Bauernhof IN Rom. Und zweitens: für die Wintermonate Indoor-Camping in der Scheune. Ich finde das so witzig, dass ich es mir ansehen muss. Elisa, die Tochter des Bauern, will hier alles ein wenig umkrempeln und den Tourismus holen, die Eltern sind skeptisch, machen aber mit. Und so ist die Indoor-Camping-Idee entstanden. Hugo, Elisas Papa, weist mich ein, in Angesicht des heranziehenden Gewitters muss ich dreimal umparken, damit es ihm sicher erscheint, dann bekomme ich einen hübschen Teppich vor die Autotür, damit ich das Auto nicht ansaue, wenn es regnet und schließlich darf ich mir noch aussuchen, ob ich im Auto oder in der Scheune schlafen will.

Scheune ist definitiv der falsche Ausdruck, es ist eher ein Hangar, riesengroß, mit neuem Boden, gemütlicher Sofaecke auf Teppich, Kleiderständern und Tischchen und zwei Zelten, in denen man schlafen kann. Angesichts des Gewitters schlafe ich im Auto, denn das Dach des Hangars ist aus Blech und was diese Fläche an Lärm erzeugen kann, erlebe ich dann in der Nacht. Da lobe ich mir die geringe Quadratmeteranzahl der Carissima und das war schon laut genug. Ich mache die halbe Nacht kein Auge zu, weil das Gewitter so heftig ist, dass ein Blitz den anderen jagt und der Donner die Erde beben lässt. Als ich am nächsten Tag aufstehe, ist es unerwartet mild und sehr schwül, ein bisschen fühle ich mich wie in Bangkok. Dann ruft der fast beste aller Männer an und meint, er sei in Rom. Ich kann es zwar immer noch nicht fassen, dass er es in diesem Tempo geschafft hat, aber hej, so ist das Leben nun einmal. Voller Überraschungen und innen mit Kernen. Wir sind hier ganz für uns, also ohne andere Gäste und können so all das Radlequipment plus Küchenzubehör und Lebensmittel so richtig ausbreiten und ordnen. Am Abend wird gekocht und Wein getrunken und über die lange Reise seit Lucca gesprochen. Und morgen dann, ganz klassisch, sightseeing in Rom. Sprich, mit dem Rad zum Zug, vier Stationen fahren und dann ganz bequem mit dem Rad von einer location zur nächsten. Schöner geht es kaum.

So viel Pracht – ich bin hin und weg. In der Sixtinischen Kapelle ist das Fotografieren verboten, aber ja, ich habe es gesehen, das gesamte riesige Werk von Michelangelo. Mit dem Fingerzeig Gottes. Und ich habe mich vor Lachen vor dem Petersdom auf den Boden geworfen, als ich beobachten durfte, wie ein amerikanischer Tourist zu dem ernst drein schauenden Mann der Schweizer Garde ging, mit seinem Reiseführer, irgendwas mit ihm sprach, dann zurück zu seiner Familie ging und meinte „No, they don’t sell tickets“. Man, you made my day 😉

Ganz zum Schluss unseres Rundganges müssen wir noch in den Petersdom, denn hier bekommt der fast beste aller Männer seinen abschließenden Stempel für den Pilgerpass. Die Via Francigena ist geschafft. Wir werden von einem Mann an einem Schalter in die Sakristei verwiesen. Ich merke an, dass dieser Bereich des Petersdomes für Touristen gesperrt sei. Einfach durchgehen, sagt der Mann. Und so gehen wir vor den Augen vieler Touristen einen langen Gang entlang, steigen über eine Absperrkette und gehen in die Sakristei. Die ist ein wenig anders als Sakristeien in unseren Kirchen. Also, nicht so ein Nebenraum mit einem erbärmlich kleinen Schrank für Messgewänder, sondern ein RIESIGER Raum, in dem in großen Goldbuchstaben an der Wand steht, und jetzt kommt es…

NEIN! Das steht nicht: KEINE PANIK.

