Die geheimen Dörfer, Teil 3

19. Oktober 2017
Das wunderbare an der Tatsache, neben einem Tennisplatz zu campen, ist, dass ab und an ein Tennisball für Wanda abfällt. Sie ist begeistert, dass sich die gelben Wunder einfach so aus dem Gras zu manifestieren scheinen, genauso wie Vögel, Katzen und Schmetterlinge, die gejagt werden können. Was bei den Katzen hier nicht ganz klappt. Wanda will ja immer spielen. Sie fordert die Katzen auf, springt herum, die sitzen am Boden und fixieren sie. Wenn sie dann hinläuft, laufen die Katzen weg und das motiviert natürlich. Bis auf zwei jugendliche Kater, die Wanda angegriffen haben und nun, nachdem sie geschrien hat wie am Spieß, wissen, dass sie sich fürchtet. Die Viecher sind so frech, sie greifen uns sogar an, wenn wir vom Klo zum Auto zurück gehen und Wanda an der Leine ist.

Das zweite wunderbare am Campen neben einem Tennisplatz ist, dass es hier jeden Abend Kindertennis gibt. Der Trainer hat eine sehr angenehme Stimme und trainiert Schulanfänger, die bei uns um diese Zeit schon längst im Bett lägen. Uno, due, Giovanni, avanti! Uno, due, AVANTI. Im Moment brüllt ihn der Giovanni grad an, aber gegen einen Trainer kommt keiner an. Das ist so, andiamo. Uno, due… stundenlang. Der Mann hat echt Nerven. Ich liebe es. Uno, due, Giovanni, bravo!

Heute waren wir endlich mit dem Fahrrad in Locorotondo, das zehn Kilometer weg ist und durch eine sanfte Hügellandschaft zu erreichen ist. Sprich, einige Höhenmeter. Nein, nicht viele. Aber wie schon beschrieben… die Taschen voll, den Rucksack mit Hund am Rücken. Als wir wieder zurück sind, keuche ich wie eine Dampflock. Bei der Hinfahrt – da ging es auch mehr bergab, fand ich – war Wanda ganz still und wenn ich so dahin radle, frage ich mich, was mein Hündlein im Rucksack macht. Am Anfang ist noch viel Bewegung drin, wahrscheinlich richtet sie sich ihre Decke, aber dann? Sitzt sie? Liegt sie? Schläft sie oder schaut sie aus den Fenstern in die Landschaft? Findet sie es bequemer, wenn ich aufrecht radle oder in Rennradhaltung? Ich habe KEINE Ahnung, was mein Hündlein macht, während bei mir die Oberschenkelmuskeln krachen, wenn wir durch die Landschaft radeln.

Giovanni, buona. Sagt der Trainer grade. Allora, due, uno. Buona. Giovanni, Mamma mia!

Locorotonda war sehr schön. Eine Stadt mit einem kleinen Hündlein besuchen ist immer besonders. Also, normalerweise bin ich ja schon überfordert mit mir und em Fahrrad. Weil ich ja irgendwann das Fahrrad abstellen muss und dann immcer fürchte, dass ich es nicht wiederfinde. Nun kommt die Kamera dazu. Also, Fahrrad, Kamera, griffbereit schwierig. Dann das Hündlein. Fahrrad, Kamera, Hündlein. Wenn das Fahrrad dann abgestellt ist, Hündlein Rucksack (klobig), Kamera. Und Hündlein macht lustige Sachen, nicht nur in Wohnmobile kotzen oder auf anderer Hunde Schlafplätze kacken oder Katzen jagen. Nein, sie will auch unbedingt in Wohnungen gehen, die hier ja sehr angenehm von der Straße aus zu betreten wären, weigert sich aber konsequent, in Bars zu gehen und wirft dort ihre Wasserschüssel um, ist aber in Kirchen sehr andächtig. Ich glaube, sie merkt, dass sie eigentlich nicht rein dürfte.

Attenzione, Matchball! E buona!

