Oktober 2

Wenn man vom Schreiben lebt – oder versucht, es zu tun – gibt es immer wieder mal harte Zeiten. Verzweifelte Zeiten. Zeiten, in denen man sich fühlt wie ein Esel, der im Kreis geht, immer weiter und dabei einen Brunnen bedient oder ein Karussell für Kinder, wer weiß das schon so genau. Zwischendrin geht es mir so, im Moment. Ich schreibe einen Beitrag über Zentralstaubsauger. Einen über Markenschuhe. Über Sicherheitstüren, Einbruchsstatistiken, Altholz, Abwassertechnik, Türschilder, Speisekarten und Kinderschaukeln. Über Pelletsförderanlagen, Fallobstsammler und Rollrasen. Über Sicherheitsglas und Kartonagen. Ich häufe Wissen an, zu all diesen Themen, denn erstens braucht es das und zweitens geschieht es unweigerlich. Mein Hirn füllt sich. Daneben möchte ich gern über Träume schreiben, über Wege, über Weiterentwicklungen, über Motoren und Geräusche, über Hunde und deren Ideen. Oder was wir meinen, was deren Ideen sind.

Die Erkenntnis, dass ich ohne den Brunnen oder das Karussell, um das ich im Kreis herum gehe, nicht leben kann, erdrückt mich. Nicht nur, dass ich das Leben on the road nicht führen könnte, nein, gar kein Leben. Manchmal sitze ich da und starre ins Leere und denke mir, was, wenn ich eines Tages keine Ideen mehr habe? Was, wenn ich plötzlich nicht mehr in der Lage bin, einen Pelletsförderer mit Archimedes in Verbindung zu bringen, einen Obstsammler mit dem Versuch, die Bienen zu retten, hochpreisige Schuhe mit der Freiheit, die die Menschen suchen.

Werbung. Werbung verkauft Gefühle. Ein jeder will Freiheit und die Werbung nutzt das schamlos aus. Ein Porsche macht frei, ein Paar Schuhe, eine Hautcreme. Die Menschen glauben diesen Blödsinn, weil sie durch Texte emotional abgeholt werden und ich bin einer dieser bösen Texteschreiber.

Ist das Glück?

Nein. Das ist schlechtes Gewissen gepaart mit Überlebensstrategie.

„Du bist zu streng mit Dir“, gähnt Carissima, und ihr vom Regen gewaschener Lack glänzt in der Sonne, „was willst Du denn sonst tun?“. „Ich habe keine Ahnung“, sage ich, „sonst würde ich es machen. Oliven ernten vielleicht. Oder Wein. Oder Orangen.“ „Aber dann weißt Du nicht, wohin mit dem Hündlein und die Arbeit bringt einfach sehr wenig ein“, gibt sie zu bedenken. Ich weiß. Wer on the road in der Landwirtschaft arbeitet, kann mit unter fünf Euro Stundenlohn rechnen. Dafür halt stupide Arbeit ohne Denken.

Bin ich dafür geblieben? Um hier in einer Stunde Sonnenfenster zwischen zwei dunklen Regenfronten zu sitzen und nicht glücklich zu sein? „Weißt Du was“, sagt Carissima, „warum erzählst Du nicht weiter von Frank. Das macht Dich immer so lustig!“. „Jaja, Frank“, ätzt der Blues. Er hat sich vor dem Vorzelt ein gemütliches Plätzchen in der Sonne eingerichtet, die Füße auf mein Beistelltischchen gelegt und dreht sich eine Zigarette nach der anderen. „Und dann wird das ein Beeeeeeeeeestseller und dann musst Du nie mehr Texte schreiben, die Deinen Ansprüchen nicht genügen, jaja“. „Ja und!“, brülle ich ihn an, „Ich darf mir das ja wohl vorstellen!“ „Weißt Du, wie viele Kellnerinnen es in Los Angeles gibt?“, fragt der Blues. „Was?“, sage ich. „Gar keine. Es gibt dort nur Schauspielerinnen, die vorübergehend kellnern. So viel zum Thema großer Erfolg“. Ich starre ihn an. Der geht mir vielleicht auf die Nerven. Wie kann er nur…

„Was ist mit Frank?“, nörgelt Carissima. Also gut. Frank.

Frank genoss den traumhaften Herbsttag im Garten. Hinter der alten Steinmauer donnerte das Meer an die Felsen, doch aus dieser Entfernung hörte es sich an wie ein verhaltenes Brausen. Als würde das Meer sagen, „warte, bis zu mich mal RICHTIG kennenlernst“. Durch ein verrostetes Gartentor in der Mauer gelangte man auf eine verwitterte Treppe, die steil nach unten führte. Viele der Villen hatten hier ihren eigenen Zugang zum Strand und man war in wenigen Minuten unten an einem schmalen Kieselstreifen, vor dem wuchtige Felsen aus dem Wasser ragten. Wer aus der Stadt hierher gelangen wollte, war eine ganze Weile unterwegs. Madame dürfte ihren privaten Meerzugang jedoch nicht nutzen, denn ein ebenso verrostetes Vorhängeschloss sicherte das Gartentor. Frank hatte sich bereits überlegt, über die Mauer zu klettern, um die Treppe zu erkunden, hatte es aber bisher noch nicht getan.

Während er überlegte, in welchem Verwitterungszustand sich die Treppe wohl weiter unten befinden würde, wo das Wasser schon herankam, und ob man sie überhaupt benutzen konnte, ohne abzustürzen, klingelte das Mobiltelefon, das ihm gegeben worden war. Er hatte es in eine Astgabel eines kleinen Apfelbaumes gesteckt, direkt dort, wo er die Schubkarre geparkt hatte. Frank drehte sich um und stürzte in Richtung Telefon, immerhin war es das erste Mal, dass er angerufen wurde und er wollte nicht den Eindruck erwecken, unverlässlich zu sein, da spürte er plötzlich einen harten Schlag genau zwischen Stirn und Schläfe. Verdammt. Er war auf die Schaufel gestiegen, die er neben der Schubkarre ins Gras gelegt hatte. Das war ja mal wieder typisch. Mit einem Schmerzensschrei erreichte er das Telefon und konnte abheben. „Hallo“, sagte Frank und es klang wie ein Schluchzen. „Madame wird am Sonntag gegen 15.00 Uhr ankommen und für zwei Wochen bleiben“, sagte eine tiefe Frauenstimme mit einem harten Akzent, „wenn Sie bitte den Garten vorbereiten. Sie haben dann frei“. „Ja“, sagte Frank, „und wie ist…“. Die Dame hatte aufgelegt. Einfach so. Frank ärgerte sich kurz, denn er wollte noch fragen, wie es denn, wenn er zwei Wochen nichts zu tun hätte, um seine Bezahlung bestellt sei, doch dann meldete sich sein Kopf wieder und er griff sich an die Stelle, an der ihn der Schaufelstiel eiskalt erwischt hatte. Sie schmerzte fürchterlich.

