Toskana 2009

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16. September

Am Montag musste Stefan die Arbeiten erledigen, die sich seit 1. September angesammelt hatten. Am Dienstag musste Sterfan die Arbeiten fertig stellen, die er am Montag nicht geschafft hatte. Am Mittwoch muss Stefan all die Erledigungen schaffen, die er für Montagvormittag eingeplant hatte, unter anderem ein Fahrrad kaufen (was nicht gelang), einen Gaskocher auch (erfolgreich), zum Schuster fahren und zur Versicherung und Jofes im Krankenhaus besuchen.

Außerdem vermisst Stefan seinen Führerschein und Thomassens Kappsäge. Die Säge findet sich bei einer Kundschaft, der Führerschein nicht, dafür aber der vermisste Fotoapparat. In der Zwischenzeit wirft Romana die Nerven weg und befürchtet, dass sie sich Olivenbäume, Zypressen, Wärme und Wein wohl aufmalen muss (man höre und staune: im Stubai muss am Abend bereits geheizt werden, so kalt ist es!). Nach einer kompletten Eskalation und der beiderseitigen Drohung

a) den Urlaub
b) die Beziehung
c) überhaupt alles

sein zu lassen, brechen unsere beiden Helden um acht Uhr abends Richtung Süden auf. Es regnet in Strömen und ist, gelinde gesagt, arschkalt und außerdem dauert es eine Weile, bis die Geheimnisse des geborgten Fahrzeuges (ein zwanzig Jahre alter, himmelblauer T2) gelüftet sind. In Sterzing wird der Entschluss gefasst, etwas zu essen, eine Sache, die wohl den ganzen Tag über höchst sinnvoll gewesen wäre, aber missachtet worden war. Leute, ESSEN hält Leib‘ und Seel‘ z’sam! So ist das nun einmal! Und bei Sergio in Sterzing gibt es bestes seafood – nach Tagliatelle mit Lachs, Spaghetti mit Muscheln und gegrilltem Lachs hilft nicht einmal mehr der dargebotene Limoncello: überfressen!

Nach zwei CD-Längen mit ausgiebigen Gesangsdarbietungen meinerseits finden wir ein feines Nachtlager auf einem weinberggesäumten Parkplatz unterhalb der Burg von Avio, mit eigenem Brunnen und Blick auf die beleuchtete Ruine.

 

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17. September

Die Sonne weckt und und die Burg von Avio ragt steil über unserem Nachtlager in den blitzblauen Himmel. Nach dem Frühstückskaffee und einer mit großer Umsicht am Vorabend erstandenen Packung Kekse wird der Aufstieg zur Burg gewagt. Während Romana die Anlage aus dem 14. Jahrhundert (Baubeginn drei Jahrhunderte früher!) genau erkunden möchte, immerhin entspricht die Größe des Baus den Vorstellungen eines zukünftigen Heimes, will Stefan nur eines: mehr Kaffee.

 

 

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Dieser bewirkt immerhin, dass die Fresken aus dem 12. Jahrhundert auch für Stefan sichtbar sind und er daraufhin im Schlossturm einen Alarm auslöst. Hiroshi, wir denken an Dich.

Im weiteren Tagesverlauf, nach dem Genuss von Gnocchi mit Salbei und Ravioli mit Steinpilzen, verändern sich die Zweifel des Vortages und sind nun folgendermaßen fest zu machen: Stefan zweifelt

a) an der Auswahl der Strecke
b) am geplanten Ziel der heutigen Etappe
c) nicht mehr am Urlaub per se aber am gemeinsamen Urlaub

 

Toskana2009_4Romana zweifelt

a) an der Männerwelt per se
b) am Leben überhaupt
c) an ihrem Verstand

Die einzige Lösung ist, die Fahrt sofort zu beenden und am Gardasee Halt zu machen, wo sich die Situation nach dem Genuss von Pizza und einer Unmenge an Meeresfrüchten spürbar entspannt.

