Süden 2016 – Zwei

24. – 27. September 2016

Am Morgen ist erst mal „kein Stress“ das Motto, noch ein paar Arbeiten erledigen und dann auf, von Volterra nach Scansano. Ich habe dafür eine sehr schöne Route ausgesucht und freue mich schon richtig darauf, über Colle di Val d’Elsa, Siena und die 73er nach Grosseto. Bei der Abfahrt höre ich zwei Geräusche, die nicht hier hergehören und nehme einen fremden Geruch wahr. Während ich im mittäglichen Stadtverkehr verzweifelt nach dem Brandherd in meinem Auto suche, überhole ich einen Zweitakter und schon ist der Geruch vorbai. Du musst echt cooler werden, sagt Carissima. Na, schön, dass Du auch mal wieder was sagst, sage ich, und zum Glück habe ich ja sonst keine Probleme. Als cooler zu werden. Wir prusten los. Und lachen bis Siena.

Die Strecke ist wunderbar, aber anstrengend und für das relativ kleine Stück nach Scansano brauchen wir dann an die vier Stunden. Zu allem Überfluss verfahre ich mich dann noch auf dem Weg zum Häuschen – das erste Mal, seit ich herkomme, ist bei meiner Ankunft Tag und ich kenne mich nicht mehr aus. Biege einen Schotterweg zu früh ab und fahre stehe rasch an. Das Strässchen ist so steil, dass wir nur noch rückwärts hochkommen und als wir endlich beim Haus sind, sieht man Carissimas Farbe fast nicht mehr. Alles Staub.

In Scansano ist gerade Weinfest und die folgenden beiden Tage vergehen wie im Flug – im Olivenhain arbeiten, Bäume von Wassertrieben säubern, viel Grünzueg verbrennen, gut essen, Gitarre spielen, die Welt neu erfinden, zumindest ein bisschen, und natürlich Wein trinken.Im Olivenhain arbeiten auch zwei professionelle Baumschneider aus Albanien. Erwin, einer von Beiden, ist ein braungebrannter Glatzkopf, ein Mann wie ein Schrank, und arbeitet am Wochenende als Türsteher in Scansano. Während des Festes hatte er viel Arbeit mit den jungen Leuten, erzählt er. Er klettert ohne Leiter die Bäume hoch und hängt dort draußen an den Ästen, die weit in dem Himmel ragen. Der andere Mann redet ununterbrochen, auf albanisch. Und erzählt dem Erwin den ganzen Tag etwas. Ich würde viel drum geben, zu verstehen, was.

lange_hose

 

Als wir uns am Dienstag verabschieden, habe ich einen Sonnenbrand und bin glücklich. Ich würde gern bleiben, aber ohne Netz klappt das einfach nicht auf Dauer. Freue mich auf das nächste Mal und fahre los.

Übrigens. Zum Arbeiten im Olivenhain eine lange Hose anzuziehen, das ist echt kein Fehler.

Die Fahrt ist anstrengend. Das letzte Glas Wein gestern, das muss schlecht gewesen sein. Zu dem Hämmern in meinem Kopf gesellen sich mindestens 17 Autogeräusche, die hier nicht hergehören. Ein starkes Ventilklappern, ein lautstarkes Vibrieren, ein unzuordenbares Motorgeräusch beim Gas geben, ein traktorähnliches Geräusch im Leerlauf. Nach ungefähr zwanzig Kilometern und viermal stehen bleiben bin ich dem Wahnsinn nahe, durstig und verzweifelt. Wir tanken. Danach ist alles ruhiger als vorher. Hat Dir die vorletzte Ladung Benzin nicht geschmeckt, frage ich. Nö, sagt Carissima, gar nicht. Und warum sagst Du das nicht, frage ich. Was hättest Du denn denn gemacht? Wieder mal eine Ladung Sprit mit dem kleinen Schlauch abgesaugt, sagt sie, das schmeckt Dir doch genausowenig. Da hat sie Recht, zum Sprit absaugen fehlt mir das Feingefühl, ich habe es noch nie geschafft, nichts in den Mund zu bekommen. Du musst cooler werden, sagt sie und wir lachen wieder los. Cool sein. In Anbetracht einer bevorstehenden Wohnungssuche in Salzburg, einer echt beknackten Beziehungssituation und der Tatsache, dass die Dinge, die Spaß machen, zurzeit zu kurz kommen. Wir lachen so lange, bis ich fest gestellt habe, dass wir auf dem Weg nach Assisi sind. Das liegt zwar ganz woanders, als unsere flach geplante Route vorgab, aber dafür plant man ja flach. Wir lachen weiter bis Perugia. Über Geräusche, Gerüche, Schweine am Straßenrand, italienische Beschilderung und die Tatsache, dass man all die Tränen, die man lacht, nicht mehr weinen muss.