 

20. Oktober 2017
Was für ein Tag!!! Man könnte meinen, ich sei in einem Theaterstück, einem sehr lustigen. Zuerst das Aufwachen. Es ist schon kurz vor zehn, aber noch dunkel als wäre es sehr früh, denn eine dichte Nebeldecke liegt über der Landschaft. Leider war ich gestern Abend ein wenig faul und habe nichts mehr weg geräumt, was bedeutet, dass nun die Stühlchen, der Sonnenschirm und acht Handtücher, denn auch Wanda bekam gestern wieder ein Bad, klatschnass in der Gegend herumstehen.

Mein Vorhaben, zu warten, bis alles getrocknet ist, gebe ich nach zwei Stunden auf, denn der Nebel hängt immer noch dicht. Aber immerhin habe ich in diesen beiden Stunden aufgebettet, das Geschirr abgewaschen, Wanda dreimal eingefangen, die immer öfter ausbüchst, wenn sie sich auf einem Platz gut auskennt, den Sonnenschirm halbwegs trocken gerieben, die Wasserreserven aufgefüllt und alles zusammengepackt. Dieser Aufwand ist, wenn alles trieft vor Nässe, enorm, denn ich möchte ja alles halbwegs trocken kriegen, bevor es ins Auto kommt. Immerhin haben wir für heute Abend ein Agriturismo des Fattore Amico Führers geplant und ich denke da werden wir vermutlich keinen Strom bekommen und auch wenig Möglichkeiten, Sachen aufzuhängen.

Ich schreibe noch die geplante – nämlich kürzeste – Route nach Lanciano auf einen Zettel und wir kommen um kurz vor zwölf weg. Und verfahren und bereits ein Stück vor Bari. Ich merke, dass was nicht stimmt, doch nachdem die Strada S16 gut ausgeschildert ist, folgen wir dieser einfach. Ist auch nicht die schlechteste Idee, denn wir kommen gut voran und sind schon nach zwei Stunden an der Gargano, der Halbinsel, auf der ich bei meiner letzten Reise eine Weile war. Danach wird es dann irgendwann sonderbar. Ich verfahre mich zweimal in Stadtgebieten, die Zeit beginnt, schneller zu verrinnen, als geplant, die Sonne steht schon tief und natürlich kommt genau dann der Abschnitt der S16, auf dem alle Tankstellen Ruinen sind, kein Plätzchen mehr zum Stehenbleiben einlädt und kein Cafe mehr zu finden ist. Wieder plagen mich unglaubliche Vorwürfe doch dann wird mir auf einmal klar, dass wir erst vier Stunden unterwegs sind. Sollten wir nach Amerika fliegen wollen, wäre Wanda 10 Stunden in einem kleinen Täschchen und könnte auch nicht aufs Klo, so wie jetzt. Denn wenn wir jetzt stehen bleiben, geht sie nicht, weil ihr das neben der Straße zu stressig ist. Mit geht ein echtes Licht auf. Eines der Erleichterung. Und in dem Augenblick wird Wanda auch ziemlich gelassen, lässt sich zudecken, weil wir schon wieder die Abendsonne voll im Fenster haben, und schläft. Hm.

Du immer mit Deinem Stress, sagt Carissima. Du machst noch alle völlig kirre. Fängst Du jetzt auch schon an zu kritisieren, sage ich, kaum dass der Blues weg ist. Also, einer muss es ja tun, sagt sie. Und wenn er da ist, bin ich voll auf Deiner Seite, darauf kannst Du Dich verlassen! Frauenpower, frage ich. Von mir aus, sagt sie und schnurlt weiter. Heute morgen hatte sie unheimliches Ventilklackern, das hat mich beunruhigt, denn ich habe Öl kontrolliert und auch nachgefüllt. Aber vielleicht hat das wieder mal mit der Temperatur zu tun.

Irgendwann kommt Vasto und ich kann mich nicht mehr erinnern, ob wir hier richtig sind. Nur noch, dass ich hier letztes Jahr auf dem Campinglatz war und fast verkuppelt worden wäre. Hier will ich nicht mehr landen, soviel steht fest, weil eine einzelne Frau mit einem süßen kleinen Hund ist sicher für bestimmte Menschen mit Heiratsabsichten noch attraktiver als eine einzelne Frau ohne süßen Hund. Immerhin vermittelt ein kleiner Hund: hej, die kann sich um wen kümmern, die hat auch Mutterinstinkte. Gerade richtig für irgendeinen Sack Anfang 50, der es bisher nicht geschafft hat, geheiratet zu werden. Heut bist Du aber ziemlich ätzend, sagt Carissima. Ich weiß, sage ich. Ich bin eigentlich, um dieses ungeliebte Wort zu verwenden, seit Monaten so. War mir klar, sagt sie. So treffsicher formulieren kann nur einer, der seit Monaten die Waffen schärft. Stimmt, sage ich, es kann nur einen geben. Wir lachen uns krumm, denn diesen Satz aus dem Film „The Highlander“ haben wir gerade in einem Hörbuch gehört.

