Die Normandie und so

27. Juni 2017

Und so starte ich in den neuen Tag. Die Route gestern Abend noch fein säuberlich auf einen Zettel notiert, den Orange Shop notiert, Öl und Wasser kontrolliert, Wanda hat wieder das Frühstück verweigert und ich auch. Ist einfach nicht unsere Zeit. Und ganz, ganz langsam, wird es einer von diesen Tagen. Zuerst finden wir den Orange Shop in Vannes nicht, obwohl der wirklich einfach zu finden gewesen wäre. Aber irgendwie haben wir wohl eine andere Stadteinfahrt genommen, oder ich bin plötzlich blind für Einkaufszentren, wer weiß. Ich beschließe, dass ich nicht schon in aller Früh herumsuchen will, wir haben 400 Kilomer Bundesstraße vor uns und es kommen ja noch genug Städte. Rennes. Wieder kein Cntre Commercial. Die Dinger verstecken sich heute. Fougeres. Lange Strecken durch Wald. Geradeaus. Ich bin ja eine Gegenerin dieses ständigen „hier sieht es aus wie in…“. Aber ich muss das einfach sagen. In Carnac, da sah es aus wie in Südengland und hier wie in Alaska. Ehrlich.

Endlich ein Einkaufszentrum. Mit MacDonalds, sodass ich rasch ins Internet einsteigen kann und die Fehler, die mir arbeitstechnisch gestern unterlaufen sind, als das Netz plötzlich weg war, korrigiere. Für mehr reichen meine Nerven nicht, denn Wanda ist alles andere als amused und so lästig, dass an ein normales Arbeiten nicht zu denken ist. Kein Wunder. Die letzten Tage hat sie im Wald verbracht, ist viel gelaufen und durfte spielen und toben. Das heute ist einfach nur LANGWEILIG! Mayenne, Alencon. Es geht gut voran, obwohl wir im Gegensatz zu meiner Zeitplanung mittlerweile eineinhalb Stunden Delay haben. Das macht grundsätzlich nichts aus, denn dann würden wir immer noch gegen sechs in Giverny ankommen und den Campingplatz im Dorf daneben finden. Also alles in allem Zeit ohne Ende, es wir ja erst gegn halb elf finster. In Giverny befindet sich das Monet Museum und die Gärten von Monet, ich möchte mir das so gerne ansehen! Wie hat dieser Mann gelebt?

Verneuil, Evreux. Wir hören Martin Suters „Der Koch“ und die letzte CD spinnt. Ärgerlich, die muss also bis morgen warten, muss gereinigt werden. Wir hören französiche Musiksender. Bonnieres. Und dann kippt der Tag endgültig. Wir finden einfach die Abzweigung nach Giverny nicht. Gar nicht. Was grundsätzlich den ganzen Tag über so gut gelaufen ist, abgesehen davon, dass ich immer noch kein Internet habe und Wanda quengelig ist, hört einfach auf. Für die letzten 20 Kilometer brauchen wir fast zwei Stunden. Wir fahren kreuz und quer im Kreis, im Feierabendverkehr, ich schwitze und danke Gott dem Herrn, dass es draußen seit sieben Stunden regnet, sonst wäre das noch schlimmer. Mit einem Riesenumweg kommen wir kurz vor acht in Giverny an und nun überschlagen sich die Dinge. Ich hatte einfach übersehen, dass in eines der größten impressionistischen Museen das Mitnehmen von Hunden verboten ist. Auch in den Garten. Außerdem hat beides schon geschlossen. Den Campingplatz im Nachbardorf finden wir trotz dreifacher Dorfdurchquerung nicht. Ich bin nun so weit, für heute ein Zimmer zu nehmen, aber es ist alles voll! Nach dem vierten Hotel, stehen bleiben, aussteigen, fragen, Wanda wieder einpacken, die sich nicht mehr auskennt, bin ich knapp am Verzweifeln. Der Tank ist auch schon wieder leer.

 

 