18. September
Unsere Helden schlafen gut und machen sich erst in der Mittagshitze auf den Weg, eine Tatsache, die wohl den Zweifeln gute Nahrung gibt. Stefan zweifelt also heute

 

a) an der Reise im Allgemeinen sowie im Besonderen
b) an der Beziehung im Allgemeinen
c) am Leben überhaupt

Romana zweifelt hingegen nur noch an ihrem Verstand, weil die findet, dass das alles gar nicht wahr sein kann. Mit viel Überzeugungskraft wird also Stefan über den Abetone gezwungen und der Tag vergeht mit viel Hitze, Wasser und Zigaretten. Über dem Abetone weint der Himmel. Dann endlich die berühmte Ponte della Maddalena, auch Ponte Diavolo genannt, die angeblich der Teufel in einer einzigen Nacht gebaut hat. Hier beginnt für mich die Toskana, wo auch immer die wahren Grenzen liegen. Und was ist schon „wahr“ im eigentlichen Sinne?

Toskana2009_5Nach dem Überqueren der Brücke beschließen die Helden des Alltags, nun endlich das Blinkerrelais des Buses auszutauschen, 500 Kilometer ohne Blinker sind genug. Ein freundlicher VW-Techniker in Lucca schickt uns nach Massarosa, doch auch dort hat man das kleine, lästige Teil in der VW-Werkstätte nicht vorrätig. Aber dafür beim Bosch-Service, einer großen, sehr öligen Werkstätte mit einem schlecht beleuchteten Hinterzimmer als Büroraum. Hier muss angemerkt werden, dass letztendlich gar nicht das Blinkerrelais das Nicht-Blinken verursacht hat, sondern ein völlig anderes Teil, was ein begnadeter Jungmechaniker sofort hört. Trotz intensiven Augenaufschlagens meinerseits bezahlen wir 27 Euro und ich beschließe, meine Wimpern verlängern zu lassen.

Mittlerweile ist es dunkel und unsere Blutzuckerwerte im Keller. Wir fahren bis Marina di Pisa und fallen dort auf einem Campingplatz mit eigenem Strand aus dem Auto wie reife Zwetschken vom Baum. Zum Abendessen gibt es einmal mehr Pizza und Unmengen von Meeresfrüchten und ich wundere mich langsam, wie ein einzelner Mensch all das Eiweiß verwerten kann.

19. September
Nach dem üblichen Hin und Her, Aufstehen oder nicht, Frühstücken und Anfällen von Lebenszweifeln des bald 30-jährigen Studenten der Kommunikationswissenschaften, der im Herbst 2009 zum wiederholten Male den Preis für Zeitvertrödeln erhalten hat, wird der Tag am Meer verbracht.

Toskana2009_6Unser kleines Heim wartet zwischen verblühtem Rhododendron und hohen Pinien. Nachdem dies meine erste Reise mit TISCH ist (ein 60-Jahre Modell, ORIGINAL, mit abschraubbaren Beinen) wirkt das Plätzchen vor dem Bus ausgesprochen heimelig.

Am Abend zieht ein Gewitter über das Meer, dunkelschwarze Wolken scheinen auf den Wellen aufzuliegen und die Blitze krachen ins Wasser. Ich muss in mich hineinlächeln, wollte doch Stefan gegen alle Pläne bereits morgen Richtung Assisi aufbrechen…

 

 

 

Toskana2009_720. September

Die Götter des Regens und der wilden Wässer haben meine Gebete erhört, es regnet in Strömen und Stefan beschließt, seine Abreise auf morgen zu verschieben. Wir dösen bei offener Heckklappe bis in den frühen Nachmittag. Ein Vater hat mit seiner Tochter Pinienkerne gesammelt und sein Pfeifen ist in meine Träume geschlichen und hat Kindheitsgefühle geweckt. Gut, dass Stefan nach Pisa fahren will. Denn einer meiner großen Kindheitsträume ist es, auf den schiefen Turm zu steigen. Seit 15 Jahren versuche ich aktiv, diesen Traum zu erfüllen, allein heute an diesem Regentag hätte ich gar nicht dran gedacht. Ich war dreimal in Pisa in den 15 Jahren, doch immer war der Turm gesperrt. Und nun haben sie es geschafft. Der Turm ist soweit stabilisiert, dass alle 20 Minuten 20 Personen hinaufgehen dürfen.

