6 – Zurück aus den Highlands

Wir kommen am 10. Juni am späten Nachmittag in Ayr an und ich freue mich. Das ist ein Platz, an dem man ein wenig bleiben kann. Noch kämpfen Sonne und Regen gegeneinander, doch die Windgeschwindigkeiten steigen permanent. Ein Sturmtief ist im Anmarsch. Ayr ist eine Universitätsstadt und der Campingplatz liegt direkt neben dem Uni Campus am Fluss. Sprich, perfekte Nähe zur Stadt und zum Hafen, aber in der Nacht total ruhig. Es ist zauberhaft hier, neben der Uni gibt es einen kleinen Wald, in dem Wanda frei laufen kann und entlang des Flusses wäre an sich Leinenpflicht, nur hält sich keiner dran, also wir auch nicht. Wir gehen hinunter zum Strand und ich kaufe Fish and Chips, die ich dann umringt von gierigen Möven und Wanda, die sich nicht recht auskennt, was die Riesenvögel von uns wollen, an einem windstillen Platz im Sand esse.

 

11. Juni oder wie wir beim Viersterne Tierarzt waren

Nachdem wir gestern zu Fuß in das Städtchen gewandert sind, befinde ich, dass heute das Fahrrad reicht, denn es ist doch ein wenig weit. Außerdem muss ich einkaufen und da ist es besser, wenn Wanda im Rucksack sitzt und ich einfach tu, als wäre sie nicht da. Mittlerweile zappelt und springt sie nicht mehr im Rucksack und so kommen wir elegant durch den Boots und ein Lebensmittelgeschäft. Boots deshalb, weil ich mittlerweile aussehe, als wäre ich frisurtechnisch nicht ganz bei Trost. Gegen die wilden Spitzen und die sturmgepeitschte Haarstruktur kann ich eh nichts machen, aber die Farbe, die versuchen wir jetzt mal.

 

Zurück am Platz, wie sollte es anders sein, überschlagen sich auch schon die Ereignisse. Fredi (DANKE) hatte gestern noch gemeint, ich solle Wanda beobachten, jetzt quietscht sie, als ich sie am Bauch angreife. Also lasse ich alles liegen und stehen, packe sie wieder in den Rucksack und fahre in die Tierklinik. Auf halbem Weg komme ich drauf, dass ich das Geld im Auto vergessen habe und drehe nochmal um. Mittlerweile hat der Wind Sturmstärken angenommen, ich kämpfe gegen die wilden Böen und lande endlich in der Klinik. Vierstern ist das hier, mit zwei Damen am Empfang, alle im gleichen Outfit. Wandas Daten werden aufgenommen, dann kommt eine Krankenschwester und macht eine Erstuntersuchung. Sie drückt ein wenig an Wandas Bauch herum, fragt nach der letzten Läufigkeit und stellt eine astreine Scheinträchtigkeit fest. Ich bin ja auch so ein Depp. Aber beim letzten Mal war es nicht so auffällig! Wie auch immer, sie nimmt Wanda noch mit, um sie kurz der Tierärztin zu zeigen, die operiere aber gleich, meint sie, also nur ein kurzer Blick.

Entwarnung also. Wenn ich ein Medikament möchte, muss ich warten, bis die Tierärztin fertig ist, sonst kann ich gleich fahren, was mir die Nurse auch rät. Weil es ja nichts Schlimmes ist, sondern normal für Hunde. Völlig erledigt kommen wir wieder am Platz an und hier haben sich in der Zwischenzeit offenbar Möven über meinen Müllsack gemacht, denn der gesamte Müll liegt verstreut und verweht rund ums Auto. Dieser Tag heute, der kann echt was! Das darf gerne ruhiger werden.

 

12. Juni oder Sendepause

Wäsche waschen. Haare färben. Das Wetter beobachten. Es wird immer stürmischer.

 

13. Juni oder wie wir unser Fish and Chips wieder nicht geteilt haben

Der letzte Tag in Ayr. Da müssen wir noch einmal Fish and Chips genießen, in einer noch immer windstillen Ecke an dem großen Park am Hafen. Die Möven belagern und uns Wanda kann nicht fassen, dass sie nicht den ganzen Fisch bekommt, sondern nur sehr wenige kleine Stückchen.