Ich bleibe in einer Parkbucht an der Bundesstraße stehen und krame die nächste Karte heraus. Leider haben wir für diesen Teil Italiens noch keine Detailkarte, sondern nur „Italia Nord“ in einer unmöglichen Auflösung. Aber ich sehe, dass Luciano, wo wir hinwollen, nicht mehr allzu weit weg sein kann. 40 oder 50 Kilometer. Ich bin dann rechtschaffen erleichtert, als das Städtchen endlich angeschrieben ist und finde nach einer Ehrenrunde um die Altstadt auch das Schild Richtung Val de Sacra, dem man folgen soll, für sechs Kilometer. Als fünfeinhalb vorbei sind, glaube ich nicht mehr daran, dass ich richtig bin, da vorne war doch noch eine Weggabelung, vielleicht sind wir da falsch abgebogen? Und schon schnurln wir an dem Schild vorbei, dem Agriturismo … und ich kann es kaum fassen. Wir sind tatsächlich, ohne gröbere Dramen, dort angekommen, wo wir hinwollten!!!

Ich muss noch zweimal umdrehen, bis ich in die Einfahrt komme, denn der Abendverkehr auf dieser Straße ist mörderisch und die Einfahrt liegt genau in einer Kurve, aber dann bin ich drin. Wir werden von einem aufgeweckten Hund empfangen, der unglaubliches Interesse an Wanda zeigt und ich stelle fest, dass ich hier wirklich einige Mühe an den Tag legen muss, um mit meinem brüchigen italienisch durchzukommen. Ich bin verwöhnt von den Tourismusorten, in denen man mir mit englisch oder deutsch entgegen kommt. Gewappnet mit der Vermutung, dass hier keiner mehr englisch spricht, nehme ich meinen „Fattore Amico“ Führer mit und frage nach einem Klo. Die Dame des Hauses versteht meine Not sofort und dann geht alles ganz easy. Ja, ich bin Romana, spreche aber trotzdem kein Wort italienisch, komme aus Austria, wow, aus Austria war hier noch keiner, ich arbeite während ich reise, das ist aber gut und dann gehen wir, der Bauer, ein Gastwirt aus der Umgebung und ich, schon in den Weinkeller. Die Frau Bäurin sagt mir, dass das Ristorante (jedes Agroturismo hat hier ein Restaurant dabei) geschlossen hat, aber ich soll doch mit der Familie essen. Vegetarisch? Kein Problem! Wanda ist mit der Weinkellersituation völlig überfordert, sitzt auf meinem Arm und zittert, ich bekomme nach dem Kosten einen halben Liter in einer Karaffe mit, um die Zeit bis zum Abendessen zu verbringen und gehe erst mal spazieren.

Hinter dem Hof führt ein Feldweg in die Landschaft und wir wandern zwischen Olivenhainen und Obstbäumen dahin. Auf dem Hof wird Wein produziert, aber auch Olivenöl sowie jede Menge Gemüse, außerdem ist dies ein „didakter Bauernhof“, wie im Fattore Führer steht, und das bedeutet, dass hier auch Schulklassen herkommen, um zu erfahren, wie ein Bauernhof funktioniert. Dementsprechend liebevoll ist das gesamte Anwesen auch gestaltet, ich bin begeistert. Und jetzt bin ich mal gespannt, wie das mit dem Abendessen laufen wird. Denn zum ersten Mal habe ich wirklich alle Wörterbücher zu Hause vergessen!