Da steht: SILENTIUM.

Auch dort ist wieder ein Schalter, an dem wir eine Weile warten müssen. Dann dürfen wir vortreten, der Pilgerpass wird vorgelegt, abgestempelt und wir bedanken uns. Ob ich keinen habe, meint der Mann am Schalter. Nö, sage ich, ich bin mit dem Auto gefahren. Er schüttelt den Kopf, nein, nein, für Autofahrer gibt es keinen Stempel. Auch nicht für Bullifahrer. Ich sollte nächstes Mal mit dem Fahrrad fahren. Als wir uns schon zum Gehen wenden, ruft er uns noch nach, ob denn der beste aller Männer keine Urkunde wolle? Und er bekommt eine richtige Urkunde, mit Goldsiegel und Unterschrift vom Kardinal. Das erklärt uns Agnese, Elisas Mama, die so angetan von der kardinalischen Unterschrift ist, dass sie ein Foto von der Urkunde machen muss.

Am Abend sind wir zum Essen eingeladen. Ein Freund von Elisa, der auf Mallorca lebt, ist auch zu Besuch und es wird eine bunte Runde, in der italienisch, englisch und deutsch durcheinander gesprochen wird. Ugo ist ein Mensch mit Tempo. Bevor er irgendjemandem die Möglichkeit gibt, zu übersetzen, hat er schon selbst versucht, mit Händen und Füßen darzustellen, was er meint. Es kommt zu herrlichen Missverständnissen und manchmal lassen wir uns einfach treiben, weil dann niemand mehr recht durchschaut, was Ugo vorhat. Beim Abendessen erklärt er, was man einfach alles in Rom gesehen haben soll, einiges verstehe ich, anderes nicht, dazwischen spreche ich mit Elisa und ihrem Freund, übersetze für den fast besten aller Männer oder höre einfach zu. Den Punkt, an dem der Trevi Brunnen ins Spiel kommt, habe ich versäumt, aber plötzlich muss Elisa irgendwo anrufen und dann werden wir alle ins Auto gepackt. Und so kommt es, dass ich mit dicken Socken und Hausschlapfen meine erste und wirklich einzigartige Rom bei Nacht Führung erhalte. Gegen die telefonische Auskunft ist der Trevi Brunnen leider immer noch gesperrt, aber wir lassen es uns nicht nehmen, Münzen hineinzuwerfen. Rom bei Nacht ist herrlich. Wir sind fast allein unterwegs, die großartigen Bauwerke haben wir nur für uns. Ugo erzählt und läuft und zeigt und redet und gegen ein Uhr früh kann einfach keiner mehr. Bei der Heimfahrt fragt er noch vermitteltes Wissen ab, aber niemand ist mehr in der Lage, seine Fragen zu beantworten.

An einem anderen Tag kommt die Rede auf Essen in der Heimat und wir müssen erzählen, was die österreichischen Leibgerichte sind. Ugo ist oft in Südtirol und liebt Krapfen, er will wissen, ob es die auch bei uns gibt. Wir erzählen von Schlutzkrapfen und Faschingskrapfen, Bauernkrapfen und Krapfen mit Kraut, da springt er plötzlich auf und ist weg, um eine halbe Stunde später mit frischen Krapfen von einem befreundeten Bäcker wieder zu kommen, mitten in der Nacht. Der Bäcker arbeitet ja sowieso um diese Zeit, meint er. Und so gibt es frische Krapfen. Und Sachertorte.

Heute zeigt uns Ugo seine Farm und das ist bemerkenswert. Mitten in Rom, irgendwie, riesige Äcker und Felder und Baumbestände. Ugo baut Kicheerbsen, Linsen und Bohnen an. Er hatte auch Bienen, doch leider ist nur noch ein einziges Volk übrig. Mit den Schafen hat er aufgehört, er hat noch ein einziges Paar und die Schäferhunde dazu, eine ganz eigene Rasse, wie Elisa erklärt. Viele Geschichten erfahren wir und nach und nach kristallisiert sich heraus, das hier dringend eine neue Website benötigt wird. Also, Rom im Frühling? Da habe ich nichts dagegen!