 

 

Toskana2009_8Die zwei Stunden Wartezeit sind fast unerträglich für mich. Für Stefan bis zum Auffinden eines funktionierenden Zigarettenautomatens auch – immerhin sucht er seit dem Morgen verzweifelt seine papers, hat den Bus komplett umgeräumt, dabei das übliche Chaos verursacht und nichts bewirkt. Bis auf die Tatsache, dass er seine Zweifel nun genau fokusieren konnte, die sich im Folgenden also mit

a) den italienischen Ladenöffnungszeiten
b) der Funktionalität der italienischen Zigarettenautomaten
c) nur noch marginal mit der Beziehung bzw. der Reise
befassen.
Romana zweifelt heute nicht.
Der Turm ist wunderbar.
Er will gehalten werden.
Die ersten paar Schritte fast ganz im Dunkeln begreift das Gehirn nicht, was vor sich geht, die Stufen der engen Wendeltreppe scheinen gerade zu sein, doch drückt es den Körper gegen die Innenwand des Turmes und der Aufstieg ist sehr beschwerlich. 180 Grad später geht es plötzlich flott voran und man rennt automatisch gegen die Außenwand. Und so geht es fast 300 Stufen lang dahin, bis zur obersten Plattform, auf der dem werten Gast ein etwa zehnminütiger Aufenthalt gewährt wird. Der Blick nach unten erzeugt ein Reißen in den Knien, dopplersteigtauglich.

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21. September
Stefan bepackt sein Fahrrad und bricht auf. Nicht, ohne vorher fest gestellt zu haben, dass all die Seminare, die er besuchen wollte, bereits ausgebucht sind als es uns gelingt, um 9.55 endlich eine Internetverbindung zu Stande zu bringen. Der unter Druck geratene Server der Uni Salzburg arbeitet genau das Gegenteil von schnell mit dem etwas schläfrigen Computer im Hotel zusammen. Dazwischen befinden sich wohl einige tausend Meter italienisches Kabel. Dann folgen eine Million Fragen und Zweifel zu

a) der Bepackung des Fahrrades
b) dem Pilgern an und für sich
c) dem Zeitpunkt dieser Pilgerreise im Speziellen

 

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Ich zweifle mittlerweile gar nicht mehr, weil ich zu müde dazu bin. Erst bei Populonia kommen gewissen Zweifel bezüglich des Tankschlosses auf, das ich einfach nicht aufbekomme. Nach 50 Kilometern im roten Bereich hilft mir eine sehr nette Tankwartin und wir wundern uns beide, wie man ein Schloss entwickeln kann, das funktioniert, wenn man den Schlüssel nur bis zur Hälfte reinsteckt.

Populonia trohnt immer noch auf dem Hügel mit Blick auf das weite, weite Meer. Das letzte Mal war ich vor acht Jahren hier, mein Gott, wie die Zeit vergeht. Bei Grosetto erledige ich meine Einkäufe und erstehe sogar Glühstrümpfe für die Gaslampe und ein Fahrradgschloss für Stefans Mountainbike.

 

 

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Allerdings brauche ich selbiges dann gar nicht, um wie geplant vom Campingplatz zum Tarotgarten zu radeln, denn die Campingplätze in der Nähe des Gartens sind

a) nur für Wanderer mit Zelt oder
b) geschlossen

Ich muss also auf der Autobahn zurück Richtung Grossetto und lande erst in der Dämmerung auf einem Platz, der mir sehr verlassen erscheint und mir Angst macht. Nach einer Flasche Chianti falle ich in tiefen Schlaf und morgen will ich weg hier.