Frank dachte an den Coolbag, den er in dem kleinen Kühlschrank in der Fischerhütte deponiert hatte. Er musste sich den rasch auflegen. Frank kontrollierte den Garten. Im Prinzip sah es doch ohnehin jeden Tag gleich aus. Er würde einfach morgen eine Stunde früher kommen und weiterarbeiten. Frank packte Schubkarren, Rechen und die vermaledeite Schaufel in den Schuppen und machte sich auf den Weg zurück zu seiner Hütte.

Am Abend setzte er sich ans Meer, bevor er in seine Bar ging. An dieser Küste war ihm das erste Mal das Geräusch großer Kiesel aufgefallen, wenn die Wellen ans Ufer krachten. Er hatte so etwas vorher noch nie gehört. Die Welle näherte sich, brach, es krachte, bum, dann zischte die Gischt und dann hörte man die faustgroßen, runden Steine, die vom rücklaufenden Wasser ein wenig mitgenommen wurden. Es hörte sich an, als würden sie sich ganz leise Geschichten erzählen, murmeln. Bum, zisch, murmel, murmel, murmel. Bummm, zisch, murmel, murmel, murmel. Kurze Pause. Bummmm, zisch, murmel, murmel, murmel. Frank griff sich an den Kopf. „Ob ich eine Gehirnerschüttertung habe?“, fragte er sich. Die Stelle war nach etwa zwei Stunden dunkelrot geworden, dafür war der Schmerz nur noch äußerlich. Eher keine Gehirnerschütterung also. Frank machte sich auf den Weg in die Bar.

Er hatte kaum Platz genommen, kam bereits der Kellner auf ihn zugestürzt und gab sich erschüttert über Franks Verletzung. Er nahm ihn sofort am Arm und führte ihn auf seinen Platz im Restaurant. Frank fand das sehr nett und eigentlich war es im Restaurant auch viel besser, denn es war ein kühler Abend. Dennoch hatte er es draußen gut gefunden, vor allem wegen des Gemurmels. Ein zweiter Kellner kam hinzu und man begutachtete Franks rotblauen Fleck, eine Kellnerin gesellte sich dazu und brachte einen Eisbeutel. Mit echten Eiswürfeln. Als sie den kleinen Beutel auf Franks Stirn presste, wurde ihm sonderbarerweise heiß statt kalt. Frank fühlte förmlich, wie ihm die Hitze in den Kopf stieg.

„Oh hör auf“, kreischt Carissima. „Was denn“, sage ich. „Ich will keine Liebesgeschichte! Das ist öd und langweilig und wird irgendwann soooooooo platt!“, schreit sie. „Jajaja“, sage ich, „geht’s auch leiser?“. „Außerdem lässt Dein Stil nach. Da zieht es nicht. Ich schlafe gleich ein“, trotzt sie. „Echt jetzt?“, sage ich. „Ja! Dur schreibst besser, wenn wir fahren. Oder gefahren sind. Wir müssen morgen weiterfahren, sonst wird das nichts mit Frank!“, sagt Carissima. „Hm. Ok“, sage ich, „dann fahren wir weiter. Kann ich den Absatz noch fertigschreiben?“. „Ja, von mir aus“, meint sie, „aber nicht so schlecht, bitte!“.

Mit echten Eiswürfeln. Frank nahm den Beutel dankend entgegen, drückte ihn auf seine Stelle zwischen Stirn und Schläfe, was wohlgemerkt ein sehr kleiner, eng eingrenzter Bereich ist, und seufzte. Dann bestellte er ein großes Bier. Zum Essen gab es Kastaniencremesuppe, gegrillten Fisch auf Spießchen, dazu Karotten, Babykartoffeln und einen Salat mit Chicoree, Walnüssen und Cocktailtomaten. Ungewöhnlicherweise empfahl man ihm zum Fisch einen 2016er Rioja. Ein sehr guter Jahrgang.

Menschen, die ich unterwegs kennenlerne, fragen mich manchmal, wie ich denn meine Tage so verbringe. Die meisten getrauen sich nicht, das zu fragen. Aber ich glaube, ein jeder hat so seine Vorstellung, wenn er jemandem gegenübersitzt, der Buchautorin ist. Genauso wie ich mir Vorstellungen mache, wenn jemand zu mir sagt, er sei Pilot. Also werde ich heute einen Tag herauspicken und ihn beschreiben. Wie wäre es gleich mit dem heutigen Tag?

10.00 Uhr. Ich habe verschlafen. Es ist relativ kühl, aber nachdem ich das große Zelt an Carissima angebaut habe, konnte ich bei offener Tür schlafen. Nachdem wir morgen weiterfahren werden, darf das Zelt, das uns drei Tage vor dem Regen geschützt hat, heute abgebaut werden. In der Nacht soll es nämlich wieder regnen und nass mag ich es nicht einpacken. Also mache ich mir eine Kanne Kaffee und ein Brot und beginne, alles, was im Zelt stand, hinauszuräumen. Dann wird das ganze Bettzeug über die Campingstühle gehängt. Das mache ich jeden Tag, wenn möglich. Zum Auslüften. Ein frisch gemachtes Bett macht mich außerdem sehr, sehr glücklich. Damit ich das tun kann, muss Wanda aufstehen, was sie nicht cool findet. Also gehen wir gleich eine kleine Gassirunde. Dann kriegt sie einen Knochen.

11.00 Uhr. Zweite Kanne Kaffee. Die Heringe sind zum Trocknen aufgelegt und das Zelt steht nun auf der Nachbarparzelle, um zu trocknen. Ich kehre Blätter ab und versuche, die Insekten, die sich innen tummeln, zum Rausfliegen zu bewegen. Aufbetten und die Campingstühle wieder zum Auto stellen, Tischchen dazu, hier kann ich nachher kochen. Müll wegbringen und Geschirr abwaschen, hat mich gestern abend nicht mehr gefreut.

12.00 Uhr. Mails checken, einen neuen Auftrag bestätigen, glücklich sein, dass meine Buchhaltung nach dem dritten Versuch bei der Buchhalterin angekommen ist, enttäuscht sein über die Absage der Reiserücktrittsversicherung, den Flug von Hamburg nach Salzburg, den ich nicht angetreten bin, bekomme ich nicht ersetzt. Neue Buchbestellung. Da muss ich heute noch das Manuskript durchgehen, weil ein paar Änderungen anstehen. Leichte Magenschmerzen deshalb, das Programm hat verdammt gfeigelt. Zelt zusammenlegen und verpacken. Die Ausziehschublade neu einräumen. Es lohnt sich, wenn man einmal pro Woche einen Teil des Autos neu einräumt, so entsteht nie das große Chaos.

13.00 Uhr. Nudeln kochen. Wandas Essen vorbereiten. Essen. Ich stelle fest, dass ich immer noch im Pyjama bin. Das Manuskript durchgehen, Änderungen vornehmen, speichern und an die Druckerei schicken. Klingt, als wäre das super einfach, dauert aber zwei Stunden.

15.30 Uhr. Mann, bin ich fertig. Halbe Stunde Mittagsschlaf.

16.00 Uhr. Duschen, Abwaschen, Umziehen, vier Mails beantworten und die restlichen Dinge ins Auto packen, weil es zu regnen beginnt.

