Wenn es Dir gefällt

Erster September 2017
„Ja, wenn es Dir gefällt, so rumzugondeln, dann ist das genau das Richtige für Dich“, sagte letztens jemand zu mir. Ich kann mit diesem sehr hilflosen Satz nichts anfangen, aber es beschäftigt mich, wie eigenwillig die Reaktionen der Menschen ausfallen, wenn ich erzähle, dass ich wieder losfahre. Die meisten Menschen wünschen mir einen schönen Urlaub und ich sehe, wie sie still in ihrem Köpflein grübeln, wie ich mir das leisten kann. Irgendwann einmal habe ich versucht, zu erklären, was der Unterschied zwischen einem Urlaub und einer Reise ist. Dass ich hart arbeite unterwegs und dass zwei Drittel dessen, was ich da arbeite, zu Hause nicht entstehen könnten. Weil ich halt so bin. Während ich mich erkläre, sehe ich jeweils, an einem unbestimmten Punkt meiner Erzählung, den Blick meines Gegenübers leicht glasig werden, die Abwesenheitsstufe ist erreicht. Und wenn ich dann fertig bin, dann wünschen sie mir einen schönen Urlaub.

Vielleicht sollte ich es unterlassen, mich zu erklären.

Von diesen Gedanken abgesehen war der Sommer fürchterlich. Fürchterlich heiß. Fürchterlich viel Druck. Fürchterlich viel Arbeit. Fürchterlich oft das Gefühl, es nicht mehr bewältigen zu können, die Arbeit, den Alltag. Fürchterlich oft kein Grund mehr zu lachen. Und dann kommt der erste September, Carissima ist fast fertig gepackt und unser erstes Ziel steht fest. Und auf einmal ist alles ganz leicht.


7. September 2017

Die Nacht vor der Abfahrt. Alles eingepackt? Wer weiß. Die Gitarre fehlt noch, die Kamera auch. Das Notebook und diverse Ladekabel. Ich selbst natürlich und Wanda und Luis, der fünf Zentimeter große Teddy, der seit 2011 mit dabei ist. Um den Blues muss ich mich nicht kümmern, der stand heute schon fix und fertig mit seinem Rucksack am Auto. Er dachte wohl, wir fahren schon heute los.

Die Blumen sind versorgt, der Brief für den Briefträger vorbereitet und alles sieht schon wieder viel zu perfekt aus. Mal sehen, wie das dann morgen startet. Good night and good luck.

 

8. September bis 13. September
Ach, wie die Zeit vergeht. Wir sitzen in einem kleinen Tal in den Nordalpen fest. Zuerst ein Wochenende in der Natur, das Hündlein ist begeistert. Dann das Abklären meiner Wahlkarte, die angeblich diese Woche kommen soll, was die Dame am Gemeindeamt aber vehement bestreitet. Im Radio höre ich, dass die Bedingungen für Briefwähler sich ändern sollen, man würde das kommende Woche verkünden. Sehr witzig. Wie kurzfristig glauben die eigentlich, agieren zu können? Nachdem ich also in Erfahrung gebracht habe, dass meine Wahlkarte zwar nach Italien geschickt werden könne, deren Ankunft aber keineswegs sicher sei und man außerdem nicht wisse, wann die Karten überhaupt bereit zum Verschicken seien, reicht es mir und ich mache mich auf den Weg.

 

14. September
„Der Brenner ist ein 1370 Meter über dem Meeresspiegel hoch gelegener Übergang im östlichen Alpenhauptkamm. Er verbindet die Stubaier Alpen im Westen mit den Zillertaler Alpen im Osten und trennt die Süd- und Nordtiroler Abschnitte des Wipptals voneinander. Der Pass ist zusammen mit St. Gotthard, Simplon und Mont Cenis eine der vier bedeutendsten Routen des Alpentransits, für den Straßenverkehr die meistgenutzte überhaupt. Er ist auch die meistbefahrene Verbindung zwischen Österreich und Italien. Das Gebiet des Passes gehört auf der italienischen Seite zur Gemeinde Brenner, auf der österreichischen zur Gemeinde Gries am Brenner“, erzählt Carissima. Woher weißt Du das? frage ich. Ausm Internet sagt sie (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Brennerpass). Aja, sage ich. Das ist ja super, dass wenigstens einer von uns Netz hat! Wieder einmal habe ich akribsch genau notiert, wo der nächste TIM Laden ist und will dort „Internet to go“ erwerben. Ja, es ist wahr, ich habe immer noch kein Smartphone, dementsprechend auch keinen schicken Europatarif und muss mich um Internet gesondert kümmern. Dieses wartet laut Netz in Sterzing auf uns. Im Gegensatz zu anderen Menschen muss ich die erworbenen Informationen in meinem Köpflein speichern, bis ich sie benötige, eben weil ich kein Smartphone habe. Und so habe ich in meinem Kopf gespeichert, wo der TIM Laden in Sterzing ist.