Heute ist übrigens der 21.10.2015, das Datum, an dem Marty McFly in „Zurück in die Zukunft“, Teil 2, in der Zukunft gelandet ist. Ich freue mich seit zwei Wochen wie ein Kind auf das event, das, wie ich mittlerweile recherchiert habe, in allen Kinos in ganz Europa gefeiert wird. Leider gab es in ganz Rom keine englischsprachigen Vorstellungen – aber ich merke nach zwei Minuten, dass ich alles verstehe. Ich habe „Zurück in die Zukunft“ so oft gesehen, dass ich es wohl in allen Sprachen verstehen würde. Und zum Eintritt in das Double Feature, Teil 1 und 2, bekommt auch noch jeder Zuseher ein Filmplakat zum Jubiläum. Ich kriege mich gar nicht mehr ein!

Der fast beste aller Männer hat eine klemmende Tür repariert und nun wird er gefragt, ob er denn nicht so einen Raumteiler machen könne… man wisse schon, das sei schweineviel Arbeit, aber ein heißer Tipp, wie man das planen solle, würde auch schon genügen. Bald ist klar, hier muss der Fachmann ans Werk und so wird in den Baumarkt gefahren, um Holz, eine Stichsäge und allerlei Kleinkram zu besorgen. Und ich denke mir, ui, das ging jetzt aber schnell, dass meine Gebete erhört werden. Zwei Tage mehr in Rom MIT dem fast besten aller Männer, und nun ist das einfach so. Mit Mittagessen und Abendessen und zum Abschluss der Arbeiten einer Einladung in das beste Lokal im Viertel. Dort spricht man sogar ein wenig deutsch und wir lachen viel über mein immer wieder verblüfftes Gesicht, auf deutsch angesprochen zu werden. Letzter Abend also, nach zwei Tagen Baustelle und viel Lachen über die alten Geschichten, die alten Baustellen. Vorher aber noch ein Tag in Rom, Zugticket besorgen und ein wenig Sightseeing mit dem Fahrrad, die spanische Treppe, das Colloseum, der Bocca della Verita, die Altstadtgassen, die so überfüllt sind, dass das Fahrradfahren fast mühsamer ist als an der mörderischen Hauptverkehrsstraße den Tiber entlang. Roma Termini, um ein Zugticket a Brennero zu besorgen. Was gar nicht einfach ist. Denn erstens wird man auf diesem Bahnhof von Pontius zu Pilatus geschickt, bevor man am Trenitalia Schalter landet, dann darf man dort eine Zetterl ziehen wie beim Arzt und dann erzählt der Mann am Schalter, beste Verbindung, einmal umsteigen, sechs Stunden Fahrt. Perfekt. Mit Fahrrad? Neinneinnein… das sieht nicht gut aus. Er runzelt die Stirn und sieht so besorgt aus, als gelte es, seine eigenen Kinder mit Fremden an den Südpol zu schicken. Dann nimmt er einen Zettel und schreibt auf. Roma – Firenze. Eine Stunde Aufenthalt. Firenze – Prato. Zwei Stunden Aufenthalt. Prato – Bologna. Ist das nicht die falsche Richtung, bin ich versucht zu fragen. Bologna – Verona. Eine Stunde Aufenthalt. Verona – Brennero. Der Mann überlegt kurz, weil er fast am Ende seines Zettelchens angelangt ist und schreibt an das Ende des Zettels: Capo Nord. Dann lacht er schallend. Dauer der Reise: 14 Stunden. Bis Brennero, nicht bis zum Nordkap. Der fast beste aller Männer überlegt. Ich frage den Mann, was denn sei, wenn man das Fahrrad verpacken würde. Der meint, ja klar, BEIDE Räder weg, dann ist das kein Fahrrad mehr, sondern ein Gepäcksstück. Dann kann man den schnellen Zug nehmen.