17.00 Uhr. Der Regen ist vorbei. Endlich mit Wanda spazieren gehen. Runter an den Strand. Stöckchen werfen und Muscheln und mit anderen Hunden spielen.

18.30 Uhr. Wanda baden, denn die ist voller Sand. Restliche Nudeln essen und wieder abwaschen. Morgen früh freut’s mich sicher nicht. Endlich hinsetzen und am Roman weiterschreiben.

21.30 Uhr. Genug der Kreativität, jetzt muss auch noch für die Geldtasche geschrieben werden. Zwei Aufträge warten auf Fertigstellung.

23.30 Uhr. Ich glaube, jetzt reicht’s.

Mir hat mal einer gesagt, er stelle sich das so vor, als Schriftsteller, da sitzt man den ganzen Tag an seinen Texten und ist erfüllt von den Worten, die man bearbeitet… und um 15.30 Uhr kommt der Butler mit dem Mojito. Ja eh.

Tag 51, 19. Oktober

Wow, wie die Zeit vergeht, stelle ich nach dem Aufstehen fest. „Ja, nicht wahr“, sagt Carissima und grinst. Es gießt in Strömen. Gut, dass ich gestern alles schon eingepackt habe, bis auf das Hundehandtuch, das hängt nun klatschnass über dem Fahrrad. Ich machte mir keinen Kaffee, sondern hole mir einen in der Bar. Mit Croissant. Der Kaffee ist viel, stark und grauslich, das Croissant wunderbar flaumig. „Was steht für heute an“, fragt Carissima. „Ich denke, wir fahren jetzt mal zu diesem Kathedralenstrand, den ich auf Pinterest gefunden habe“, sage ich, „und dan sehen wir eh. Bis dahin sind es 255 Kilometer, nochmal 200 wären es nach Santiago de Compostela. Ist die Frage, wie wir bei dem Regen vorankommen.“ „Super“, sagt Carissima und grinst immer noch. „Is was?“, frage ich. Sie grinst mich an. „Du machst keine Pläne mehr“, sagt sie. „Und der Blues ist weg.“

Verdammt. Der Blues ist weg. Tatsächlich. Es regnet in Strömen und alles ist ganz anders als toll. Und der Blues ist weg. „Ich finde, dass Du das alles gut hinkriegst“, sagt sie, „auch ohne Butler mit Mojito“. „Du hast wieder meine Tagebücher gelesen“, sage ich. „Kunststück, wenn sie online sind“, sagt sie, „weißt Du, im Prinzip hast Du es doch super hingekriegt. Wir reisen, wir können tanken, einkaufen, bleiben, wo wir wollen. Du schreibst tausend Wörter pro Tag für nichts und niemanden, die schriftstellerische Anerkennung dafür ist nicht vorhanden, wie denn auch, aber Du musst Dich auch nicht täglich von irgendwem blöd anreden lassen. Du kannst gehen, wann und wohin Du willst. Und das alles nicht als Geschenk der Göttin oder weil es jemand gut mit Dir meint, sondern aus eigener Kraft. Das ist doch super.“ Sie hat verdammt recht. Mein Auto ist ein Psychotherapeut.

Heute gibt es Autobahn auf der internen Speisekarte, und vorher einen Tank voll Benzin, 98 Oktan. Den ganz guten. Der Blues ist weg. Ich habe ihn nirgendwo mehr gesehen. In strömendem Regen fahren wir an der Küste Richtung Westen. Die Blicke, die sich nach jeder zweiten Kurve bieten, wären wohl atemberaubend, wenn man etwas sehen würde. So fahre ich über eine Brücke nach der anderen, die sich hunderte Meter über Schluchten und Meeresbuchten spannen und unter mir ballt sich der Nebel. Irgendwann erreichen wir den Kathedralenstrand, bemerkenswert ist es dort, aber nach zehn Minuten bin ich nass bis auf die Haut und so fahren wir weiter.

Obwohl ich für heute die Routentante beauftragt habe, brauche ich sie ab hier nicht mehr. Denn ab hier ist Santiago de Compostela ausgeschildert. Es macht unglaublich Spaß, zuzusehen, wie die Kilometerangaben immer weniger werden. Noch 160 Kilometer, noch 132, noch 98… wenn man das in „zu Fuß Pilgerstrecke“ umwandelt, oje, dann sind das noch immer mindestens vier Tage. Obwohl ich mich in der Stadt dann gleich zweimal verfahre, kommen wir ohne gröbere Probleme zum Campingplatz. Die Dame an der Rezeption ist völlig begeistert von Wanda, trommelt ihre Belegschaft zusammen, alle müssen Wanda ansehen. Die will aber alles, nur nicht runter auf den Boden, denn es ist nass. Ich suche mir einen Platz und es hört plötzlich zu regnen auf, was für ein Glück. Zwischen alten Bäumen kann ich meine Plane spannen und wir machen es uns gemütlich. Als ich eine Stunde später beschließe, noch in die Stadt zu spazieren, laufe ich den Schotten in die Arme, die ich vom letzten Platz kenne. Die beiden hatten ein Streitgespräch, ob man Chihuahuas trainieren könne, denn sie möchte gern einen, er ist aber aufgrund der angeblichen Trainingsmöglichkeit dagegen. Nachdem Wanda ihr Repertoire an Tricks abgespult hatte, war er platt und sie begeistert. Und nun treffe ich die beiden hier wieder! Er fällt mit um den Hals, als wären wir ganz alte Freunde und sofort sprudeln wir alle los. Die Witze fliegen, ich liebe diesen schottischen Humor. Die beiden möchten morgen nach Toledo weiter und sofort muss ich zu singen beginnen, ich kann einfach nicht anders, wenn ich „Toledo“ höre… beide stimmen ein.

Santiago ist besonders. Das sagen alle Pilger, aber das ist klar. Wenn Du hunderte Kilometer zu Fuß gegangen bist, manche gehen sogar tausende Kilometer, und Du bist endlich am Ziel, dann ist das Ziel besonders. Ich kenne das von Gurk oder Mariazell. Ganz ehrlich. Aber Santiago ist anders besonders, auch, wenn es nur noch 13 Grad hat und wieder zu nieseln beginnt, als ich noch nicht einmal an der Kathedrale angekommen bin. Es macht mir auch nichts aus, einfach umzudrehen. Morgen ist auch noch ein Tag. Und übermorgen auch. Wanda hat nach der ersten Ampel bereits w.o. gegeben, weil der Boden nass und kalt ist und de Autofahrer wie die Verrückten vorbeirauschen. Kein Wunder, es ist Samstagabend. Der Parkplatz vor dem Einkaufszentrum ist voll, ganz klar, ab morgen gibt es ja nichts mehr zu kaufen. Mindestens bis Weihnachten. Auf den Straßen beeilen sich die Menschen, die zur Abendmesse wollen, nasse Pilger mit großen Rucksäcken und Wanderstöcken, fast laufend, humpelnd oder bereits frisch geduscht mit leichtem Gepäck aus dem Hotel stolpernd. Die Stadt pulsiert in freudiger Erwartung, Wanda lässt sich, tief in meiner Jacke versteckt, fünf Kilometer tragen und ich bin wieder mal nass, als ich am Campingplatz ankomme. Ich gönne mir ein Bier im Restaurant, hier ist es warm und gemütlich, eine wahre Seltenheit für Campingplatzrestaurants.