 

21. Oktober 2017
Was für ein Abend! Versammelt waren Bruno, ein Weinkenner und Gourmet, ein zweiter Bruno, der sich selbst als volle Banause in beiden Belangen bezeichnet, der Bauer und die Bäurin – ich Trottel habe die Namen vergessen – und deren Tochter Elisabetta. Bruno, der Gourmet, sieht aus wie der klassische Intellektuelle, leicht graue Haare und Brille, und deutet mir, ich soll mich setzen, denn jetzt wird Olivenöl verkostet. Ich hatte ja wie meistens an Fahrtagen noch nichts zu essen außer einem Croissant und zwei Tassen Kaffee und bin nach der Weinverkostung schon ein wenig benommen. Wäre eigentlich lieber gleich schlafen gegangen, aber ein Ölverkostung, die haut mich nach vorn. Sowas gibt es ja nicht alle Tage. Bruno hat für uns – die Männer und mich – kleine Becher mit Öl vorbereitet und erklärt, was wir hier nun riechen, sehen und schmecken können. Er hat eine kleine Liste mitgebracht, in die er seine Eindrücke einträgt, mit Noten. Am Ende erklärt er dann dem Bauern seine Entscheidung und der hört sehr andächtig zu und fragt ein paar Dinge nach, die ich nicht verstehe. Offenbar geht es hier um das hofeigene Öl und der Bauer lässt sich einiges sagen. Der sieht übrigens mehr aus wie ein Filmschauspieler als ein Bauer und seine Frau sieht original aus wie Roseanne im Film „She Devil“, ich schwöre! Also, so wie im Film die gewandelte Hauptdarstellerin, sehr selbstbewusst und tough und sehr unterhaltsam. Die Tochter genauso. Die erklärt den Eltern lautstark, nach einer leichten Kritik bezüglich Telefongebrauch beim Essen, wieso sie wohl so ist, die beiden sollen sich doch mal anschauen, eins zu eins ist sie das Kind ihrer Eltern!

Alle finden den Ausbruch unterhaltsam und es gibt Bruschetta mit frischem Öl, in Olivenöl eingelegte Kräuter dazu, dann Spaghetti mit frischen Paprika und Knoblauch (wie machen sie das mit den Nudeln, sie sind immer perfekt in Italien!) und dazu, wer will, noch Pepperoncini und als Nachspeise frich gebackenen Kuchen von Elisabetta, der von allen über die Maßen gelobt wird. Was mich am meisten fasziniert: hier wird nur über das Essen gesprochen während des Essens, über den Wein, die Zutaten und wieviele Eier Elisabetta für den Kuchen genommen hat, weil er so wunderbar schmeckt. Keine Politik, keine unangenehmen Dinge. Ganz einfache Gespräche über das Essen, die sogar ein Sprachdepp wie ich versteht.

Erst nach dem Essen geht es dann um etwas kompliziertere Themen, ich kriege noch ein wenig die Vermarktungsstrategie am Hof mit, steige dann aber komplett aus, vor allem nach dem 50 Jahre alten „Vino cotto“, der noch serviert wird, weil Bruno heuer 50 wird. Und so gehe ich nach dem Vino cotto, der ein wenig wie Portwein schmeckt, satt, etwas illuminiert und mit einigen Zettelchen mit Reisetipps von den beiden Brunos ins Bett.

Heute morgen war ich dann naturgemäß früh munter, es hat mich ja um halb elf in die Federn gedrückt, und als ich schon mit Wanda spazieren war, beginnt hier das Leben ganz langsam. Damit überfordere ich die Bäurin ein wenig, denn ich möchte ja noch was einkaufen am Hof, ich finde, das gehört sich, wenn man gratis übernachten darf, doch darauf war sie nicht eingestellt. Es dauert eine Weile, bis sie Wein und Olivenöl abgefüllt hat und in dieser Zeit sehe ich, dass hier noch weitergefeiert worden ist. Und dass sicher keine Frau mehr dabei war, denn das schaffen nur Männer, alles einfach liegen uns stehen zu lassen. Ob das die ganze Wahrheit war, weiß der liebe Gott. Aber als die Bäurin mir meinen Wein und mein Öl ausgehändigt hat, kommt der Bauer um die Ecke und begrüßt sie mit einem theatralischen „Buon Giornio, Cara“, woraufhin sie ihn in die Scheune schubst und so dermaßen zur Sau macht, wie das in italienischen Filmen aus den 60er Jahren immer gezeigt wird. Nach einigen Minuten kommt er mit gesenktem Kopf aus der Scheue und geht zu seinem Traktor und sie kommt zu mir und ist die Freundlichkeit in Person. Alter Schwede. Was bin ich froh, dass es hier nicht um mich ging.