Was lernen wir heute, fragt Carissima. Nicht verzweifeln, sage ich. Und flexibel bleiben. Jep, sagt sie. Und vielleicht mal tanken, wenns leicht geht. Das mache ich auch und Carissima flucht, weil ich nur 25 Liter tanke. Ist schweineteuer hier, sage ich. Also echt jetzt, sagt sie. Wie so oft in solchen Momenten, wenn ich bereit bin, nun einfach ein Hotelzimmer zu nehmen, klappt gar nichts mehr, nach denen, die alle belegt waren, kommt nämlich einfach keines mehr. Drei Campingplätze waren in der Zwischenzeit angeschrieben, dann aber plötzlich nicht mehr, einfach weg. Tage wie diese kenne ich von jeder Reise, ich habe immer noch nicht herausgefunden, wie diese Dämonen entstehen, sie kommen einfach unerwartet und plötzlich klappt gar nichts mehr. Mittlerweile ist es halb zehn, ich habe noch nichts gegessen, Wanda dafür drei Mahlzeiten, ich habe außer zwei Kaffee noch nichts getrunken und denke nur noch an ein gutes Abendessen in einem netten Restaurant. Aber es kommt keines mehr. Kein Restaurant, kein Hotel. Dafür, wie aus dem Nichts, plötzlich ein Campingplatz. Und was für einer. Es dürfte in besseren Zeiten ein Hotel gewesen sein, das riesengroße Haus im Jahrhundertwendestil, in dem die Rezeption untergebracht ist. Ich gehe eigentlich eher pro forma zur Tür, denn welche Rezeption hat um diese Zeit noch offen, da winkt mir von innen jemand und eine Frau macht auf. Sie hat eine riesengroße Katze, die aussieht, als würde sie Wanda gerne als Vorspeise nehmen und wird dezent in den Nebenraum gesperrt, weil sich Wanda nicht mehr einkriegt. Sie will unbedingt spielen. Ich kriege noch ein kaltes Bier und während ich dieses bei strömendem Regen und dem Versuch, Wanda bettklar zu machen, trinke, beschließe ich, hier nicht nur eine Nacht zu bleiben. Es ist so herrlich still.

 

 

28. Juni 2017

Es ist warm und hat aufgehört zu regnen. Zum Frühstück bekomme ich ein frisches Croissant und danach stelle ich fest, wo ich eigentlich bin. Manchmal ist es sehr überaschend, wohin einen der späte Abend trägt, wenn man dann am nächsten Morgen endlich die Ruhe findet, fest zu stellen, wo man ist. Wir sind nämlich tatsächlich wieder an der Seine gelandet, dem Fluss, der uns gestern wegen mangelnder Brücken zum Teil fast wahnsinnig gemacht hat und den wir dann auf unserer Odyssee gefühlte 15 Mal überquert haben. Nach dem Frühstück also an die Seine. Wanda bringt Stöckchen aus dem seichten Wasser und es ist unglaublich still. Man hört nur das Wasser und die Vögel.

Das kleine Dorf heißt Bouafles und der Campingplatz ist mehr ein Schrebergarten als ein Campingplatz. Auf jeweils 200 Quadratmetern haben sich die Menschen hier ihre kleinen Paradiese erschaffen, mit Rosen, Gemüsebeeten, alten Bäumen, Lavendel, bemalten Steinen oder modernen Liegeterrassen. Jeder wie es ihm gefällt. Ich denke, das ist eine wunderbare Recherche für das „Co Aging“ Projekt. Fast bester aller Männer, spitz die Ohren! 200 Quadratmeter muss man wohl rechnen pro Person, damit man nicht das Gefühl hat, in einem Hühnerstall zu leben.

 

 

Außerdem für Dich recherchiert: ich bin in der Normandie. Die Strände, an denen die Alliierten damals gelandet sind, hießen Sword (in Ouistreham), Juno (Courseulles-sur-mer), Gold (Arromanches), Omaha (Colleville-sur-mer ) und Utah (Sainte-Marie-du-Mont) und zählen mit 101 anderen Schauplätzen zum offiziellen Kulturerbe der Normandie. Hinfahren tu ich jetzt nicht. Das machen wir wenn schon zusammen.

Carissima ist heute motzig, weil ich in der Nacht die Schiebetür offen hatte und es ein wenig herein geregnet hat. Sonst alles ruhig.

 

 

Ich koche Curry zu Mittag, dazwischen beginnt es wieder zu schütten und ich fühle mich wie in einer indischen Garküche bei Monsun, wie ich da unter meinem orangen Sonnenschirm lehne und versuche, nicht nass zu werden. Als es aufhört, gehen wir spazieren, hinauf in den Ort. Hier ist alles unglaublich schnukelig. Auf dem Campingplatz werden Boule Turniere und Abendzusammenkünfte auf Schultafeln angeküdigt, das Internet Kämmerchen befindet sich in einem hübsch zurecht gemachten Baucontainer. Oben im Ort beginnt es wieder zu schütten und wir flüchten uns unters Kirchendach, wo wir dann sitzen und vor dem Grab Joaquim de Macedos ausharren. Alt ist er nicht geworden. Wer er wohl war? Er ist der Erste im Grab, aber es sind frische Blumen da, wer bringt die? War er von hier? Sein Name ist interessant, war er es auch?

 

29. Juni 2017

Wo wir überall hinkommen, staune ich, als der Tag zu Ende geht. Ja, es ist nachgerade ein Wunder, sagt Carissima. Wir sind in der Champagne! Über Beauvais, Compiegne und Reims sind wir nach Epernay gefahren, das MITTEN in der Champagne liegt. Und zwar nicht unweit des Örtchens Hautvillers, in dem, wie mir die Dame am Campingplatzempfang erklärt, der Champagner erfunden wurde. Vom Bruder Perignon!