Die Dame ist wieder begeistert, schreibt mir alles auf, was ich wissen will, und will dafür alles über Wanda wissen. Sogar, ob sie eine facebook Seite hat. Nun haben wir einen Fan mehr. Als wir zurück zum Auto kommen, stelle ich fest, dass ich noch nichts gegessen habe, keine Lust auf arbeiten habe und bei dem Regen auch nichts kochen mag. Das Restaurant am Campingplatz macht übrigens erst um halb neun auf, das wäre in zwei Stunden. Ich mache mir ein Brot und falle ins Bett. Ich liebe meine Standheizung, falls ich das noch nicht gesagt habe.

Als ich das erste Mal aufwache, beginnt es gerade zu dämmern. Es regnet in Strömen. Ich kann nicht mehr einschlafen, habe aber auch keine Lust, aufzustehen, es ist total kalt geworden. Als ich das zweite Mal aufwache, ist es nach elf und es sieht aus, als würde die Sonne herauskommen. Jetzt aber schnell: Kaffee machen, aufbetten, Wanda rauslassen. Kaum habe ich alles wieder im Auto, kommt ein schreckliches Gewitter und ich bin froh wie nur was, dass ich nicht in einem Zelt bin.

In dieser Art vergeht der Tag. Kaum drehe ich meinen Luxuskörper aus dem Auto, dauert es genau viereinhalb Minuten und es gießt wie aus Kübeln. Ich habe jedesmal das enorme Glück, es trocken unter meine Plane zu schaffen. Am späten Nachmittag will das Hündlein nicht mehr mit mir raus, offenbar hat sie den Glauben an mich verloren.

Und so höre ich Kenny Rogers und schreibe Beiträge über Saunas. Wie gesund saunieren ist. Welche Saunas es gibt. Wie die kleinste Sauna der Welt aussieht.

Tag 54, 22. Oktober 2019

Gestern haben wir eine Regenpause genutzt, um noch einmal in die Stadt zu pilgern, mitten unter müden Pilgern mit schlappen Schritten. Santiago ist bezaubernd, die Stimmung wunderbar. Doch es ist eiskalt und ich schaffe es mit Müh und Not vor dem nächsten Gewitter zurück. In der Nacht hat es vier Grad, ich friere, wenn ich aussteige, ich friere am Abend und ich friere in der Früh. Hinzu kommt, dass ich mit dröhnenden Kopfschmerzen munter werde, weil ich gestern offenbar zu wenig getrunken habe. Das passiert mir, wenn es so kalt ist, dass ich kein Mineralwasser runterbekomme. Und Tee… also, sollte noch einmal jemand in meiner Gegenwart behaupten, man könne „in ganz Europa das Leitungswasser trinken“, dann verabreiche ich ihm eine Wasserprobe. Zum Beispiel einen Liter Tee, der durch den Teegeschmack hindurch nach Chlor schmeckt. Ich hasse das, mir wird schlecht davon und ich habe zu wenig Wasser eingekauft. Darum also Kopfschmerzen.

Es gibt ja Tage, die beginnen öd und entwickeln sich dann nicht. So einer ist dieser hier. Erst mal die Kopfschmerzen. Dann die Kälte. Um Punkt Mittag hat es immer noch erst acht Grad. In der Sonne. Ich beschließe, weiterzufahren, das hilft einfach nix. So gut der Platz hier ist, ich mag nicht mehr frieren. Also packe ich im Schneckentempo zusammen. Die Schmerztablette wirkt kaum. Wanda hat einen Maulwurfshügel entdeckt und versucht, sich durch diesen bis Australien zu graben. Alles, was draußen war, ist klamm und feucht und ich packe Handtücher, Geschirrtücher und Wandas Pullover einfach zu einem Bündel und hoffe, dass es am nächsten Platz eine Waschmaschine gibt. Obendrauf die klatschnasse Regenplane, Wanda von Erde befreien und es kann losgehen.

Ich bin grantig wie irgendwas und froh, dass ich mit mir allein bin. Verfahre mich gleich mal saftig, kann aber vor lauter Kopfschmerzen keine Karte lesen und muss mich heute wirklich auf die Routentante verlassen. Wir fahren durch Wälder und über Hügel und kleine Berge und erreichen den Grenzfluss Mino. Ich habe den Eindruck, dass Carissima wieder lauter geworden ist. Außerdem brennt sich durch mein schwer beeinträchtigtes Riechvermögen hindurch immer wieder der Geruch von Benzin. Das beunruhigt. Irgendwo auf der Strecke versuche ich, Kaffee zu bekommen, gerate aber in das Mittagsgeschäft an einer Raststätte und werde einfach nicht bedient. Ich bin zu fertig, um etwas dagegen zu unternehmen. Fahre weiter und mag nicht mehr stehenbleiben. Dann die Grenze. Portugal. Portugal empfängt mich laut, chaotisch und staubig, was vor allem daran liegt, dass uns die Routentante durch kleine Dörfer schickt, die alle noch mit Kopfsteinpflasterstraßen aufwarten. Wir rumpeln durch Portugal. Ich verfluche die Routentante in vier mir zur Verfügung stehenden Sprachen und brülle mich selbst an, weil ich nicht in der Lage bin, auf der Karte nach dem Weg zu suchen. Das geht nicht mit diesen Kopfschmerzen.

Ich kenne sie seit meiner Kindheit. Kaum ein Sonnenstrahl zuviel am Köpfchen, bang, waren sie da. Die Schmerzen näherten sich immer seitlich an und fühlten sich kurz später so an, als würde jemand meinen Kopf mit einer Zange bearbeiten. Ich war nicht in der Lage, das zu artikulieren, denn mir kam das komisch vor, zu erzählen, dass es sich anfühlt, als wäre mein Kopf in einer Zange. Meist wurde mir dann auch noch schlecht und jede Bewegung zur Höllenfahrt. Ähnlich ist es heute, wobei das Schmerzmittel doch einiges abgewendet hat. Das Hündlein spürt, dass Unruhe in der Luft hängt und löst diesen Druck auf seine Art: Sie springt im Fünf-Minuten-Takt aus ihrem Korb, wieder zurück, wieder heraus, wieder zurück. Am liebsten würde ich sie einfach nach hinten setzen, aber… eh schon wissen. Bewegungen.

Das Sonderbare ist, dass wir, als wir am Ziel ankommen, nur DREI Stunden unterwegs waren, ich aber das Gefühl habe, als wäre ich zwei Tage ohne Pause gefahren. Es ist der mit Abstand grauslichste Campingplatz auf dem ich jemals war. Aber ich muss hierbleiben, kann nicht mehr.