 

Mittlerweile fliegt alles davon, was nicht angebunden ist und es gibt eine Sturmwarnung für den Norden.

 

14. Juni oder der lange Weg nach Gretna Green

Was gestern und auch heute noch so los ist auf Britanniens Straßen, das hören wir nun auf der Weiterfahrt im Halbstundentakt im Radio. Der Verkehr steht so gut wie auf allen Hauptstrecken irgendwo, Brücken sind gesperrt, der Fährbetrieb eingestellt und dort und da ist die Autobahn gesperrt, weil es einen Lkw umgeworfen hat. Für die Zustände, die da gemeldet werden, kommen wir richtig gut voran und ich kann es kaum fassen, dass wir zwischendrin sogar blauen Himmel haben!

Heute nämlich kommen wir an den Ort, wegen dem ich die Idee zu dieser ganzen Reise hat! Das Caerlaverock Castle! Das war nämlich so. Als Kind war eine meiner absoluten Lieblingssendungen „Robbie, Tobbie und das Fliewatüt“, ein Puppentheaterstück, das mittlerweile sogar verfilmt worden ist. Ich fand das damals einfach total super, die Musik war so spannend, und überhaupt. Eine der Aufgaben für Robbie, das Roboterkind und Tobbie, seinen Menschenfreund, war, eine dreieckige Burg zu finden. Eine ganz bestimmte. Und so reisten sie mit dem Fliewatüt nach Schottland, wo diese Burg war. Und irgendwann habe ich dann gelesen, dass die Vorlage für die Puppentheaterburg Caerlaverock Castle war! Ich habe mir alles ganz großartig ausgedacht, eine Ortschaft vorher gibt es einen Brit Stopps Halt am Hafen, aber um die Ecke ist auch ein Campingplatz. Die Burg, ich volle aufgeregt. Und dann.

Der Platz am Hafen ist genial. Nur im Moment ist der Wind so stark, dass die Bäume am Boden liegen und das finde ich wenig prickelnd, vor allem am Wasser. Der Campingplatz vor der Burg ist offenbar seit ewig geschlossen und verwaist, er schläft einen Zauberschlaf in einem verwunschenen Wald. Und die Zufahrtsstraße zum Schloss ist mit Balken abgeriegelt, Schloss gesperrt, keine Zufahrt. So geht das natürlich nicht!

Ich fahre also zurück, parke beim Caerlaverock Nature Reserve und verlasse mich darauf, dass der Pfad, der zwischen Fluss und landwirtschaftlichem Gebiet durch einen Zauberwald führt, irgendwo auch das Schloss ausspucken wird. Mit zweimal fragen, ein paar Menschen sind hier doch unterwegs, sind wir auf dem richtigen Weg und nach etwas über einer halben Stunde am Schloss. Es ist der Hammer. Und dreieckig.

 

Und dann gehe ich mir selbst wieder unglaublich auf die Nerven, weil ich mich nicht entscheiden kann, was wir tun sollen. Ein Platz, an dem es zu windig ist. Ein Campingplatz, den es nicht mehr gibt. Irgendwie ist Schottland jetzt zu Ende, aber das ging zu schnell. Der Blues liegt am Bett und lacht sich krumm. Und ich fahre einfach weiter, trotzig und zornig und total froh, dass ich die Burg gefunden habe.

 

Gelandet sind wir dann in Gretna, ja, das Gretna von Gretna Green, der letzten oder ersten Ortschaft in Schottland, dem Ort, an dem sich über Jahrzehnte Paare haben trauen lassen, die anderswo in Europa noch zu jung für diese Entscheidung waren. Rührige Geschichten gibt es hierzu, die man in dem kleinen Museum lesen kann.