 

Wir springen ins Auto, Wanda kriegt vorher noch einen hysterischen Anfall, weil der Bauernhund das Frühstück aufgefressen hat, das sie nicht mehr geschafft hat, und dann geht es los. Die Routenbeschreibung der beiden Brunos hat fast gestimmt und ich verfahre mich nur einmal und bin wieder an der S16 Richtung Norden, um die weltberühmten Trabucci zu besuchen. Das sind kleine Stege ins Meer hinaus, mit einer Fischerhütte drauf und von dort werden die Netze nach unten ins Wasser gelassen. An einem ganz kurzen Küstenstück hier in der Gegend gibt es diese Trabucci und sie sind einzigartig. Leider finde ich das Trabucco nicht, das mir der intellektuelle Bruno empfohlen hat, in dem ein sehr gutes Lokal sein soll und ich dem Wirt einen Gruß ausrichten soll. Das wäre jetzt nämlich ziemlich cool gewesen, ein Frühstück mit Blick aufs Meer.

Denn. Wanda hat heute Geburtstag!

 

Also, wenn ihr sonderbarer Pass stimmt, dann ist das heute. Und ich denke mir, ich knicke mein nächstes Ziel, sondern fahre direkt nach Assisi, denn Wanda hat Geburtstag und was soll sie mit einer weiteren Stadtbesichtigung. In Assisi kann sie rumlaufen, wie sie mag. Heute also Fahrluxus pur – nach der S16 bis Pescara geht es auf die schicke Autobahn, wir fahren fast bis Ancona und dann ins Land hinein. Wanda bekommt Schinken an der Autobahnraststätte und Carissima wird vollgetankt.

Kurz vor Ancona steht der Blues an der Straße. Ich sehe ihn von weitem, sein Haar ist offenbar frisch gewaschen und etwas kürzer. Er hat eine unförmige Tasche umhängen und streckt den Daumen raus, als er mich sieht. Ich halte, er springt ins Auto, wirft den Hundekorb nach hinten, was egal ist, weil Wanda vor 150 Kilometern beschlossen hat, dass sie heute nur auf dem Schoß sitzend mitfahren kann, und macht es sich gemütlich. Nachdem er sich die erste Zigarette angezündet hat, streckt er mir ein Plastiksackerl mit Münzen entgegen. Was, frage ich? Deine 200 Euro, sagt er, in kleinen Münzen. Was… Das Geschäft mit der Straßenmusik geht richtig gut, sagt er, und verstaut seine Gitarre hinten am Bett. Ich habe in Ancona gespielt, am Hafen, griechische Schlager. Du kannst Dir nicht vorstellen, wie die Griechenlandurlauber spendabel sind. Ich sehe ihn mir von der Seite an, meinen Blues, der für Urlauber Schlager spielt und bin ein wenig stolz auf ihn.

Wir fahren durch die Berge, hören Peter Maffay und weinen alle fürchterlich. Also, ich in Erinnerungen schwelgend, der Blues, weil er der Blues ist und Wanda vermutlich, weil ich so falsch mitsinge.

 

Nachdem wir bei diesem Tagestempo am frühen Nachmittag in Assisi sind, denke ich sogar noch daran, dass es im Ort keinen Supermarkt gibt und bleibe noch einen Ort vorher stehen, um einzukaufen – also, all das, was noch fehlt, denn wir waren auch schon bei einem Bauernstandl an der S16 und haben dort Tomaten, Paprika, Salat, Pepperoncino und Feigen gekauft.

Als ich aus dem Supermarkt komme, freue ich mich nur noch. Der Blues ist wieder weg, wahrscheinlich treffe ich ihn morgen vor der Franziskus Kirche, da geht das Geschäft sicher wie verrückt, ich habe alles eingekauft, was wir brauchen, mein Hündlein hat Geburtstag. Und dann springt Carissima nicht an. Und zwar diesmal gar nicht. Also nicht diese Mätzchen seit dem neuen überholten Starter, sondern so wie vor dem neuen überholten Starter. Kein Klick, kein klack, kein gar nichts. Ich könnte laut schreien. Nach etwa 15 Versuchen gebe ich auf, nehme den Gang raus, versuche, uns nach hinten wegrollen zu lassen, denn es geht ein klein wenig bergab. Es ist aber zu wenig zum Starten. Als ich es noch mal probieren will, läuft der Kassierer aus dem Supermarkt und sagt, er hilft mir, schiebt Carissima mit mir auf die Straße, denn da geht es richtig bergab und nach drei Metern ist sie da.