Warum der grauslichste Platz, wurde ich nun gefragt. Also. Der Mann an der Rezeption ist sonderbar. Es interessiert ihn einfach nicht, ob hier jemand stehen bleibt oder nicht, was auch erklärt, warum ich die einzige hier bin, bis auf einen stillen Dauercamper. Der sonderbare Rezeptionsmann geht mit mir zu einem von ihm ausgesuchten Platz und weist mich ein, als wäre das meine erste Fahrstunde, dabei ist der Stellplatz riesig und rundherum wirklich nichts, was man umfahren könnte. Dann deutet er mit dem Finger auf das Klohäuschen, sagt „Toilets“ und geht. Es gibt keinen Strom, was halb so wild ist, ich habe ja meinen eigenen mit. Einzig das Wasserkochen für den Tee dauert am Gaskocher ewig, da bin ich durch den Wasserkocher ordentlich verwöhnt. Die Klos sind unbeheizt, verdreckt und ohne Klopapier, die Duschen schimmlig, das Wasser immerhin warm. Die Bar am Platz hat geschlossen, das Geschäft auch. Als ich mit Wanda spazieren gehe, denn das muss sein, Kopfschmerzen hin oder her, sehe ich Pinien und höre von irgendwo das Meer rauschen. Auf normalen Plätzen kriegt man einen Plan in die Hand gedrückt und gesagt, da ist das Meer und so gehst Du am besten hin. Ich bin nun aber trotzdem motiviert und kämpfe mich mit Wand durch einen Pinienwald, eine dicht bewachsene Macchia, eine unerschlossene Düne und dann stehen wir am Meer und der Blick entschädigt für fast alles. Wanda freut sich und rennt. Zurück finde ich dann den ganz normalen Weg, den alle gehen, die es wissen, vier Minuten und wir sind zurück. Das Dörfchen wirkt verschlafen und das Abendlicht verzaubert es.

Als ich aufwache, habe ich immer noch dröhnende Kopfschmerzen. Die Nudeln, die ich gestern noch gekocht habe, konnte ich nicht essen und so matschen sie friedlich in ihrem Topf. Die Erinnerung an diese Schmerzen früher überfällt mich. Als ich 20 wurde, begannen sie mich wirklich zu nerven, denn traten sie vorher nur nach direkter Sonne auf, kamen sie nun, wann immer sie wollten. Oft auch in der Nacht, was mich beim Taxifahren komplett aus den Schuhen warf. Oft musste ich mich einfach für zwei Stunden hinlegen, um weiterfahren zu können. Einmal, das weiß ich noch, stellte ich mich auf einen verlassenen Standplatz, um nicht entdeckt zu werden. Kaum hatte mich der Schlaf geholt, klopfte es am Fenster. Ein Fahrgast. Ich war zu perplex, um ihn abzulehnen, fuhr los und nach der nächsten Ampel, ich weiß noch genau, Ecke Schumacherstraße Rudolf Biebl Straße, wurde mir so schlecht, dass ich anhalten und kotzen musste. Der Fahrgast, sturzbetrunken, blieb ungerührt sitzen und freute sich sehr, dass „endlich mal der Fahrer kotzt und nicht ich“.

Ich begann, mich zum Thema Migräne kundig zu machen und unternahm in den kommenden Jahren alles Mögliche. Zum Beispiel eine komplette Zahnsanierung. Alles Amalgam raus, entgiften, Gold, Keramik. Mit 28 lernte ich den Zahnarzt meines Lebens kennen, der feststellte, dass unter vier Goldplomben alles kaputt war, also auch die wieder raus. Die Zahnärztin, die das gemacht hatte, war zu dem Zeitpunkt verstorben. Mit 30 hatte ich dann meinen ersten Porsche. Im Mund. Ich kann mich noch erinnern, die erste Zahnsanierung kostete 20.000 Schilling. Wie sich das anhört. Die mit den Goldplomben, die dann wieder rausmussten. Mit 30 war die Migräne dann plötzlich vorbei. Vielleicht war es die Zahnsanierung. Vielleicht aber auch die Tatsache, dass ich mit Fallschirmspringen anfing und wenn Du im Zweiwochentakt einen Turbo Adrenalinschub bekommst, dann bist Du schmerzfrei. Ich hatte bis dahin ja auch immer wieder mit meinem Rücken zu tun, schiefe Wirbelsäule, Schmerzen. Die waren dann auch weg. Vielleicht ist die Migräne deshalb wiedergekommen. Weil nun das tolle Adrenalindepot in meinem Körper endgültig aufgebraucht ist?

Mir ist schlecht und ich packe zusammen und fahre los. Mein Gott, was für ein abgrundtief hässliches Land. Nachdem ich nicht in der Lage war, dieses olle portugiesische Mautsystem zu nutzen, fahren wir abseits der Autobahn. An Porto vorbei. Es sieht hier aus wie in Neapel, nur viel heruntergekommener. Slums! In Europa! Ja, richtige Wellblechhütten, nicht eine, nicht zwei, eine ganze Siedlung. Und vierhundert Meter dahinter das Einkaufszentrum, vor dem die tollen Autos parken und Menschen ihr Geld hinauspulvern als gäbe es kein Morgen. Holprige Straßen, kaputte Häuser, verlassene Geschäftszeilen, schlechte Beschilderung. Ich habe mich noch nie so fremd gefühlt. Ich denke an Thailand, an Indien, auch das war fremd, auch da gibt es mehr Armut als zu Hause. Und dennoch fühlte ich mich nicht so fremd. Mein Kopf dröhnt. Ich kann nichts trinken, mir ist schlecht.

„Magst Du von Frank erzählen“, fragt Carissima leise. „Ich kann nicht, sorry“, sage ich. Ich merke, wie ich trotz Sonnenbrille die Augen zusammenkneife. Ich versuche zu verstehen, warum die blöde Routentante uns dauernd von der Hauptstraße ableiten will, mache einen Gegencheck mit der Landkarte. Die ist übrigens Gold wert, denn in diesem Land scheinen sich seit 30 Jahren kaum Veränderungen bezüglich der straßentechnischen Infrastruktur ergeben zu haben. Folglich gilt meine antike Karte immer noch. Ich suche mir zwei Städtchen als Eckpunkte und halte mich immer an die Beschilderung, außer, die Schilder wollen mich auf die gebührenpflichtige Autobahn schicken. Und dann verstehe ich es plötzlich. Wann immer wo eine Ampel rot ist, nimmt die Routentante Stau wahr und versucht, mich an der Ampel vorbeizulotsen. Das ist der Grund, warum sie mich in kleine Dörfchen, vorbei an Schulen und Sportplätzen schickt, über Holperpflasterstraßen und durch Gassen, die so eng sind, dass man die Spiegel einklappen muss. Dies dumme AAAAAAAAAAAAAAAAA! Ich fluche los und stelle fest, dass ich in acht Sprachen fluchen kann. Das macht mich ein bisschen stolz.