 

15. Juni oder die Campingplatz Odyssee

Ich bin froh, dass wir gestern noch zu Fuß nach Gretna Green gewandert sind, denn am Abend war es noch einmal so richtig schön. Ich habe so ein Glück! Eine schwarze Regenwand steht über dem Land, doch mich erwischt es nicht. Alles, was ich bekomme, ist nach unserer Wanderung auch noch ein fetter Regenbogen! Es ist immer noch unglaublich windig und kalt, wir fahren weiter. Heute möchte ich gerne das Bronte Museum besuchen. Festhalten, hier war ich zum ersten Mal vor 36 Jahren!!! Seitdem ein Fan der viktorianischen Literatur, Wuthering Heights ungefähr zwanzig Mal gelesen und jedes Mal geheult.

 

Am Museum hat sich nicht viel verändert, wie auch, und an der Landschaft zum Glück auch nicht. Man hat dieses Stückchen Land, das Emily Bronte in ihrem Buch verewigt hat, einfach so gelassen. Und heute zeigt es sich von der Seite wie im Buch beschrieben: dunkel, stürmisch, ein wenig entrisch. Fast kann man sich vorstellen, dass der Geist des armen Heathcliff hier über die Felder reitet, wieder und immer wieder.

 

Heute scheint alles sehr perfekt zu laufen. Fast müsste einem das verdächtig vorkommen. Nach dem Museum fahren wir noch eine halbe Stunde zu einem zauberhaften Campingplatz und es ist drei am Nachmittag und ich bin happy. Am Platz sind wir willkommen, ob ich eh eine Toilette an Bord habe, meint die nette Dame. Weil das ein Platz ohne sanitäre Einrichtung ist. So ein elender Mist. Ich disponiere um, kann ihr ja nicht erzählen, dass in der kleinen Carissima eine voll ausgestattete Nasszelle ist. Oder dass es mir nach dieser Reise eh nix mehr macht, ins Gebüsch zu gehen. Wir sind hier im Großraum Manchester und nun gilt es, einen Platz zu finden, der nicht zu weit weg ist und den ich trotzdem finde. Der nächste ist 45 Minuten weg und nach eineinhalb Stunden Freitagsnachmittagsverkehr rund um Manchester haben wir den auch erreicht. Nur leider ist er voll.

Also suche ich weiter. Der nächste ist eine halbe Stunde weg, in einem Dorf, dass es laut meiner Karte nicht gibt. Adlington bei Chorey. Wie durch ein Wunder finde ich hin, fast wäre ich vorbei gefahren. Ich bin total k.o, aber was für ein Glücksgriff! Ein Bauernhof, eine Handvoll Stellplätze, daneben ein Kanal mit einer echten Marina und viele Möglichkeiten, mit Wanda zu spazieren. Es ist herrlich und es klart sogar noch einmal auf.

Die Hühner auf diesem Hof sind unglaublich selbstbewusst. Sie stellen sich einfach zu uns an den Bus und Wanda kann es nicht fassen, dass jemand ihr Revier so kühn verletzt, weiß aber nicht recht, was sie tun soll. Sie bellt nicht einmal.

 

16. Juni oder der Tag, an dem der Regen kam

In der Nacht hat der Regen begonnen und diesmal aber richtig. Es hört nicht mehr auf. Plan wäre jetzt noch Wales gewesen. Die Aussichten für die kommenden Tage sind besser, also wage ich es. Wir fahren durch das Land, an die Küste, es stürmt und regnet, dass es eine Freude ist und die Schilder, die mir erzählen, dass hier eine besonders schöne Landschaft zu sehen sei, verschwinden im Nebel. Ich peile Harech an, das liegt an der Küste und für morgen soll es da ein wenig schöner sein. Dann würde ich auch einfach bleiben.

Es gibt auch einen Campingplatz, direkt an den Dünen, und weil grad eine Regenpause ist, nehme ich den. Viersterne und so. Und leider unglaublich unpersönlich, über 100 Stellplätze. Das junge Paar an der Rezeption ist der einzige Lichtblick hier, sie sind total begeistert von Wanda, haben selbst einen Chihuahua und so tauschen wir uns aus.