1668 kam der Mönch Pierre Pérignon, genannt Dom Pérignon (um 1638–1715), aus einem Kloster bei Verdun nach Saint Pierre d’Hautvillers und war dort bis zu seinem Tod Cellerar, der für die wirtschaftliche Versorgung des Klosters zuständige Bruder. Da die Weinproduktion eine der Haupteinnahmequellen des Klosters war, kam diese unter seine Aufsicht und er wurde somit auch de facto Kellermeister. Er brachte als erster den Champagnerwein zum Schäumen (Moussieren), untersuchte das Phänomen der Doppelgärung und verschnitt als erster Weine verschiedener Lagen zu einem Cuvée. Er hat die „Méthode champenoise“, ein Verfahren der Flaschengärung zur Herstellung von Schaumwein, maßgeblich mitentwickelt, nach heute herrschender Ansicht aber nicht erfunden. Auf ihn geht nachweisbar die Technik des Weißkelterns roter Traubensorten zurück. Zitat aus wikipedia!

Und weil ich nun mal ein Glückskind bin, ist Carissima wieder einwandfrei gelaufen und zufrieden, Wanda gefällt es hier, der Blues ist auf Höhe Reims zugestiegen, schläft aber nun in der Hängematte seinen Rausch aus und hier findet ab morgen das alljährliche Champagnerfest statt. Über zehn Gemeinden sind beteiligt, mit Kunst auf den Straßen, Live-Konzerten und Kellereibesichtigungen. Ich beschließe, mindestens drei Nächte zu bleiben und sehe mich schon mal im Veranstaltungskalender um, welche Konzerte für uns geeignet sind.

Heute sind wir, fast bester aller Männer, an einem der bedeutendstens Friedensdenkmäler der Normandie vorbei gekommen. Hier wurden sowohl nach dem Ersten wie auch nach dem Zweiten Weltkrieg Friedensverträge abgeschlossen. Das Denkmal ist nichts besonderes, aber eine sehr moderne Skulptur zum Thema Frieden hat mich begeistert. Ein riesiger Ring, auf dem in vielen Sprachen das Wort „Frieden“ eingraviert ist. In Gold natürlich.

 

 

30. Juni 2017

Was für ein aufregender Tag. Es ist kein Wunder, dass klein Wanda nicht schlafen gehen wollte. Zuerst haben wir die große Au entdeckt, unten am Flüsschen, das Marne heißt. Wie überall darf man seine Hunde nicht frei laufen lassen, nur schert sich keiner was drum und von dem abgesehen ist so gut wie kein Mensch unterwegs. Wanda darf also dort unten herumrennen, so lange es ihr Spaß macht und ich genieße die Wiese mit den großen Trauerweiden und den Fluss, der leise plätschert. So idyllisch!

Tagsüber versuche ich zu arbeiten, doch im Gegensatz zu gestern holpert das Internet plötzlich ganz fürchterlich. Ich kriege einfach keine gute Verbindung mehr zustande. Wechsle meinen Sitzplatz, das Tischchen, rücke alles mal hierhin, mal dorthin, völlig sinnlos. Gegen Nachmittag bin ich vom vielen Tischerlrücken schon ziemlich sauer, denn es kostet viel Zeit und ich bringe fast nichts weiter, und wir gehen wieder in die Au.

Heute um 19.00 Uhr beginnt das Champagner Fest und pünktlich radeln wir los, das Stadtzentrum ist etwa 20 Minuten mit dem Rad entfernt. Bringst Du mir ein Bier mit, ruft der Blues. Ich glaube nicht, dass es da großartig Bier geben wird, sage ich. Ich brauch auch nix, sagt Carissima. Ich staune. Normalerweise beharrt sie darauf, etwas mitgebracht zu bekommen. Aber nachdem ich die letzten drei Male völlig überraschend mit Magneten zurück gekommen bin und das Armaturenbrett nun langsam woll ist, mag es daran liegen, dass sie keinen mehr will. Auf der Avenue de Champagne ist es am Anfang noch ruhig, einzig die extremen Polizeikontrollen fallen auf. Ist denn wieder was passiert? Ich habe keine Ahnung! Nach akribisch genauer Rucksackkontrolle, während derer die Polizistin nicht darauf verzichten will, mit Wanda zu spielen, kommen wir in „Champagner Straße“. Hier reihen sich die großen Produzenten Tür an Tür, Moet Chandon, Dom Perignon, hier hat jeder seinen kleinen Palast mit Verkostungsräumen und Verkauf. Heute sind einige der Innenhöfe für das Fest geöffnet, mit Musik, Essen und natürlich Champagner.