„Ich glaube, wir fahren zu schnell“, sagt Carissima. „Ja, das glaube ich auch“, sage ich. Die Seele reist mit 80, sagt man. So gesehen ist meine Seele wohl immer noch in Logrono und muss nun den weiten Weg durch ganz Spanien erst antreten, während wir bereits durch halb Portugal gereist sind. Ich beschließe, am nächsten Ort auf meine Seele zu warten, wenn er nicht abgrundtief schrecklich ist. Für heute habe ich mich an den Acsi-Campingführer gehalten. Ja, soweit bin ich jetzt. Ich lese Bewertungen von Reisenden, damit ich nicht mehr auf einem Platz wie dem letzten lande. Und ehrlich, ich will auch nicht an einem Platz am Meer landen, wo man wild stehen kann und dann warten, bis alle anderen Romantiker schlafen, damit ich in die Büsche aufs Klo gehen kann. Ich will irgendwo schön und sicher stehen und bei offener Tür schlafen können, damit endlich diese Kopfschmerzen aufhören.

Der Platz im Nirgendwo, an dem ich dann kurz vor fünf völlig erledigt ankomme, wurde von 26 Reisenden als „Oase“ beschrieben. Tontechnisch kann ich das nicht bestätigen, denn er befindet sich direkt neben der Autobahn. Aber der Rest stimmt. Es ist einfach zauberhaft.

Tag 58, 25. Oktober 2019

Zauberhaft. Zauberhaft, das bedeutet, unter alten Bäumen zu parken und zwischen den Zweigen die Sonnenstrahlen zu sehen, Schutz zu finden auf einem Stück Land, das mit Liebe gepflegt wird. Zauberhaft, das bedeutet, ein kleiner Laden mit Produkten des Landes, eine Bar, in der man darauf vertraut, dass Du Dir selbst merkst, wieviel Bier Du getrunken hast, eine funktionierende Waschmaschine, aus der tatsächlich saubere Handtücher kommen. Das erste Mal seit 50 Tagen.

Zauberhaft, das bedeutet auch, dass Du Dich nach zwei Nächsten so fühlst, als würdest Du hier schon ewig sein, es bedeutet frisches Brot vom Bäcker, der jeden Morgen kommt, Wanda, die in dem Wäsche-Transportwägelchen von der Waschküche zum Trockenplatz mitfährt und für Entzücken sorgt, es bedeutet, T-Shirt und Flipflops, am Abend draußen sitzen und zauberhaft, ja, das bedeutet auch endlich mal wieder Mittagsschlaf.

Tag 60, 27. Oktober

Die jährliche Umstellung von Sommerzeit auf Winterzeit verwirrt mich, obwohl meine Geräte das ohnehin von selbst machen. Oder vielleicht gerade deswegen. Der Computer ist auf Heimatzeit, das Telefon auf aktuellen Ort eingestellt. Ich benötige den ganzen Tag, bis ich kapiert habe, dass die Zeit bereits umgestellt ist. Heute habe ich zwei Wwoofer kennengelernt und wieder einmal packt mich diese Idee. Ich überlege hin und her… die Frage ist, ob ich, wenn ich jetzt lustig auf einem Bauernhof mitarbeite, überhaupt noch vernünftig zum Schreiben komme. Es ist ja so schon ein ständiges Auf und Ab. Hmmmmmmmmm… Die Frage ist ja auch, wie lange ich noch unterwegs sein werde. Ich habe keinen Plan! Das ist neu.

Carissima räuspert sich. „Da wäre noch der Roman…“, meint sie. „Jajajaja“, sage ich, „ich denke ja nur so.“ „Ich habe da außerdem noch so eine Idee“, sage ich. „Eine neue Idee?“, fragt Carissima und ich merke, dass sie ein wenig verkrampft klingt. Ja, aber so ist das nun einmal mit Ideen. Die kommen eben immer wenn sie wollen und nicht wenn es einem passt. „Ich habe gelesen, dass die Romance Szene boomt“, sage ich, „Frauen jeden Alters, jeder Bildung, egal ob Stadt oder Land, fliegen verstärkt auf romantische Romane, das habe ich irgendwo im Internet gelesen“, sage ich. „Nein!“, kreischt Carissima, „keine Liebesgeschichten!“. „Aber warum denn nicht“, frage ich, „die werden zumindest von vielen Menschen gelesen!“. „Nein, die werden immer schlecht. Immer! Nein!!! Bitte erzähl doch einfach weiter von Frank, aber ohne Liebe!“, schreit sie. Frank ohne Liebe. Das wäre ja schon mal ein Titel.

Die letzte Nacht auf O Tamanco. Hans fragt, warum ich abreise, ein bisschen aus Spaß, ein bisschen ernst. Irgendwann muss ich weiter, möchte ich sagen, doch mir fällt keine adäquate Formulierung auf Englisch ein, die nicht komisch klingt. Erstens muss ich nicht und dieses nicht müssen impliziert der österreichische Dialekt, auch wenn man „muss“ verwendet, zweitens warum jetzt, ja, weil eben. Auf österreichisch wäre das ganz klar, Du, i muas jetzt weida. Ohne einen Zwang, ohne ein Getrieben Sein, ohne jemanden, der es verlangt, einfach so, weil es so ist eben. Ich liebe meine Muttersprache so sehr! Es ist ein Jammer, dass es noch keine gut etablierte Kultur gibt, das Österreichische auch schriftlich zu verwenden. Echt ein Jammer.

Oiso. I muas weida.

Hans und Irene kommen aus den Niederlanden und haben ihre Heimat vor 21 Jahren verlassen. Sie waren Ende 20 und wussten, entweder ändern wir jetzt etwas an unserem Leben oder nie. In Portugal haben sie diesen Ort gefunden und das daraus gemacht, was heute hier ist. Ein Biobauernhof mit integriertem Campingplatz. Oder ein Campingplatz mit Biobauerntätigkeit. Wie man will. Damals war hier nichts, erzählt Hans, die Bauern haben noch mit den Ochsen die Felder gepflügt. Es war ein Paradies. Mittlerweile hat man Hans und Irene eine Autobahn vor die Tür gestellt und die Bundesstraße samt Riesenkreisverkehr ausgebaut. Der Kreisverkehr macht lärmtechnisch mehr Kummer als die Autobahn, sagt Hans. Gehen wollen sie dennoch nicht. Es hat ja auch sein Gutes, dass sich alles ändert, den Menschen in der Region geht es jetzt besser, erzählt er. Und sie selbst können richtig gut von dem leben, was sie hier aufgebaut haben. Und obwohl auch sie gerne verreisen, kommen sie immer wieder gern hierher zurück. Ich glaube, sagt Hans, dass wenn Du zu Hause nicht glücklich bist, dann bist Du es nirgendwo. Das möchte er all jenen sagen, die glauben, hej, lass uns nach Portugal abhauen, da werden wir glücklich.

Das Glück beschäftigt nicht nur mich.