Und so radeln der fast beste aller Männer und ich zurück in die Via della Magliana, holen uns unseren letzten Rom-Muskelkater und schrauben dann das Fahrrad auseinander. Ugo bringt Folie zum Verpacken und am Schluss sieht das tapfere Fahrrad aus, wie ein Gepäcksstück mit ein wenig Technik. Es wird noch mit einem knallroten Zerrgurt ausgestattet, als Henkel zum Transportieren, und fertig.

Sperlonga

Wir fahren los. Der fast beste aller Männer wird mitsamt seinem zu einem Plastikkoffer verschnürten Fahrrad von Ugo zum Bahnhof gebracht und ich fahre auf die Autobahn in Richtung Neapel. Also, erst natürlich nicht in Richtung Neapel, weil ich vor lauter Verwirrung zuerst einmal falsch auffahre. Aber nur drei Autobahnabfahrten später realisiere ich bereits, dass Richtung Florenz wohl nur falsch sein kann und drehe um. Schon kurz nach Rom werden die Straßen so schlecht, wie man sie aus der wilden Fantasie über den italienischen Süden kennt. Zumindest die Straße, die ich gewählt habe. Die Geschwindigkeitsbegrenzung von 90 km/h ist völlig überflüssig, weil Schlaglöcher, tief wie Gräben und breit wie kleine Seen, die Straße zieren und einem bei 60 km/h bereits sämtliche Bandscheiben aus der Reihe tanzen. Nach nur 70 Kilometer beschwert sich Carissima über heiße Füße und ich bin hin- und hergerissen zwischen bemerkenswerter Landschaft und übler Straße. Was das solle, meint Carissima, erst eine Woche rumstehen und dann solche Straßen. Das sei doch eine absolute Zumutung, ich hätte mich doch wirklich besser kundig machen können über Straßen und deren Zustände. Ich habe doch auch noch anderes zu tun, meine ich. Ich aber auch, argumentiert Carissima. Außerdem sehe ich aus wie Sau, meint sie, und das sei ja wohl drin, dass man sein Auto einmal in sieben Wochen wasche. Ja klar, meine ich, aber ein Auto, das aussieht wie Sau, das stiehlt man nicht so einfach, weil man den Wert nicht gleich sehen kann. Jaja, meint sie. Drum hast Du auch Deine Wäsche seit zwei Wochen nicht gewaschen? Stimmt ja, was soll ich sagen. Die paar Kleidungsstücke, die ich mithabe, sind allesamt in einem erbärmlichen Zustand.

Als ich nach Sperlonga komme, der kleinen Stadt, von der Elisas Mama so geschwärmt hat, will ich zuerst gar nicht stehen bleiben. Ich bin mürrisch wegen meiner schmutzigen Wäsche und der Tatsache, dass der fast beste aller Männer jetzt im Zug Richtung Brennero sitzt. Ich drehe eine Runde um das Städtchen und fahre weiter, als ich plötzlich im Rückspiegel einen Campingplatz sehe. Und diese Entscheidung ist dann schnell getroffen. Rückwärtsgang und drin waren wir. Man ist hier sehr bemüht. Ich sehe offenbar schon wieder so aus, denn der Mann an der Rezeption spricht langsam und bedacht und in einem italienisch, das sich so ganz anders anhört als das der Römer. Dann fährt mir ein anderer Mann noch zu meinem Platz vor, obwohl der Campingplatz

a) überschaubar winzig ist und
b) nahezu alle Plätze bis auf meinen von Dauercampern belegt sind