Castle Harech geht sich auch noch aus, bevor der nächste Schauer kommt und im Dorf bekomme ich auch Kraut. Wegen Wanda. Weil man ja Umschläge machen soll, mit Topfen oder Kraut, wie bei uns auch. Und die Topfensache scheint ihr zwar gut zu tun, ist aber eine unglaubliche Sauerei. Das geht bei Regenwetter nicht.

 

Elegant formuliert beschließe ich am nächsten Morgen, aufgrund der erheblichen Belastung meiner finanziellen Reserven durch diesen Viersternplatz weiterzufahren. Außerdem schüttet es schon in der Früh wie aus Kübeln und Wanda will nicht an den Strand.

 

17. Juni und 18. Juni oder wie das kleine Relais nicht mehr wollte

Ich habe mir gestern Abend tatsächlich Zeit genommen, mal mein eigenes Horoskop anzusehen. Was da grad los ist, wegen Blues und so. Uranus im Quadrat zum Aszendenten! Ich ärgere mich unglaublich, nicht früher nachgeschaut zu haben. Du kannst jetzt gehen, sage ich dem Blues also am Morgen, ich weiß jetzt, wieso Du da bist. Und das wäre, meint er. Na, weil ich mich wieder mal zu nachhaltigem Funktionieren gezwungen habe und laut Uranus müsste ich jetzt einen Zirkus eröffnen, sage ich! Hahahahaha, lacht der Blues, da bleibe ich gerne noch, ich sehe, ich werde noch gebraucht. Ich bin verwirrt.

Am Abend verstehe ich dann, was er gemeint hat. Der Tag war extrem anstrengend, aber Wetter hin oder her, irgendwann müssen wir ja ohnehin in den Süden! Also halte ich durch. Wir kommen bis knapp vor Swansea, berühmter Küstenort, und ich habe einen Spießigkeitsschock nach Schottland. Hier ist es ein wenig wie Bibione im Hochsommer, nur viermal so teuer. Ja, wirklich. Ich weiß, dass Bibione auch nicht billig ist. Ich finde sogar den Campingplatz auf Anhieb, nur noch aus Gefühl, weil mit Karte grad gar nichts geht, und zuerst finde ich es hier noch ganz lauschig. Als ich zum Auto zurückgehe und starten will, höre ich es ganz klar: das kleine Relais, das wacker dafür gesorgt hat, dass eventuelle Stromschwankungen auf dem Weg zum Starter ausgeglichen werden, ist tot. Und darum geht nun gar nichts mehr mit starten. Ich gehe also zurück und bitte den Mann vom Campingplatz, zu schieben, was der schon wenig amusing findet.

Nachdem ich uns dann auf einem Plätzchen platziert habe, werde ich ermahnt, dass ich zu schnell gefahren bin und als ich dann unterm Auto liege, um das Relais wegzuschalten, glotzen alle, als wäre ich krank. Man ist hier definitiv nicht gewohnt, das etwas NICHT funktioniert. Mir geht das rechtschaffen schnell sauber auf die Nerven und der Blues findet das sehr spannend.

Aber immerhin springt Carissima gleich wieder an, sie findet aber wiederum den Blues nicht amusing und meint „dass in Schottland alles besser war“. Wanda ist die einzige, die das alles super findet, denn heute war Reisetag und darum gibt es wieder Nassfutter. Wenn ich nicht wüsste, wie viele doofe Hundehalter es gibt, würde ich darum beten, im nächsten Leben als Hund auf die Welt zu kommen.

Als endlich alles halbwegs klar ist, sortiere ich mal meine Wäsche, ein T-Shirt, ölverschmiert, eine Jeans, detto, acht Paar Socken, irgendwo im Auto verstreut, ich werde morgen nochmal waschen müssen. Bevor es wieder wie aus Eimern zu schütten begonnen hat, habe ich sogar das Zelt aufgebaut und da sitze ich dann und versuche, die Arbeit aufzuholen, die liegen geblieben ist. Und bekomme wieder diese leidige Meldung, dass mein Guthaben aus ist. HALLO! Ich habe für 40 Pfund 12 Giga gekauft, davon sind laut Statistik 5 Giga verbraucht und nun ist Schluss??? Ich kann das nicht fassen, logge mich auf die „Drei“ Seite ein, die immer wieder aufpoppt, um mir zu sagen, dass ich kein Guthaben mehr habe, und gehe dort in den Servicechat. Leute. Ich habe hier einen Berg Schmutzwäsche, mein Auto ist wieder auf „mal schon mal nicht“ und jetzt bin ich ohne Netz? Als ich endlich, nach einem langen Tag, vor dem Computer saß, war es halb zehn. Um kurz vor Mitternacht chatte ich dann immer noch mit Suresh von der „Drei“ Serviceabteilung. Die kann nicht glauben, dass ich kein Smartphone habe. Aber Leute, was würde das denn nützen, wenn hier Guthaben nicht richtig angezeigt wird? Ich bin stinkig. Der Blues schnarcht. Wanda auch.