 

 

22. September

Fast bis zehn geschlafen…. dieser gute Wein! Mir gefällt es hier immer noch nicht, obwohl es eine heiße Dusche gibt, und ich bin um kurz nach zwölf schon am Tarotgarten. Sitze in der Sonne, bis dieser um 14.30 seine Tore öffnet. Und bin dann die Erste, die hinein stürmt. Wenn man so lange auf etwas gewartet hat, dann taucht der kindliche Wunsch auf, die Erste zu sein.

Link zum Tarotgarten, für alle, die ihn noch nicht kennen, hier klicken

Fast drei Stunden später sitze ich im Angesicht des Todes, wie ihn sich Niki de Saint Phalle vorgestellt hat und bin ihrer Meinung. Der Tarotgarten ist so schön!

 

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Die Tatsache, dass ich meine sehr genaue Toskanakarte Stefan mitgegeben habe und nun einfach nicht zurecht komme, nervt ungeheuerlich. Das Straßengewirr um den Monte Amiata ist einfach nicht zu durchblicken ohne gute Karte und nachdem wieder einmal dicke, schwarze Wolken aufziehen, will ich nicht über den Amiata fahren.

 

Toskana2009_17In Saturnia dann der erste Anfall von Müdigkeit und der dringende Wunsch nach einer heißen Dusche. Da aber kein Campingplatz zu finden ist (OHNE MEINE KARTE!!!) setze ich mich ein heißes Becken der Cascate del Molino und warte, was der frühe Abend so bringt. Denke darüber nach, warum genau jetzt, wo die Tanknadel mal wieder im roten Bereich ist, keine Tankstelle daher kommt und kein Geschäft, das gute Karten verkauft.

Nach einer halben Stunde bin ich wieder bei Kräften und irre über Sovana und Sorano weiter durch die Landschaft, auf der Suche nach einer Tankstelle, einem Campingplatz, einem Geschäft.

Der einzige Tankautomat in Saturnia hat kein Bargeld genommen und meine Bankomatkarte voller Entrüstung ausgespukt. Als ich dann, nach weiteren 50 Kilometern, mitten in den Bergen eine Tankstelle finde, die geöffnet hat, bin ich bereits so verzweifelt, dass ich den Tankwart fast umarmt hätte und vor lauter Übermut 50 Euro tanke. Das erweist sich als ziemlich dumme Idee, denn erstens stinkt der Bus nach Benzin, wenn er mehr als halbvoll betankt wird und zweitens finde ich in der Folge keinen Bankomaten mehr und habe nur noch 15 Euro. Die Sonne geht schon unter, als ich Richtung Pitigliano tuckere, das plötzlich wie ein Zauberschloss hinter einer Kurve auftaucht. Eine Stadt, hoch oben auf dem Berg, komplett aus rotem Tuffstein, wie eine mittelalterliche Festung in bester Beleuchtung.Und hier ist auch endlich ein Campingplatz ausgeschildert. „Agriacamping“. Ein Bauernhof. Mitten in der Wildnis.

Es ist schon fast dunkel, als ich ankomme und ein weißhaariger Bauer, der sogar englisch spricht, zeigt mir meinen Platz auf der Wiese. Ich bin der einzige Gast und der Bauer montiert noch extra eine Lampe auf einem Baum, damit ich unbeschadet zum Klo finde. Ich koche undefinierbaren Kartoffelbrei, was eben beim Licht meiner Gaslampe möglich ist und teile mein Abendessen mit drei Katzen. Ich bin so glücklich über ihre Gesellschaft, dass ich sie sogar von meinem Teller fressen lasse.

 

Toskana2009_1823. September
Jetzt wär’s hier so schön, aber der Bus riecht unglaublich nach Benzin, weil ich gestern mehr als halbvoll getankt habe. Ich muss wohl ein paar Kilometer fahren und breche nach einem umständlichen Zahlungsprocedere in einem schnuckeligen Büro mit Kamin Richtung Siena auf. Nicht ohne vorher Pitigliano im Morgenlicht besucht zu haben, in dem es offenbar keine Banken gibt. Ich habe gerade noch 3,50 in der Tasche und finde auch in Aquadente und in weiterer Folge auf der Strecke Richtung Siena natürlich weder eine Bank noch einen Bankomaten.