Ich bin verunsichert. Fahre direkt zum Campingplatz, wo man das Fahrzeug am Schranken abstellen muss, um einzuchecken und überprüfe gleich meine Möglichkeiten. Wo geht es bergab, wen könnte ich fragen… Nach dem Einchecken springt Carissima beim dritten Versuch an. Ich bin ratlos. Machst Du Dir wieder Sorgen, fragt sie. Würdest Du Dir keine machen, frage ich. Stelle mir vor, wie wir am Polarkreis stehen und sie nicht anspringt und vier Tage keiner vorbeikommt. So ein Mist. Warum jetzt. Hej, lass uns morgen darüber nachdenken, ok, sagt Carissima, ich hab für heute die Schnauze voll. Ich eigentlich auch, sage ich.

Und dann darf Wanda stundenlang durch das gelbe Herbstlaub toben, während ich Carissimas Scheiben putze und auch das Armaturenbrett und den Boden, denn ich glaube insgeheim, dass Autos heilen, wenn man sie schön putzt. Dann schalte ich noch eine Waschmaschine ein und Wanda wird auch gebadet, denn sie hat sich heute auf dem Bauernhof ziemlich intensiv mit dem Hund dort beschäftigt und der sah nicht recht gut gepflegt aus. Und dann, irgendwann, zieht die Nacht über dem Subasio auf und wir hören Blues.

22. Oktober 2017
Mit der Nacht ist der Nebel gekommen, der früh am Morgen dick über dem Berg hängt und herunterdrückt. Es ist aber immer noch warm und meine Wäsche ist fast getrocknet. Nur die Überdecke und die kurze Hose und ein Sweatshirt bräuchten noch ein wenig. Ich beschließe, zuerst einmal das Zelt aufzustellen, denn so, wie der Nebel aussieht, kann das nicht mehr lange bis Regen dauern.

 

Wanda ist heute grund unzufrieden mit der Situation, sie will zurück ins Bett, es ist ihr zu früh, sei will noch kein Frühstück und das Zelt ist ihr nicht geheuer. Carissima ist ganz zufrieden mit der Situation. Wirst Du wieder anspringen, frage ich. Ich bin ein Auto, das sprechen kann, sagt sie, keine Wahrsagerin! Man stelle sich vor, wie das wäre, wenn man mit einem wahrsagenden Auto zusammen lebt. Ich nehme an, wir hätten ausgesorgt. Das wäre hervorragend, denn in den vergangenen Wochen sind die Existenzängste wieder aufgetaucht und das ist überhaupt nicht fein. Immer enger und enger sind die Fragen geworden, nach der Zukunft, wie lange ich das noch so schaffe. Und überhaupt.

Kaum steht das Zelt, kommt der Regen, ich nehme also rasch die Wäsche ab und bringe die Teile, die noch nicht trocken sind, in den Trockner. Ich arbeite den ganzen Tag an einem Video, es geht schleppend voran, aber ab Ende bin ich einigermaßen zufrieden, die Wäsche ist auch trocken und es hat zu regnen aufgehört, also spazieren wir nach Assisi. Die Temperatur ist rasant gefallen. Gestern noch 26 Grad, als wir angekommen sind, jetzt ist mir einfach nur noch kalt. Ich bin ja so ein Trottel. Ich bin tatsächlich ohne warme Jacke und ohne zweite Hose weggefahren.

Wie immer an ersten Tagen irgendwo ist Wanda vorbildlich, weil sie die Situation noch nicht kennt. Geht bei Fuß, nimmt permanent Augenkontakt auf, ist der beste Hund der Welt. So auch in einer kleinen Boutique, die unter anderem todschicke Daunenjacken im Sortiment hat. Und so eine kaufe ich mir dann. Und nach zehn Minuten weiß ich, dass es nun vorbei sein wird mit der abendlichen Schnupfennase, denn mir ist richtig, richtig warm. Außen wie innen, denn die Dame, der das Geschäft gehört, war sowas von nett, ich kann mich nicht erinnern, so etwas beim Jacken kaufen jemals erlebt zu haben. Sollte ich in Zukunft nur noch in Italien einkaufen? Würde sich anbieten, ich habe ja die Brenner Jahresvignette.