Nur 50 Meter von mir entfernt lacht das Meer herauf und ich muss sofort runter laufen. Es ist so warm, dass sogar die Italiener baden gehen! Eine Waschmaschine gibt es auch, die mir sprachlich einiges abverlangt. Erst als die ganze Sache läuft und die Temperatur beständig nach oben klettert, begreife ich, dass ich den 90 Grad Waschgang eingestellt habe. Das wäre sehr unterhaltsam geworden, mit T-Shirts und bunten Socken. Wahrscheinlich hätte die Jeans es als einzige unbeschadet überstanden. Nachdem das Waschmaschinenmodell aber alt und sehr einfach zu bedienen ist (wenn man der Sprache mächtig ist), kann man das Programm während des Waschgangs ändern. Und so ändert sich nach meinem Eingriff die Temperatur wieder nach unten und ich muss nicht den Rest der Reise in Jeans und selbst genähter Toga aus Leintuch verbringen. Am Platz sind hauptsächlich sehr alte Menschen, die freundlich grüßen, kurz auf Carissimas Nummerntafel schauen, dann feststellen, dass eine Konversation vermutlich mühsam bis unmöglich ist und weitergehen.

Sperlonga ist über den Strand in zehn Minuten zu erreichen und ein richtiges Schmuckstück. Obwohl sehr touristisch. Aber die Touristen, die um diese Jahreszeit noch hier sind, verlaufen sich in den engen Gässchen, das jedes für sich zauberhaft ist.

Pompej

Jetzt um diese Zeit vor 1936 Jahren ist der Vesuv ausgebrochen und hat Pompej zerstört. Genaugenommen war es im Herbst 79 nach Christus, überliefert wird immer der 24. August, was jedoch von Forschern als Übersetzungsfehler betrachtet wird. Wahrscheinlich war es Oktober, meint man, da man später bei Ausgrabungen in den Vorratsspeichern und Vorratskammern Pflanzen und Früchte fand, die man im Herbst einwintert.

Bereits einige Tage vor dem Vulkanausbruch gab es Anzeichen für das bevorstehende Unglück. Manch einer packte seine Sachen und verließ die Stadt. Ich frage mich, wie das vor sich ging. Wurde auf den Straßen diskutiert, wurde der Nachbar befragt, hej, was machst Du? Bleibst Du? Gehst Du? Wenn ja, wohin? Wohin ging man, wenn man keine Verwandten außerhalb der Stadt hatte? Was nahm man mit? War jemand unter denen, die gingen, der das Ausmaß der Zerstörung ahnte und all sein Hab und Gut mitnahm? Oder glaubte man, zurück kehren zu können? Wie wurden die, die gingen, aufgenommen? Fanden Sie nach dem Unglück Unterstützung außerhalb von Pompej oder wurden sie als Eindringlinge in anderen Städten empfunden? War man denen, die ein wenig von ihrem Besitz mitgenommen hatten, dafür auch noch neidig?

All diese Fragen kommen in mir hoch, als ich in den Ruinen umhergehe. So wunderbar dieser Ort ist, wenn man ihn aus archäologischer Sicht betrachtet, so sehr drückt die Geschichte auf das Gemüt. Die Halle, in der man aus den Abdrücken der Menschen, die unter Asche und Steinen begraben worden waren, die Körper der Verunglückten rekonstruiert hat, kann ich gar nicht aushalten. Die meisten Menschen Pompejs waren im Alltag einfach erwischt worden. Eben jene, die nicht geglaubt hatten, dass der Ausbruch so massiv sein würde. Es gab Versuche von außen, zu helfen, doch nach der ersten Eruption war so viel Stein auf die Stadt geregnet, dass die meisten Menschen darin eingeschlossen waren. Einer derer, die helfen wollten, war der Schriftsteller Plinius der Ältere, der in Stabia, einer Stadt vor Pompej, in den Aschewolken ums Leben kam. Sein Neffe Plinius der Jüngere, der ebenfalls Zeuge der Geschehnisse war, schrieb seine Erfahrungen auf, was ein gut dokumentiertes Bild der Vorkommnisse des Oktober 79 ergibt.

Einen Tag nach der Besichtigung der Ruinen brauche ich Zeit, mich zu fangen. Sitze vorm Zelt und arbeite, entwickle neue Ideen und schnitze einen Halloween Kürbis in Form eines T3. Danach geht es mir besser.

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