Sterzing, Vipiteno, sagt Carissima, „ist eine Stadt und eine italienische Gemeinde mit 6849 Einwohnern (Stand 31. Dezember 2015) in Südtirol. Zur Gemeinde Sterzing zählen neben dem engeren Stadtgebiet die Ortschaften Tschöfs, Thuins und Ried. Aufgrund der Lage zwischen den alpinen Übergängen Jaufen- und Brennerpass sowie Penser Joch war Sterzing seit alters her eine wichtige Handelsstadt“ (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Sterzing). Hm, sage ich uns muss an jenen unsäglichen Besuch am Weihnachtsmarkt in Sterzing denken, bei dem ich mir zwei Pullover gekauft habe, weil es so kalt war und diese danach nie mehr getragen habe, weil sie so kratzten.

Nach dem „Sergio“, der an der Hauptstraße liegt, weiterfahren, über den Bach, dann sofort rechts abbiegen, habe ich mir gemerkt. Und da strahlt mir auch schon das TIM Schild entgegen. Einen Parkplatz gibt es auch und wider Erwarten ist die Sache in 15 Minuten erledigt. Meine alte TIM Karte gilt nicht mehr, nein, aber man könne mir eine neue plus 10 Giga Datenvolumen für einen Monat anbieten. Passt doch. Wir gehen zurück zum Auto, zahlen 90 Cent Parkgebühr und fahren weiter. Carissima ist ohne Probleme angesprungen, das Hündlein sitzt in seinem Korb. Wenn alles so glatt läuft, kommt’s am Ende immer dick, sagt der Blues. Er liegt auf dem Bett und zündet sich eine Zigarette an. Du, ich mag’s nicht so gern, wenn Du im Auto rauchst, sage ich. Er fixiert meinen Blick im Rückspiegel. Das ist neu. Wenns am Anfang so glatt läuft, kommt es am Ende immer dick, sagt er, und inhaliert tief. Seine Augen sind schön, bemerke ich, jetzt, wo wir einander im Rückspiegel ansehen.

Wir fahre über die Bundesstraße bis Bozen, Brixen, Apfelbäume und Traktoren mit Anhängern voller Trauben. Die Wolken hängen dick und grau fast bis auf den Grund und manchmal tröpfelt ein wenig Regen gegen die Winschutzscheibe. Der Blues liegt auf meinem Bett, auf dem Rücken und lässt den Kopf über den Matratzenrand nach unten hängen. Mir würde ja schlecht werden, aber vielleicht wird einem Blues einfach nie schlecht, wer weiß. In Bozen kurz auf die Autobahn. Dem Hündlein reicht es und es will auf meinem Schoß sitzen. Kurz nach Bozen wieder runter von der Autobahn.

 