28. September

Das Ankommen in Assisi gestern war nicht mehr von dieser Welt. Der Mann an der Rezeption des Campingplatzs war fürsorglich, als hätte er es mit einer Schwerverletzten zu tun. Nach der Platzwahl – nicht schwierig, weil einfach auf den Platz vom letzten Jahr geplumpst – eine Wäscheleine montiert, das Auto komplett ausgeräumt, Motorklappe auf, anlassen, lauschen. NICHTS. Der Motor schnurrt, als hätte ich nicht die vergangenen 200 Kilometer in Angst und Sorge verbracht. Nämlich gar nichts. Kein Ölverlust, kein Scharren, kein Klappern. Nichts.

Auto wieder eingeräumt, Solarpanel in die Sonne gestellt, komplett verdreckte Arbeitsklamotten in die Waschmaschine, eine Riesenportion Nudeln gekocht, alles aufgegessen, Wasser getrunken und um halb acht ins Bett gefallen. Dreizehneinhalb Stunden durchgeschlafen und nur einmal aufgewacht, weil der stürmische Wind vom Subasio an meiner Wäsche gerüttelt hat. Oh Herr. Lass‘ den Tag kommen, da meine einzige Sorge die ist, dass meine frisch gewaschene Wäsche in den Staub fällt.

30. September

Die vergangenen beiden Tage habe ich richtig viel gearbeitet, es gab einiges auszuholen und zu planen. Ich habe ja sechs eigene Projekte mitgebracht, die fertig sein sollen, bis ich heimfahre. Plus die tägliche Erwerbsarbeit. Da hängt es sich schnell an, wenn mein einziger Angestellter plötzlich drei Tage im Olivenhain abtaucht. Aber nach zwei Tagen fleißig, immer schön mit den Beinen in der Sonne, 26 Grad, ist erst mal alles wieder rund. Ich habe diesmal so gut vorgesorgt, dass ich nicht einmal zum Einkaufen weg muss. Aber heute dann endlich wieder mal Sport, mit dem Fahrrad nach Assisi und dort dann in den „Bosco di San Francesco„, den Garten des Heiligen Franziskus, dafür hatte ich mir bisher nie die Zeit genommen. „Garten“ ist ja einigermaßen untertrieben, denn es handelt sich hier um einen Naturpark am Fuße von Assisi und man wandert flott zwei Stunden bergauf und bergab, bis man alles gesehen hat. Besonders beeindruckend finde ich den „Terzo Paradiso„, ein Olivengarten, der in Form eines erweiternden Unendlich-Zeichens angelegt worden ist.

Zurück an der Basilica stelle ich fest, dass die Kontrollen rund um den Dom immer anstrengender werden. Standen vergangenes Jahr einfach nur ein paar gelangweilte Soldaten in der Gegend herum, so gibt es nun eine Schleuse mit allem, vom Rucksack durchsuchen bis zum Metalldetektor. Erst als ich wieder aus der Basilica heraus komme und noch immer darüber nachdenke, was die Kontrolliererei denn soll, stelle ich fest, dass am Dienstag der Festtag des Heiligen Franziskus ist, der ja Schutzpatron von Italien ist. Da dürfte also dann einiges los sein, am 4. Oktober. Im ersten Impuls beschließe ich, vorher zu flüchten, aber dann fällt mir ein, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein klasse Feuerwerk geben wird. Also. Vielleicht bleibe ich einfach 😉

Auf dem Rückweg gehe ich noch in ein Lebensmittelgeschäft, mir ist eingefallen, dass ich jetzt ganz schnell einen Schluck Wasser brauche. Und ein Bier für später. Und ein wenig Frischkäse, ich muss mir unbedingt was kochen. Ich stelle meine Auswahl auf den Tresen des kleinen Geschäfts, aber da ist keiner. Es gibt auch kein Hinterzimmer, in dem jemand sein könnte. Also stelle ich mich mal vor das Geschäft, ein bisschen ist das jetzt so, als wäre ich der Gemischtwarenhändler und nicht der Kunde. Und nach ein paar Minuten schaut ein Mann aus dem Nachbargeschäft, stellt fest, dass jemand dabei ist, seinen Laden in Besitz zu nehmen, und kommt herbeigeeilt. Ich mag das einfach.

Der Mann entschuldigt sich wortreich, ich nicke, obwohl ich kein Wort außer „scusi“ vertanden habe und das wäre nicht nötig gewesen, denn das Gefühl, einmal für vier Minuten Gemischtwarenhändler zu sein, war unbezahlbar, packe mein kühles Bier in den Rucksack und gehe.

Erkenntnis des Tages: in der Konfrontation mit dem Wesentlichen schlägst Du garantiert am Boden Deiner Seele auf. Hat jetzt aber nichts mit dem Gemischtwarenhändler zu tun.

Weiter geht es mit Teil 3. Morgen, ok?

Süden 2016 Teil 1

Süden 2016 Teil 3

Süden 2016 Teil 4

Süden 2016 Teil 5

Süden 2016 Teil 6

Süden 2016 Teil 7

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