Wanda Chihuahua Circus Wanda

Mittlerweile hat es zu regnen begonnen. Es ist knapp nach zehn, es nieselt warm und ich laufe mit dem T-Shirt zurück zum Auto. Der Weg ist übersät mit Feuersalamandern in einer für uns Österreicher abartigen Größe. Sie stehen auf dem geschotterten Weg, als möchten sie auf sich aufmerksam machen, hej, aufpassen, steig nicht auf mich drauf. Wanda möchte die Salamander unglaublich gerne haben, das darf sie aber nicht. Als ich eine Stunde später Zähenputzen gehe, sind es noch mehr. Es ist, als stünden lauter Mini Dinosaurier mit hoch aufgereckten Köpfen am Weg und beobachteten, was ich als nächstes vorhabe.

Am Morgen sind sie weg. Es ist immer noch warm, regnet aber nicht mehr. Es fällt mir schwer, jetzt wirklich zu fahren. Noch einmal den Bäcker abwarten, der um Punkt 8.45 Uhr kommt, noch einmal ein Schokocroissant, noch einmal Wasser auffüllen, noch einmal eine Runde mit Wanda und dann beginnt es wieder zu regnen. Ich fahre los. Nicht weit. Nach Nazare sind es knapp 70 Kilometer und wir sind in einer Stunde dort. Aber. I muas irgendwon amoi weida.

Tag 62, 29. Oktober, Nazare

Was für ein Glück, bis wir zusammengepackt haben, hält das Wetter. Kaum auf der Straße, beginnt es zu regnen. Beim Intermarche tanke ich aus Versehen diesen blöden E10 Kraftstoff, mir fällt das nach 20 Litern auf und ich lasse es gut sein. Verdammt. Wie schlimm das wohl ist? Nachdem ich nun ein Guthaben von 20 Euro für die digitale Maut in Portugal habe, beschließe ich, die paar Kilometer auf der Autobahn zu fahren und dann nochmal zu tanken. Was Gscheites. Was ich nicht kapiert hatte, ist, dass es digitale Mautabschnitte gibt und solche, bei denen man ganz normal am Mauthäuschen bezahlen muss. Und die digitalen Abschnitte, die sind fast ausschließlich in Nordportugal und die haben wir längst hinter uns gebracht. Einen Abschnitt gibt es noch bei Lissabon und dann nochmal an der Algarve. Ich hoffe nur, dass die armen Portugiesen hier nicht diese Summen zahlen müssen, die wir Touristen bezahlen, denn das ist richtig teuer. Für 60 Kilometer lege ich über zehn Euro ab. Es ist mir aber egal, ich bin froh, dass wir rasch in Nazare sind, wo es heute noch sonnig ist und außerdem kann ich mich auf der Autobahn besser den Motorgeräuschen widmen als auf den rumpeligen Landstraßen.

In Nazare hängen die Wolken tief und ich verliere keine Zeit, um ins Städtchen zu wandern. Angepriesen wird es ja als Fischerdorf, das seinen Charme behalten hat, aber ich denke, diese Beschreibung ist wohl zehn Jahre alt. Jetzt gibt es noch eine Handvoll historischer Boote am Strand zu besichtigen, in einem Freilichtmuseum. An der Strandpromenade reiht sich ein Andenkenladen an den nächsten, ein Restaurant mit „garantiert authentischer Küche“ an das andere. Und dennoch, einen gewissen Charme hat sich diese Stadt behalten.

Wie in vielen portugiesischen Städten gibt es eine Standseilbahn von den unteren Vierteln zu jenen, die oben an der Klippe liegen. Dort geht es noch touristischer zu. Dafür hat man einen Wahnsinnsausblick. Hier wird auch geflogen und wie an allen guten Spots sind die Schweizer da. Ein Flugschulfahrzeug parkt neben dem anderen und aufgeregte Gleitschirmpiloten rennen hin und her, um die Flugtauglichkeit des angebrochenen Tages durch viel Bewegung wieder herzustellen. Wird aber nichts mehr, dicke, schwarze Wolken ziehen bereits vom Landesinneren hinaus Richtung Meer.

Cool – wir schaffen es zurück auf den Platz, ohne nass zu werden. Hier stehe ich lauschig unter Pinien, doch leider sind diese vom „Pinien-Prozessionsspinner“ befallen. Diese Nachtfalterart schickt im Frühling ihre Raupen los, die hintereinander, wie aufgefädelt, durch die Wälder marschieren. Wie eine Prozession. Das Gefährliche an ihnen sind die feinen Härchen, die sie abschießen, wenn sie sich bedroht fühlen. Bei Menschen sorgen diese für juckige Hautstellen, als wäre man von Insekten gestochen worden, oftmals für Atemprobleme, für Hunde können diese kleinen Waffen tödlich sein. Darum wird man am Campingplatz auch gewarnt, wobei die Saison für den Prozessionsspinner längst vorbei ist. Am Boden könnten aber noch Härchen herumliegen. Darum darf Wanda am Campingplatz nicht ins Gebüsch und ich beschließe, morgen weiterzufahren.

Tag 63, 31. Oktober

Mein Plan für heute wäre, bis ganz in den Süden zu fahren. Kurz, nachdem ich losgefahren bin, beginnt es, wie aus Kübeln zu schütten. Ich komme langsam voran, ich höre tausend Motorengeräusche, die da nicht hingehören. Was, wenn wir jetzt irgendwo liegen bleiben? Oh bitte nicht. Was, wenn Carissima plötzlich nicht mehr kann? Ich tanke voll, den guten, richtigen Sprit und eine Welle der Besorgnis jagt die nächste.

„Was, wenn Dir der Mond auf den Kopf fällt?“, sagt der Blues. Ich habe nicht gemerkt, dass er zugestiegen ist. Es hätte mir auffallen müssen, dieser leichte Geruch nach kaltem Rauch. „Was, wenn die Autobahn explodiert?“, ätzt er weiter, „was, wenn morgen die Welt untergeht?“. Ich würde mir gern die Ohren zuhalten, muss sie aber am Lenkrad lassen, da mit dem Regen auch extreme Seitenwinde kommen. Hinter jeder zweiten Kurve steht ein Warnschild dazu. Ich denke nach. Hat er recht? Ich mache mir ja wirklich dauernd Sorgen. Besser, die Sorgen machen mich. Fertig. Also, egal, was ich mache, kommt irgendeine Sorgenwelle und schwappt über mich hinweg. Wenn wir unterewegs sind, ist es Carissima. Oder Wanda, die mal wieder einen Knochen überschnell vertilgt hat und dann husten muss. Oder die Tatsache, dass sich mein Geruchssinn nicht mehr einstellen will. „Jetzt lass sie doch mal in Ruhe“, sagt Carissima. „Würde ich gern, immer zu Diensten“, sagt der Blues, „ist ja nicht so, dass ich nicht gerufen worden wäre.“ Das macht mich stutzig.