Die Dame, die am nächsten Tag in der Rezeption sitzt, ist der Hammer an Unfreundlichkeit. Sie erklärt mir gewissenhaft, dass Wanda, die ich am Arm trage, nicht in den Bereich der Rezeption darf und geht mit mir vor die Tür, um mir zu zeigen, wo ich sie anbinden kann. Der Akt, eine weitere Nacht zu bezahlen und Waschpulver zu kaufen, dauert genau 40 Sekunden, ihre Erklärungen mit Hund und warum und wo und überhaupt etwa zwei Minuten. Ich habe keine Zeit für solche Zeitverschwendung und merke, dass ich Menschen, die sich für so einen Scheiß Zeit nehmen, fast ein wenig beneide. Die haben Zeit für richtigen Blödsinn! Ich nicht! Ich eile zurück, wasche eine Ladung Wäsche, kaufe mir 24 Stunden Campingplatz Wifi und arbeit bis zehn Uhr am Abend durch, mit kleinen Pausen zum spazieren mit Wanda und die Wäsche wieder holen. Es regnet und als es mal zwei Stunden aufhört und das Zelt trocknet, packe ich es wieder ein. Hier muss ich echt nicht bleiben. Der Blues hat sich in Findhorn Tarot Karten gekauft und will, dass ich eine ziehe. Lass mich in Ruhe, sage ich. Dann gehe ich zur Tankstelle und kaufe ein Bier für mich. Und eines für den Blues.

 

19. bis 25. Juni

Beim Weiterfahren gießt es wieder wie aus Kübeln. Cornwall wird also ausgelassen. Ich mache meine übliche Liste, auf der vermerkt wird, wie oft Carissima startet und wie oft nicht. Wenn das nur einmal aus 30 ist, dann kann ich mich darauf einlassen, so nach Folkestone und auf den Zug zu fahren. Am Ende des Tages zeigt sich aber, dass es einmal aus sechsmal ist und das ist mir einfach zu viel. Es macht mich nervös. Zuerst aber auf nach Stonehenge – ich habe entdeckt, dass es tatsächlich auf unserer Strecke liegt! Dass hier viele Menschen sind, hatte ich erwartet. Und auch, dass das was kosten darf. Also stelle ich mich brav an der Kassa an, um meine 20 Pfund Eintritt zu zahlen. Dort steht auch eine junge Dame, die Informationen zum „National Trust“ gibt, wenn man da Mitglied wird, dann zahlt man in den National Trust Sehenswürdigkeiten keinen Eintritt. Ich frage sie, wie das mit Hunden ist. Nein, meint sie, Hunde dürfen nicht ins Museum (das dachte ich mir) und auch nicht in die Zubringerbusse zum Steinkreis (keine Ahnung, warum) und auch nicht zum Steinkreis selbst. Ich frage sie, wohin denn dann Hunde dürften und sie sieht sehr nachdenklich aus. Dann lässt sie mich durch die Absperrung aus der Warteschlange und erklärt mir den Fußweg zum Steinkreis. Wir wandern also etwa 40 Minuten durch die Landschaft und kommen dann an der Stelle aus den Feldern, an der auch die Busse halten. Der Spaziergang ist besser als der Bus, falls mal wer von Euch in die Nähe kommt. Und das Irre: ohne Eintrittskarte und mit Hund kommt man original fast genauso nah an die Steine wie mit! Der Unterschied beträgt ganze zwei Meter.