Dafür überquere ich den 43. Breitengrad.

Die Landschaft ist atemberqaubend schön. Aufgrund des Mangels an Bargeld kann ich leider nicht stehen bleiben und gemütlich einen Kaffee trinken. Auch Mittagessen ist gestrichen. Ganz kurz vor Siena dann endlich: ein Bankomat! Ich bin hoch erfreut, tanke auch gleich nochmal, aber diesmal nur 20 Euro, und verwirre mich in der folge in Sienas Stadtverkehr. Wer glaubt, hier irgendwo einen Parkplatz für einen himmelblauen T2 zu finden, der irrt. Ich umrunde siena eineinhalb mal und fahre einmal mitten durch. Dann erkenne ich, dass ich ohne meine Karte das Dörfchen Sovicille nicht finden werde. Dort wäre nämlich ein Campingplatz gewesen, der nah genug an Siena gewesen wäre, um mit dem Rad hinzukommen.

Toskana2009_19Klarerweise verstecken sich Läden, in denen es Karten gibt, jetzt, da ich wieder Bargeld habe.

Nach zwei Stunden Stadtverkehr beschließe ich, der Bundesstraße Richtung Osten zu folgen. Die toskanische Landschaft lacht mir zu, natürlich ohne auch nur der Spur eines Campingplatzes, bis zum Lago di Trasimeno. Auf der Fahrt dorthin steigt mein Zorn auf die nicht vorhandene Karte, die jetzt irgendwo hier in der Gegend zerfleddert in Stefans Radltasche liegt. Im Übrigen habe ich gerade meine letzte Portion Tinte getankt und dreimal darf der werte Leser raten, was hier absolut nicht zu bekommen ist…

Castiglione de Lago. Mittelalterliche Burg auf Hügel. Sehr entzückende Altstadt rund um die Burg. Ein Schulwarenladen, in dem die Tinte ausverkauft ist. Ein Campingplatz-Hinweis. Ich möchte die sehr nette Dame an der Rezeption, die ein wenig englisch spricht und mir einen Stromadapter borgt, gerne küssen. Auch den weißhaarigen Mann, der mich so freundlich grüßt. Kaufe mir eine große Flasche Moretti Bier und setze mich vor den Bus und schaue auf den See.

Toskana2009_20Fazit des Tages. Manchmal ist jedwedes „was wäre wenn“ einfach nur Schall und Rauch. Wenn man die Dinge geschehen lässt, wie sie es ohnehin machen, landet man auf dem richtigen Platz.

24. September
Der Wind weht stark vom See her, den ganzen Abend und die ganze Nacht über, was sehr angenehm ist, weil er die Mücken in Schach hält. Am Nachmittag schläft der Wind ein, für drei bis vier träge, schwere Stunden in der Sommerhitze. Dann beginnt alles wieder von vorn.

Ich wasche zwei Maschinen Wäsche und freue mich wie ein kleines Kind auf den Moment, da ich mein müdes Köpflein auf das frische, weiße Leintuch betten kann. Der weißhaarige Mann grüßt mich wieder und versucht, seine Katze einzufangen, die Sylvia heißt. Draußen am Wasser ist es heiß und der seichte See rauscht, als wäre er der Ozean. Und ich, im Kampf mit davon fliegenden Handtüchern, der Herr der sieben Meere.

Der Tag verläuft, nein er verschleicht, friedlich. Ich fahre mit Stefans Mountainbike auf den Burgberg und der schmale Sattel drückt so sehr, dass ich am Abend nicht mehr einschlafen kann vor Schmerzen. Ich lese also Hakan Nesser fertig und betreibe Schmerzbekämpfung mittels Chianti.

Toskana2009_921jpgDie großen Erkenntnisse des Tages sind des Weiteren, dass
a) wenn ich in der Nacht verschlafen die kleine Lampe statt des Schalters berühre, bekomme ich eine Brandblase
b) wenn ich beim Ein- und Aussteigen sowie beim Umräumen des Buses nicht achtsam bin, schlage ich mir beide Knie blutig
c) wenn ich am Morgen auf ein Messer steige, dass ich am Abend nicht weggeräumt habe, bekomme ich eine Schnittwunde am Zeh.