Das Hochladen des Videos klappt leider nicht, schade, ich wollte meinen Kunden überraschen, aber das Netz scheint zu schwach zu sein. Und während ich so in der Campingplatzrezeption sitze und dies und jenes versuche, um meinen Auftrag abzuschließen, beginnt es draußen zu donnern. Ich denke mir noch nichts, beantworte ein paar mails, da fällt mir ein, dass ich mit hoher Wahrschinlichkeit das Zelt nicht zugemacht habe. Es war einfach so viel zu tun beim Zusammenpacken, Computer und Ladekabel und Wanda und Leine und Decke für Wanda und Knochen und dann noch mal zurück und Jacke und so. Ist das Zelt zu oder offen? Wenn offen, dann ist das eher uncool, weil drinnen ja noch ein paar T-Shirts hängen und überhaupt. Also alles schnell speichern, zusammenpacken und zurück zum Auto. Wanda hat Angst, also muss ich sie tragen, ich laufe mit meiner Notebooktasche, Wandas Tasche und Wanda am Arm und während ich laufe, bricht der Gewitterregen über uns herein und bis ich beim Zelt bin, das waren vielleicht eine Minute 30, bin ich komplett nass. Das Zelt war übrigens zu.

Kaum sind wir drin, beginnt der Hagel. Das kenne ich von zu Hause überhaupt nicht, dass noch Hagel kommt, wenn es schon regnet. Wanda sitzt bereits im Auto, ich versuche noch, meine nassen Sachen irgendwie aufzuhängen, da beginnt es zu krachen, als ginge die Welt unter. Ich kontrolliere noch, wie groß die Körner sind und befinde: kein Problem für Carissima. Wanda aber fürchtet sich richtig und heult im Auto, also schnell rein. Oh, ich hasse das sehr, wenn nasse Sachen im Auto sind und die Scheiben von innen beschlagen. Im Moment bin ich selbst diese nasse Sache. Was für eine Rauferei mit den Elementen. Bevor ich nun komplett die Nerven wegwerfe, öffne ich einen Syrah aus Sizilien und beschließe, noch Musik zu hören. Musik gegen Hagel.

 

23. bis 26. Oktober
Das Gewitter hat den Herbst gebracht. Am Tag unserer Ankunft hatte es noch 26 Grad, nun sind es nur noch 20 maximal. Tagsüber sehr schön, doch sobald die Sonne weg ist, sehr erfrischend. Wir sind fast alleine hier und Wanda kostet es voll aus, ein RiesenRevier zu erzeugen. Am dritten Tag findet sie es bereits ungehörig, wenn andere Menschen die Sanitäranlagen betreten oder „unsere“ Küche benutzen wollen.

Ich nutze die Sonnenstunden, um zu arbeiten und wenn es dann kühl wird, gehen wir in die Stadt zum Bummeln. Nachdem der Rückweg bergauf geht, ist uns dann auch warm, wenn wir zurück beim Auto sind. Wanda mag dann gleich mal ins Bett, sie bekommt schnell kalte Pfoten und muss zwischendrin tatsächlich einen Pullover anziehen. Ja, der Winter kommt, unaufhaltsam.

Ich bin hin- und hergerissen. Während ich kurz vor Ancona soweit war, mich auf die nächste Griechenland Fähre zu begeben, zieht es mich nun nach Hause, weil so viel zu erledigen ist. Und das wiederum sorgt dafür, dass ich nicht nach Hause will. Nicht, dass ich hier nichts zu tun häte, Gott bewahre. Es geht den ganzen Tag dahin und manchmal habe ich das Gefühl, dass mir die Stunden geradezu durch die Finger davon rinnen. Amletzten Abend, alles schon gepackt, gehen wir noch Pizza essen. Morgen geht es los Richtung nach Hause. Mal sehen, wie das wird.

 

Und hier geht’s weiter!

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