 

Unterwegs begegnet mir ein Mann mit einem Fahrrad, der im Nachbardorf wohnt. Er hat Freunden geholfen, die vorne am Parkplatz campen wollten, was man natürlich nicht darf. Und morgen, meint er, sei ja die längste Nacht des Jahres und da werde der Steinkreis am Abend für alle zugänglich gemacht, tausende Menschen kommen da jedes Jahr und große Party und überhaupt. Hunde? Nein, die sind am Gelände nicht erlaubt. Irgendwie bin ich froh darum, denn sonst wäre ich vermutlich geblieben und dann wieder grenzenlos überfordert gewesen ob der großen Menschenmenge.

Weiter also. Nach dem langen Spaziergang und den beeindruckenden Steinen würde ich gleich irgendwo in der Nähe campen, doch der nächste Platz, der auf der Karte eingezeichnet ist, ist unauffindbar. Der übernächste auch. Und so koffern wir über Nebenstraßen durch Südengland und landen dann erst recht auf dem Platz, den ich am Morgen ausgesucht hatte, ein Farmcamping in West Wittering am Ende der Welt. Aber am Meer.

Nachdem ich eingecheckt habe, springt Carissima nicht mehr an. Der junge Mann an der Rezeption sieht das gelassen, schiebt mich an und erklärt mir auch gleich, wo in der Nähe eine Werkstatt ist, die auch deutsche Autos macht, falls ich eine brauche.

 

Da sind wir tags drauf auch hingefahren. Bei bestem Wetter wohlgemerkt, für das Wochenende wird richtig Sommerwetter angesagt. In der Werkstatt mit den deutschen Autospezialisten hat man null Interesse, mir zu helfen, in der Werkstatt daneben aber schon. Carol, die Dame an der Rezeption, ist sehr bemüht. Die Mechaniker allerdings können das nicht glauben, dass ich weiß, was kaputt ist und wollen sich auf die Suche nach dem Fehler machen, was ich zum Glück abwenden kann. Das haben schon so viele versucht und ich habe Angst, bis Weihnachten hierbleiben zu müssen, wenn da jetzt wieder jemand von vorne anfängt. Ich will ein neues Relais e basta.

Das neue Relais zu besorgen gestaltet sich aufwendiger als erwartet, Carol telefoniert wild herum und meint nach etwa einer Stunde, ich solle am nächsten Tag anrufen, eventuell könne man in Portsmouth ein solches Relais bekommen. Ich fühle mich ein bisschen, als hätte ich versucht, auf die schnelle ein goldenes Klo zu bestellen. Aber gut. Den Rest des Tages liege ich in der Sonne, fahre mit dem Fahrrad einkaufen und genieße die riesengroße Hundewiese hier. Am Campingplatz sind hauptsächlich ältere Dauercamper, die fast alle Hunde haben und es ist richtig nett.

 

Am nächsten Tag die gute Nachricht, das Teil ist da. Ich kann es abholen. Nein, meine ich, abholen reicht nicht, ich hätte es gern eingebaut, denn dazu wäre eine Hebebühne ganz nett. Aha. Dann solle ich um zwei kommen, Carol würde mich da nach der Mittagspause einschieben. Und nun stehe ich vor der Werkstatt. Ich darf nicht hinein unter die Hebebühne, weil der Chef da ist und dafür sei man nicht versichert. Also nicht dafür, dass der Chef da ist, sondern dafür, dass Kunden unter der Hebebühne stehen. Der Mechaniker, der selbst einen Chihuahua hat und lieber über Hunde reden würde als hier rumzuschrauben, meint, er würde das Relais jetzt tauschen und so wieder anstecken, wie er es vorgefunden habe, weil er sowas nicht nie gesehen habe. Na super. Also so anstecken, dass es nicht angesteckt ist, weil ich das kaputte Relais ja abgesteckt habe. Langsam ist mir alles wurscht.