25. September
Tag fünf in Einsamkeit. Diese verflixten fünften Tage. Die Verzweiflung stürzt sich auf mich wie ein verhungernder Grizzley kurz vor dem härtesten Winter in Alaska sich auf ein einsames Erdhörnchen stürzt. Es ist 10.04 an einem Freitag im September und es fällt wieder einmal ein Kartenhaus in mir zusammen. Der verflixte fünfte Tag. Ich springe aufs Rad und beschließe, den See zu umrunden, ein wahrlich waghalsiges Unternehmen, wie ich später fest stellen, als ich die Karte genauer studiere. Allein bis zum Ausgangspunkt sind es knapp 30 Kilometer. Das weiß ich aber zum Zeitpunkt meines Aufbruchs noch nicht und so radle ich mit der Verbissenheit des Verlierers auf der Tour de France Richtung Maglione, auf der Hauptstraße in der Gluthitze. Was für eine dumme Idee. Nach knapp zehn Kilometern in bestem Tempo platzt mir fast der Kopf, ich habe kein Wasser mit, sitze ratlos neben der Straße im Gras und werde auch noch von Fernfahrern angehupt. Sehr witzig.

Toskana2009_22jpgNachdem ich mich beruhigt habe, radle ich zurück und stelle fest, dass mit Rückenwind alles halb so wild ist. Wie im wirklichen Leben.

26. September
Ich bin im Paradies angekommen. Hoch über der Stadt Assisi liegt, versteckt zwischen Olivenhainen, eingebettet in Obst- und Weingärten, der friedlichste Campingplatz der Welt. Alle Zweifel und dunklen Schatten verfliegen und ich suche mir einen Platz mit Aussicht auf die Turmspitzen von Assisi. Sitze unterm Olivenbaum und rauche und sinniere vor mich hin. Was für ein Frieden.

Irgendwann am Nachmittag gehe ich den Weg durch die Olivenhaine und Gärten hinunter nach Assisi, wo es plötzlich ziemlich windig ist und ich den Kampf gegen das Element immer wieder verliere. Zur großen Freude und unter lautstarker Bestätigung der italienischen Männer versuche ich mein Kleid zu bändigen. Ich begebe mich auf die erfolglose Suche nach der Chiesa San Stefano, die gut beschildert, aber unauffindbar ist und besuche auf diese Weise mehrere Kirchen verschiedener Baustile, bis ich dann beim Dom des Heiligen Franziskus ankomme. Die Kirche ist wunderschön. Pilgerscharen zerstören die Stille.

Toskana2009_23jpgNach dem Genuss eines großen, viel zu warmen Biers spaziere ich zurück in mein Paradies, wo ein siebzigjähriger pensionierter Polizist meine selbsterwählte Einsamkeit zerbricht. Er spricht mich auf den himmelblauen Bus an, „piccolini“ und findet ihn unglaublich süß, „carissima“.

Ich stelle fest, dass ich eine ganze Woche mit niemandem gesprochen habe, außer den notwendigsten Dingen, und es beginnt aus mir herauszusprudeln, in meinem brüchigen italienisch. Enrico lädt mich auf einen Kaffe ein, in seinen Bus, „grande“ und dort lerne ich seine Freunde Arlety und Anotnio kennen, ein Paar aus Brasilien.

Aus dem Kaffee wird Abendessen, ich rede und rede und rede, auf englisch, deutsch und italienisch, lerne die Farben und Zahlen auf portugiesich und spiele bis tief in die Nacht hinein Karten mit den neuen Freunden, die es als Wunder von Assisi betrachten, dass sie nun ihr fehlendes viertes Kleeblatt gefunden haben.
Bevor ich nach der dritten Flasche Wein dem Verlust der Muttersprache nahe bin, wird mein Italienisch immer besser, was meine Gastgeber zum Staunen bringt. Woher all die Worte kommen, weiß ich nicht. Es muss in meinem Gehirn einen kleinen Kasten mit Passivwortschatz aus mehreren Fremdsprachen geben, der sich nur öffnen lässt, wenn das Über-Ich volltrunken unter der Couch eines Campmobils liegt.