Trento. Irgendwo ein schneller Kaffee. Riva. Limone. Und dann die Abzweigung nach Tremosine. Eines der „vergessenen Dörfer“, die ich auf meiner Reise besuchen möchte. Ich bin mir aber erstens nicht ganz sicher, ob der Autor des Beitrages wirklich wusste, was der da schreibt (zum Beitrag) und zweitens, ob es nicht so ist wie Ephraim Kishon schon ausführlich beschrieben hat: in dem Augenblick, in dem Du einen Geheimtipp in einem Zeitungsartikel beschreibst, ist es vorbei mit dem Geheimtipp. Dementsprechend kommen mir auf der schmalen Straße, die sich den Berg hochschlängelt, viele, viele Autos entgegen, alle mit deutschen Kennzeichen. Die Kennzeichen hinter mir kann ich nicht ausmachen, aber es sind viele. Irgendwann bleibe ich also an einer Bushaltestelle stehen und lasse den Stau, den ich verursacht habe, vorbei. Und irgendwo bleibe ich dann bei der entzückendsten Gärtnerei stehen, die ich je gesehen habe. Minikleine Olivenbäumchen stehen hier neben winzigen Orangen- und Zitronenbaumbabies in Reih und Glied und neben blühenden Sträucher und Obstbäumen aller Art verkauft man hier auch Gemüse und Obst aus der Region. Und Olivenöl und Wein. Nachdem ich nur einen 100 Euro Schein mithabe, kaufe ich soviel ein, bis der junge Mann an der Kassa mir heraus geben kann und bin nun ausgerüstet mit herrlichem Olivenöl, Biowein und Gemüse für eine Woche. Außerdem erfahre ich, dass ich, wenn ich der Straße weiter folge, wieder an den See komme und die Straße „sehr klein“ sei. Das ist sie auch. Herrlich schön. Und so klein, dass bei der Abfahrt zum See ein Stau entsteht, weil die Autofahrer nicht recht wissen, wie das mit dem Aneinander vorbei fahren geht. Ich hänge mich an einen Lieferwagen mit italienischem Kennzeichen und mache knallhart das, was er tut. Gas geben und hoffen, dass die bergauf fahrenden Niederländer einfach irgendwo stehen bleiben.

 

Mittlerweile ist es später Nachmittag. Es hat längst zu regnen aufgehört. 26 Grad. Wir finden den Campingplatz, den ich in meinem Köpflein gespeichert hatte, auf Anhieb. Wenn alles so glatt geht, kommt es am Ende meistens dick, sagt der Blues. Sag mal, sage ich, hast Du Dir schon mal überlegt, dass das dicke Ende vielleicht Du selber bist? Wie Du meinst, sagt er, und hüpft aus dem Auto. Hast Du mal nen Fünfer, ich geh Bier holen. Ich gebe ihm 10 Euro und gehe zur Rezeption. Ob ich reserviert habe, meint die Dame. Nein…

 

15. September
Es war dann noch ein Plätzchen frei, zum Horrorpreis von 32,50 Euro für Carissima, mich und das Hündlein. Der Blues ist den Abend über weg geblieben. Vom Bier habe ich nichts gesehen. Lass uns morgen früh aufbrechen, sagt Carissima. Geht klar, sage ich. Am Morgen, als ich zusammen packe, fangen zwei Rosenheimer mit mir zu reden an, sie hätten vier Campingplätze abgeklappert, erzählen sie, und überall war komplett ausgebucht. Also gar nicht so doof, dass wir einfach hier geblieben sind. Eine ÖAMTC Camping Karte brauche ich, weiß ich jetzt, nach dem Gespräch mit den Rosenheimern. Und dann fahren wir los.

 

 

Desenzano, Castiglione, Piadena, Parma. Ich höre ein ziemlich cooles Hörbuch, das mich mitnimmt. Der Blues schläft auf dem Bett. Er ist völlig verkatert, wie immer er das mit 10 Euro angestellt hat. Wenigstens raucht er nicht. Das Hündlein schläft auch, in seinem Korb. Kurz auf die Autobahn, um Parma zu umfahren. Dann bei Fornovo die Taro ab auf die SS62. Hier befinden wir uns auf dem Franziskus Weg Richtung Rom. In Berceto soll es einen Campingplatz geben. Die Aussicht vom Pass auf die umliegenden Hügel ist grandios und die Sonne kommt kurz heraus. Ich finde den Platz, checke, ob ich hier Internet habe und beschließe, zu bleiben, bis der Regen vorbei gezogen ist. Denn auch hier nähert sich die nächste Regenfront, die bis Montag bleiben soll.

Das Hündlein beobachtet ein wenig verstört, wie ich das Zelt aufbaue und ich bin wieder einmal überrascht, dass es am Ende dann doch steht. Es ist erst vier Uhr nachmittags, doch zum Arbeiten viel zu spät. Nach und nach trudeln andere Gäste ein. Für Camper gibt es nur drei Stellplätze, die übrigen beiden werden von Paaren mit Kleinkindern belegt, auf der Wiese ein Stück oberhalb bauen zwei wackere Radfahrer ihr Zelt auf. Ich danke Gott dem Herrn, dass die Zeltzeiten vorbei sind, in denen ich am Morgen mit Müh und Not meinen Körper wieder in aufrechte Haltung gebracht habe. Danke Carissima, Dach über dem Kopf.