Zurück am Campingplatz schlüpfe ich also wieder unters Auto, stecke das Relais an und versaue mir wieder meine Jeans. Carissima springt an und ich beschließe, jetzt nichts mehr zu waschen, ich habe einfach keine Lust mehr. Nächstes Mal nehme ich eine Arbeitshose mit. Besser noch einen Overall, Ganzkörper. Ich bin ziemlich erleichtert und auch ziemlich erschöpft.

Am Freitag versuche ich, ein wenig zu arbeiten, was bei dem wackligen Internet hier nicht einwandfrei klappt. Aber ein paar Stunden gehen doch. Dieser Platz hier heißt „Scott’s Farm“, ist nicht unbedingt klein, aber überschaubar und wird hauptsächlich von Dauercampern genutzt, wie es aussieht. Hinter der Fläche, auf der die Camper stehen, sind drei riesengroße Felder, ich kann das nicht in Quadratmetern schätzen, aber richtig, richtig groß. Ich denke mir, wahrscheinlich für den Sommer. Und dann kam der Freitagabend.

Binnen zwei Stunden haben sich etwa 200 Fahrzeuge auf der ersten großen Wiese eingefunden, die zweite füllt sich gerade. Jedem Fahrzeug entspringen ein Paar glücksstrahlende Jungeltern mit mindestens drei Kindern und einem unerzogenen Hund – denn dafür ist nun wirklich keine Zeit mehr. Die gestressten Mütter geben klare Anweisungen, was zu tun ist, um die häusliche Ordnung sofort wieder herzustellen, wo kämen wir da hin, wenn beim Campen plötzlich alles anders werde. Und so bauen die Männer Zelte auf, um die Zelte kleine Zäune, Sitzgruppen aus Kunststoff, auf die dann pinkes Plastikgeschirr drapiert wird und packen das Kinderspielzeug aus. Dann stehen sie um die Zelte herum und dürfen ein wenig mit anderen Männern fachsimpeln und das erste Bier trinken, während die Mütter – lautstark darauf hinweisend, dass sie gestresst sind – das Abendessen zubereiten. Danach übertragen sie die Obhut der Kinder an die Männer, die mittlerweile allesamt leicht illuminiert in ihren Campingstühlen fläzen. Beim Abwasch erfahre ich dann, wie anstrengend das Muttersein ist, wie stolz man auf sich sein könne, das alles so dramatisch gut hinzubekommen und nehme den ein oder anderen Machtkampf wahr, wer denn nun besser sei. Besser sein zeigt sich in den Schulnoten der Kinder, im sportlichen Engagement der Mütter und an den Pfadfindergruppen, die man unterstützt. Der Weg zur Hundewiese führt genau über diese Fläche. Der Weg durch die Vorhölle.

Leicht traumatisiert komme ich wieder beim Auto an, wo mir ein Nachbar (Dauercamper), der weit über 70 ist und hier die meiste Zeit von Frühling bis Herbst hier verbringt, erzählt, dass das jedes Wochenende so sei. Der Bauer Scott mache das sehr klug, denn am Freitagnachmittag eröffne er die beiden großen Felder und sperre diese rigoros am Sonntag um 17.00 Uhr wieder ab, was die Familien zur pünktlichen Abreise zwinge. Ich finde den Bauern Scott auf einmal sehr sympathisch, obwohl ich ihn nicht kenne. Der Mann meint noch, er sei heilfroh, dass ich mich neben ihn gestellt habe, denn jeden Freitag müsse man beten, dass sich nicht doch eine Familie mit Kleinkindern als Nachbar zeigt und dann sei es besonders schlimm. Ich finden den Typen in seiner Ehrlichkeit zum abknutschen. Ohne seine Information wäre ich wohl morgen abgereist, aber so denke ich mir, Samstag und dann ist’s eh schon fast vorbei.

Die Kinder, die nach Autofahrt, Spielplatz und Abendessen rechtschaffen überdreht sind, rennen und fahren dann noch bis nach elf schreiend über den Platz, die kleineren werden in dieser Zeit geduscht und schlaffertig gemacht, die Duschen sehen danach aus, als wäre eine Armee einmarschiert. Die Wiese auch. Müll wegräumen darf dann der Bauer Scott, wie es aussieht.