Toskana2009_24jpg27. September
Wir wollten gemeinsam frühstücken, aber offenbar war es doch ein bisschen viel Wein für mich, gestern. Als ich gegen Mittag aufwache, finde ich eine Ansichtskarte unter meinen Weingläsern (frisch poliert) am Tisch vor dem Bus – die drei Freunde wollten mich nicht wecken. Zum Glück haben wir gestern in portugiesisch-italienisch-österreichischer Gründlichkeit noch emailadressen und Telefonnummern ausgetauscht. Die sind auch auf der Karte noch einmal vermerkt, zur Sicherheit.

Noch etwas wackelig auf den Beinen spaziere ich am Nachmittag nach Assisi, um vor der Kirche auf Stefan zu warten. Diesmal ziehe ich einen längeren Rock an und nehme zur Sicherheit noch ein Tuch mit 😉

Stefan kommt pünktlich um zwei zur Kirche geradelt. Auch er war gestern schon in Assisi und hat in dem Olivengarten neben der Kathedrale übernachtet. Seine Pilgergeschichten sind sehr abenteuerlich, meine Karte in einem ebensolchen Zustand und wir sitzen über zwei Stunden auf der Mauer in der Sonne und erzählen vom radeln, schweigen und sonstigen Dingen.
Toskana2009_25jpgIn der Pizzeria Duomo gibt es Abendessen und der Koch kann kaum fassen, dass es jemanden gibt, der quer durch die Toskana mit dem Rad gefahren ist. Nachdem mein italienisch nun aus den Untiefen aufgetaucht ist, erzähle ich diese Geschichte nämlich voller Stolz während Stefan sich wundert, warum ich zu Beginn der Reise nur englisch gesprochen habe.

Um all diese Dinge zu besprechen, dauert es natürlich länger als ein Abendessen und so sitzen wir noch bis drei Uhr morgens vor unserem himmelblauen Bett und reden und reden und reden.

Montag, 28. September 2009, Assisi
Nun ist der fast letzte Urlaubstag angebrochen. Morgen müssen wir an die Rückreise denken. Stefan hat Kopfschmerzen und will nicht aufstehen. Ich nutze diesen herrlichen Tag und räume das Auto um, immerhin gilt es nun, wieder das Gepäck von zwei Menschen unterzubringen. Und ich habe mich wohl organisiert und breit gemacht und will dies auch weiter selbst verwalten 😉

Also nutze ich Stefans Bewusstlosigkeit und gestalte die Raumverteilung neu. Sehr spät am Nachmittag schaffe ich es, Stefan aufzuwecken und dieser zweifelt nun an

a) der gesundheitszuträglichen Wirkung von einer halben Flasche Jameson um zwei Uhr früh
b) der Tragkraft seiner Magennerven
c) der Frage, ob es in Umbrien wirklich keine Meeresfrüchte gibt

Dies versuchen wir zu überprüfen und landen bei Spaghetti und Gnocchi und köstlichem Wein in einer kleinen Trattoria. Der Kellner verbringt seine Rauchpausen mit uns vor der Tür und will ALLES über die 300 Kilometer von Marina di Pisa bis Assisi per Rad erfahren. Selber würde er sich das nie antun, meint er.

Toskana2009_26jpg29. September
Wie üblich finde ich es zum Kotzen, dass wir nun wieder nach Hause fahren müssen. Gerade jetzt würde es gemütlich werden. Ich beschließe, dass ich einmal, in ferner Zukunft, ein ganzes Jahr durch Europa tingeln möchte. Unbedingt. Und jetzt erst mal: arrivederci, Olivenbäume, rote Erde, schwerer Wein und milde Abende. Perugia. Beim Cappucino am Marktplatz stellen wir fest, dass dies wohl nicht die übelste Stadt für ein Auslandssemester wäre.