 

16. September 2017
In der Nacht hat es wie aus Kübeln gegossen und weder Wanda noch ich hatten nach dem Abendessen noch einmal Lust, aus dem Zelt zu schlüpfen und aufs Klo zu gehen. Kein Wunder also, dass es uns in der sehr frühen Morgendämmerung aus dem Bett zieht. Die Wolken sind am Abziehen und Sterne funkeln zwischen den Wolkenfetzen. Bald wird die Sonne aufgehen. Wir kuscheln uns zurück ins Bett und ich schlafe tatsächlich bis halb elf.

 

17. September 2017
Während ich mit einem Topf voll Nudeln beschäftigt war, hat am frühen Abend der Wind das Zelt einfach fort getragen, einfach hochgehoben und über meinem Kopf davon geweht. Die strken Böen haben die Heringe aus dem aufgeweichten Boden gerissen und weg war es, das Zelt. Während ich in typischer ROmana Manier den Gaskocher ausgestellt, das Notebook zugeklappt und meinen verstörten Nachbarn „Nix passiert“ zugerufen habe, sind die aber trotzdem zu Hilfe gekommen. Zum Glück. Wir bringen das Zelt also an seinen Platz zurück und schlagen alle Heringe nochmal ein, an anderen Stellen, vielleicht nützt das ja was. Wie es scheint, war das optimal, denn in der Nacht kracht ein wildes Gewitter über uns, mit viel Wind und Regen, Blitz und Donner und in der Früh steht das Zelt noch.

Entgegen der Wetterprognosen, die für heute Sonnenschein versprochen haben, regnet es wie aus Kübeln. Ich stelle fest, dass ich nur eine einzige lange Hose mithabe, was sehr sonderbar ist. Muss ich mir notieren. Eine gemütliche lange Hose wäre jetzt echt was. Am besten aus Nikiplüsch. Hahahaha…. eine Hose aus Nikiplüsch. Gibt es sowas noch?

 

Habe ich schon erzählt, dass wir hier direkt am Franziskus Pilgerweg von Canterbury nach Rom wohnen? Bereits auf der Fahrt den Pass hoch haben wir Pilger getroffen und heute, bei unserer Wanderung ins Dorf, wieder. „Die Francigena ist eine mittelalterliche Route zwischen Canterbury und Rom und in weiterer Folge zu den Häfen Apuliens“, erklärt Carissima, als wir zurück sind, „seit 20o1 wird diese alte Pilgerroute neu entdeckt, betreut und beworben. Es gibt sogar ein Radio Francigena.“ Und das hast Du alles aus dem Netz, frage ich. Ja, sagt sie. Ich bin auch seit gestern sehr glücklich mit dem platzeigenen Internet. Es stürmt. Ich habe am Nachmittag, vor unserem Spaziergang, das Zelt abgebaut und bin nun sehr froh darüber, denn die Windböen sind stürmisch. Über den dunkelblauen Himmel jagen weiße Wolken. Kalt ist es geworden! Morgen werden wir weiterfahren. Hat irgendwer den Blues gesehen, rufe ich, nach dem abendlichen Bier, zu dem ich herrlichen Peccorino und in Ermangelung frischen Brotes Salzkräcker esse. Wanda sieht mich verständnislos an, sie hat eindeutig nur Interesse am Käse. Ich habe ihn seit Mittag nicht mehr gesehen, sagt Carissima. Er hat noch nach Bier gesucht und ist dann gegangen. Hm, sage ich. Das wird immer skurriler. Früher, da war es immer sehr dramatisch, wenn er kam und ging. Und jetzt bleibt er vom Winter über den Frühling, eine ganze Reise im Juni, den ganzen Sommer durch und dann, plötzlich, ist er einfach weg. In den Bergen kurz vor La Spezia. Und ich kriege zu Weihnachten eine Kuschelhose. Danke Mama!

Hej. Und hier geht’s weiter 😉

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