Am Samstag beginnt das Theater um kurz nach acht, aufgeregte Kinderscharen rennen schreiend umher, während die tüchtigen Mütter sich akribisch genau auf den Strandaufenthalt vorbereiten. Dann werden auch wieder die Väter gebraucht, die den ganzen Krempel an den Strand schleppen dürfen. Und dann ist plötzlich Ruhe. Der Platz ist wie verlassen. Ich habe mir das heute so eingeteilt, hier am Platz zu bleiben, bis die anderen alle wiederkommen und dann an den Strand zu gehen. Bis es soweit ist, habe ich mir einen saftigen Sonnenbrand geholt, ganz im Gegensatz zu den hochmotivieren Müttern fehlt mir die Erkenntnis, dass man den am schnellsten kriegt, wenn es leicht bewölkt ist. Und so sitze ich mit einem leichten Sonnenstich und betrachte den Sonnenuntergang. Trinke mein vorletztes Stiegl, das ich gegen Heimweh mitgebracht habe.

Hier wird übrigens nicht bis in die frühen Morgenstunden gefeiert. Die Dauercamper Briten treffen sich am frühen Nachmittag, trinken Bier, bis sie leicht stammeln und dann verschwinden alle in ihren Zelten und es wird still. Bis auf die Gruppierung um die überdrehten Kinder. Diese versuchen mit mehr oder weniger großem Erfolg, Lagerfeuerchen zu entzünden und versetzen die gesamte Fläche des Campingplatzes und der herumliegenden Felder in einen Zustand der benzingetränkten Rauchigkeit. Die Staff Mitglieder des Campingplatzes fahren mit ihren Motorrollern umher und ermahnen den ein oder anderen, der es gar übel rauchen lässt, doch nachdem der Wind am Abend immer gegen null geht, bleibt der Rauch einfach gemütlich hängen – bis in die frühen Morgenstunden.

Am 25. Juni brechen wir die Zelte hier ab und reisen weiter Richtung Folkestone, wo wir in einem entsetzlich großen „Holiday Park“ Unterschlupf finden, um alles nochmal schön zusammen zu packen, morgen geht es zurück nach Frankreich.

 

26. Juni 2018

Die letzte Stunde Großbritannien tuckern wir auf Nebenstraßen nach Folkestone, Zeit ist genug, ich habe den Zug um 14.40 gebucht. Uranus lässt grüßen – nachdem ich beim Abwaschen in der Früh umgeknöchelt bin und mir das Außenband gezerrt habe, darf ich nun das Kupplungspedal mit einem in dicken Verband gebetteten Fuß bedienen. Bei der Ankunft am Eurotunnel Terminal funktioniert der von mir gewählte Eincheckcomupter nicht und ich laufe zwischen Autos herum, um jemanden zu finden, der mir mein Ticket ausdruckt. Dann werden wir nach der Passkontrolle auch noch aus der Schlange gepickt und zum Super Security Check geschickt, wo man Carissima auf Sprengstoff untersucht. Jetzt würde nur noch fehlen, dass der blöde Zug steckenbleibt, ich bereite mich darauf vor und lerne auf der 35minütigen Überfahrt die Sicherheitshinweise auswendig.

 

Passiert aber nichts. Um knapp nach vier Uhr nachittag Ortszeit kommen wir in Calais an und ich nehme den Campingplatz vom letzten Mal, kaufe mir im Supermarkt ein Fertiggericht (nicht so schlimm, wie es klingt, hier gibt es köstliche fertig zubereitete Couscousvariationen) und lasse den Herrgott einen guten Mann sein.

Wir werden hier einige Tage bleiben und dann langsam heimfahren. Ich verabschiede mich aber jetzt schon – es wird noch ein paar Bilder geben, aber nicht viel mehr, denn in den vergangenen beiden Wochen ist viel Arbeit liegen geblieben und ich muss mich nun noch mal ordentlich reinhängen, bevor ich nach Hause komme.

Der Blues ist übrigens irgendwo am Terminal verloren gegangen, ich habe ihn seit Folkestone nicht mehr gesehen.

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