Über meine absolute Lieblingsstrecke der Provinzstraße 222 fahren wir quer durch den schönsten Teil der Toskana… zum Heulen schön. Ansichtskartenmotive ohne Ende ziehen vorbei und hundert Stopps sind angesagt, um zu schauen und zu staunen. Das Ziel für heute ist Vinci, da ich unbedingt noch einmal das Leonardo-Museum besuchen möchte. Da aber die Strecke wesentlich anstrengender war als erwartet und wir sehr viel langsamer vorangekommen sind, als erwartet, wird es dunkel und Vinci ist noch nicht in Sicht. Dank Stefans navigatorischer Fähigkeiten… „ich sage Dir, wohin Du fahren musst“… kommen wir bei Dunkelheit am einzigen Campingplatz in der Nähe an, in San Baronto. Und hier ist der Sommer schon vorbei. Es ist kühl und feucht in der Nacht und wir flüchten uns ins Dorfgasthaus, in dem es vorzüglich zu speisen ist. Meeresfrüchte.

Toskana2009_27jpg30. September

Leider hat das Dorfwirtshaus am Vormittag noch nicht geöffnet. Der deal war Spielautomat gegen Museumsbesuch, aber nun steigt einer von uns beiden schlechter aus…

Leider hat das Leonardiano im Moment eingeschränkten Betrieb, weil saniert werden muss und so sind nicht alle Automaten und Maschinen von Leonardo da Vinci zu besichtigen, aber die kleine Auswahl ist ohnehin schon groß genug für einen halben Tag. Dieser Mann hat alles entworfen, von Uhren über Webstühle bis hin zu Fluggeräten, die auf dem Prinzip eines Hubschraubers funktionieren oder solchen mit beweglichen Flügeln. Nicht alles ist bis zur Reife ausgetüftelt, vieles existierte nur in Form von Skizzen. Aber hier im Museum gibt es zu jeder Skizze ein Modell und man kann sich vorstellen, wie Leonardo seine Maschinen zum „Leben“ erwecken wollte. Ein Wahnsinniger, Begnadeter.

Vinci liegt inmitten von Weinbergen und Hügeln sanft im Nachmittagslicht, als ich ganz bezaubert das Museum verlasse. Als ich im Museumsshop auch noch TINTE bekomme, ist mein Glück perfekt. Die verbliebenen Ansichtskarten werden geschrieben, das Tagebuch beendet. Es ist besser, das Tagebuch einen Tag vorm Heimkommen zu beenden, sonst schreibt man den letzten Tag nie auf und ist immer ein wenig beunruhigt darüber. Wobei das hier online wieder ganz anders ist, also online gibt es den letzten Tag.

Toskana2009_28jpgWir machen uns auf den Weg zum Gardasee und ich denke, es ist das Beste, noch einmal in Lazise zu bleiben. Sebstverständlich nicht aus romantischen oder erinnerungstechnischen Gründen, sondern AUSSCHLIESZLICH wegen der Meeresfrüchte.

1. Oktober
Am Gardasee noch einmal kurzärmlig mit dem Rad fahren, am Abend. Ja, Meeresfrüchte, jede Menge. Dazu einer der best gelaunten Kellner, die mir jemals begegnet sind, ein österreichischer Wirt, der einem deutschen Ehepaar die Ohren vollsingt und das leise Raunen von hunderten Touristen in den nächtlichen Gassen. Zu Hause hat es bereits geschneit, erfahren wir. Im Stubai nur noch fünf Grad in der Früh.

Was soll’s. Wir sind seit gestern oberhalb des 44. Breitengrades und werden uns heute Abend am… ja, auf welchem Breitengrad werden wir uns befinden? Richtige Antworten werden mit einem Kaffee belohnt!

Ich kann so gar nicht glauben, dass es nun kalt wird und beschließe aus Trotz, mein Sommerkleid anzubehalten. Das schaffe ich bis Bozen. Und jetzt mit viel Hoffnung durch den Winter. Immerhin. Beim Skitourengehen wird einem ja auch warm.

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