Auf der Avenue sind Künstler unterwegs, kleine a Capella Truppen, die richtig gut sind, ein Komödiant, von dem ich leider kein Wort verstehe und eine Vierer Blasmusiktruppe. Neben diesen kleinen Gigs gibt es ein Konzert der örtlichen Blasmusiktruppe, sie spielen Klassik und Filmmusik und wir sitzen in der ersten Reihe. Danach ziehen wir weiter zu Bergere, hier wird Champagner ausgeschenkt und es spielt eine Zweiertruppe mit Gitarre. Partystimmung, kein Wunder, die Flasche Champagner wird um 25 Euro ausgegeben und so laufen die Menschen mit Gläsern und Flaschen in der Hand herum, suchen ihre Freunde und vor allem einen Sitzplatz. Nachdem ich keine ganze Flasche trinken möchte und der einzige Mensch hier, mit dem ich eine teilen würde, der Gitarrist ist, nehme ich ein Glas. Ich gebe ja zu, ich bin nicht der Champagner Typ. Aber cool ist es schon, zu sagen „Und, wo wart Ihr am Freitagabend? Ich war bei Bergeres, auf ein Glas Champagner.“ 😉

 

 

Im Park an der Avenue de Champagne spielt ein ziemlich coole Band, leider ist Wanda zu diesem Zeitpunkt schon reif für die Insel. Ist nicht schlimm, sie hat ein Blasmusikorchester ausgehalten, das Gedränge bei Bergeres, die Avenue, wo man nirgends pieseln kann, jetzt hat sie genug. Also schwinge ich mich nach zwei Stücken aufs Radl und wir fahren zurück. Um elf soll es noch ein Feuerwek geben, bin gespannt, ob man das vom Campingplatz aus sieht!

Dort habe ich mir dann übrigens eine Flasche Bordeaux aufgemacht, der so gut ist, dass mir die Tränen kommen. Ganz heimlich, Wanda schnarcht schon, sitze ich da und heule in das herrliche Rot. Champagner hin oder her.

 

1. Juli 2017

Fahren wir weiter, gähnt Carissima, und streckt sich. Nö, sage ich, ich habe gestern um zwei Nächte verlängert. Wird knapp mit heimkommen, sagt sie. Jep, sage ich, ich weiß. Keinen Bock? Nö. Verstehe ich, sagt sie, ich meine, was wartet da schon auf uns. Nix, sage ich, aus jetziger Sicht zumindest. Shit, das wird wieder voll die Härte. Du musst einfach durchbeißen und im September geht es weiter. Ja, schon, sage ich, aber das kanns doch nicht sein, hallelujah, ist das normal? Ist normal, Schwester, sagt sie, Benzinschwester, ist bei uns normal.

Als ich das nächste mal aufwache, schüttet es in Strömen. Ich Idiot habe das Zelt gestern nicht mehr aufgestellt, weil ich der blöden Wetterprognose vertraut habe, die bewölkt, aber durchwegs trocken verkündet hat. DAS HIER ist alles andere als trocken. Wanda will nicht raus, obwohl sie eindeutig muss, der Regen kracht auf Carissimas Dach, der Blues schnarcht vorne auf dem Beifahrersitz und jedes Mal, wenn ich die Tür auch nur einen Spalt aufmache, bilden sich Pfützen. Der Regen scheint echt von der Seite zu kommen. Du, kannst Du das mal lassen, ich bin doch kein Schwimmbad, nörgelt Carissima. Der Blues ist aufgewacht. Er streckt sich und will ein Fenster öffnen. Alter, sagt Carissima, sicher nicht. Er zuckt mit den Schultern und zündet sich eine Zigarette an. Ich habe langsam das Gefühl, diesem Zirkus nicht mehr Herr zu werden, steige aus und beginne, eine Plane zu montieren, damit hier langsam wieder normales Leben einkehren will. Ein Brite, der vorbei geht, nickt mir anerkennend zu, wie ich da mit Schlafzimmerblick und Unterhose mit einer 20 Quadratmeter Lkw Plane hantiere, die ich über Carissima spanne und so eine halbwegs annehmbare trockene Fläche erzeuge. Das korrekt verspannen ohne Pfützenbildung habe ich vom fast besten aller Männer gelernt. Bis auf eine Stelle klappt es auch diesmal, obwohl wir nur einen Baum zur Verügung haben, der uns Halt und Höhe gibt.

Gut, das wir das Fest gestern ausgekostet haben, denn heute wird das wohl nichts mit all den Open Air Konzerten und Ausstellungen, die in den benachbarten Ortschaften stattfinden sollen. Im Geburtsort des Champagner oder in Ay, ich habe einen ganzen Katalog mit Veranstaltungen bekommen. Also werden wir heute das wieder funktionierende Netz nützen und dann was kochen.

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