Ich halte an einer Autobahnraststätte. Hier gibt es überdachte Parkplätze, was für ein Segen. Hole mir einen doppelten Espresso und dann den Computer nach vorne und recherchiere neu. Bei diesem Wetter und mit dieser Stimmung will ich heute keine 400 Kilometer fahren. Außerdem regnet es im Süden auch, da sind wir dann, Moment, einen Kilometer vom Strand entfernt. Und vom nächsten Dorf. Also suche ich die Strecke ab, nach einem Campingplatz in etwas belebterer Umgebung, direkt an der Küste, dann kann ich zumindest das Meer sehen, und nicht mehr als 200 Kilometer entfernt. 40 Kilometer hinter Lissabon werde ich fündig und gebe das neue Ziel ein. Durch Lissabon wird uns die Routentante führen müssen, das hilft nichts.

In Lissabon war ich mal. Das war grandios. Ich habe mein erstes Buch dort fertig geschrieben, war voller Erwartung, voller Aufbruchsstimmung. Kein Blues weit und breit. Nur ich und das Buch und die Stadt im Frühsommerlicht. Nun darf ich Lissabon bei Nebel, Nieselregen und Mittagsverkehr erleben. Aber immerhin fahren wir über die Brücke, die aussieht wie die Golden Gate Bridge. Drüben, auf der anderen Seite, wartet die Jesus Statue, die aussieht wie die in Rio de Janeiro. Wenn ich die Bardenas Reales jetzt noch dazu zähle, dann waren wir irgendwie eh in Amerika, denke ich mir. Es ist sonderbar, dass mich das Aufgeben dieser Reisepläne jetzt, unterwegs, wesentlich mehr beschäftigt, als in den Wochen vor der Abreise.

Nach Lissabon geht es dann an die Küste und unser Ziel ist nicht mehr weit entfernt. Allein, die Routentante beschließt wieder einmal, eine herrliche Abkürzung zu nehmen. Während ich allen anderen Abkürzungsvorschlägen bisher tapfer widerstanden habe, lasse ich mich auf diesen ein, im Glauben, Routentante würde uns zum Campingplatz leiten. Tut sie aber nicht. Und leider kann ich auch nicht feststellen, was sie tut, denn mittlerweile ist es neblig geworden und die Sicht beträgt grob zwei Fahrzeuglängen. Nach einer Etappe durch Pinienhaine sind wir plötzlich auf Schotter, der Nebel scheint vor allem von rechts unten neben der Straße zu kommen und ich vermute, dass da das Meer ist. Es gibt so gut wie keine Umkehrmöglichkeiten und ich schwitze, weil es nicht nur neblig, sondern auch ausgesprochen warm ist. Der Weg wird steil, führt nach unten, zweimal kommen wir auf dem groben Schotter ins Rutschen. Links ein Felsen, rechts die Nebelsuppe. Ich könnte heulen. Dieses depperte Ding.

Endlich, nach weiteren drei Kilometern der Ungewissheit, sehe ich einen Asphaltstreifen vor mir. Diese blöde SAU! Hier gibt es Asphalt und wir sind über Schotter gekommen. Dann eröffnet sich vor mir ein Hafenbecken, Schiffe, Lkw, ein großer Parkplatz, eine Fischfabrik und etliche Restaurants. In der Ferne, im Nebel, ein Städtchen. Und gleich beim Parkplatz der Campingplatz. Später sehe ich dann auf der Karte nach und ja, Routentante hat den kürzesten Weg gewählt. Durch ein Naturschutzgebiet, in dem man normalerweise wandern geht. Die Tante hat es echt mit Naturschutzgebieten. 

Tag 64

Der Nebel steht auf der Erde. Wir Alpenbewohner kennen so ein Wetter nicht. Es hat 21 Grad, der Nebel steht, dazwischen nieselt es. Die Feuchtigkeit dringt durch alle Ritzen und Poren, schleicht sich in Gebäude, in Autos und natürlich auch in die Kleidung. Ich marschiere in Richtung Städtchen, denn ich möchte noch was einkaufen und brauche dringend Bewegung. Vom Campingplatz weg gehe ich an der Fischfabrik entlang, dann am Hafen. Fischer sortieren Leinen. Über dem Parkplatz liegen Unterkünfte, Wäscheleinen mit niemals trocknender Wäsche zeugen von kleinen, klammen Zimmern. Farbe blättert ab, Holz splittert, kein Wunder, diese feuchte Luft vom Meer zerlegt alles in Einzelteile. Obwohl es einige Restaurants an der Straße gibt, möchte ich hier nicht in der Nacht entlang gehen.

Das Städtchen scheint in der Hochsaison richtig gut besucht zu sein. Ein Strand, eine Strandpromenade, unzählige Bars und Restaurants, Hotels und schmale Gassen, die vom Strand in die Innenstadt führen. Jetzt ist alles verlassen, die wenigen Menschen, die uns begegnen, werden wenige Meter später vom Nebel verschluckt. Kurz, nachdem ich meine Einkäufe erledigt habe, beginnt es zu regnen. Ich ziehe meine Regenjacke an. Denke mir noch, ein Wunder, diese Jacke habe ich seit 1997. Da bin ich mit Chris nach Schottland gefahren und wir haben uns Regenjacken gekauft, in Norddeutschland. Er eine gelbe, ich eine orange. Eben jene Jacke ziehe ich also an, stecke Wanda in die Jacke, denn der Rucksack ist voll mit Einkäufen, und wandere zurück. Nach zehn Metern bin ich völlig nass, von innen, weil das einfach zu warm ist mit der Jacke und dem warmen Hund, von außen vom Regen. Ich könnte genauso gut nackig durch den Regen laufen.

Zurück beim Auto bereue ich es bitterlich, das Zelt nicht aufgebaut zu haben. Jedes Mal, wenn ich die Tür öffne, wird es nass am Einstieg, ich habe keinen Platz für meine nassen Schuhe und der Blues nebelt bei geschlossener Tür eine dichte Wand in den kleinen Lebensraum. Wie vor einigen Stunden die Nebelwand, die aus dem Meer kam.

Der Nebel hier erinnert mich an Schottland. In Stonehaven war das auch so. 20 Grad, eine dichte Nebelwand, deren Feuchtigkeit in jede Pore dringt. Es ist nirgendwo mehr wirklich trocken, aber auch nicht kalt. Meine Regenjacke, die zum Trocknen im Waschhaus aufgehängt war, ist am Morgen genauso nass wie am Abend zuvor. Es regnet den ganzen Tag, keine großen, klatschenden Tropfen, sondern feiner Sprühregen, der vom Wind überall hingetragen wird. Ich nutze die einzige Regenpause am Nachmittag und baue mein Zelt auf. Überraschend schnell geht das, wenn man den nächsten Sprühregenangriff bereits kommen sieht. Dann schalte ich, um die Feuchtigkeit ein wenig zu verringern, die Standheizung ein. Das ist natürlich viel zu warm, wenn‘s draußen eh schon 20 Grad hat und so sitze ich in der Unterwäsche und warte. Am besten festzumachen ist die Feuchtigkeit an meiner Schamanentrommel. So lange diese dumpf und leblos klingt, ist es feucht. Sobald sie in ihrem hellen, lebendigen Ton erklingt, ist die Luft trocken.

„Mir ist langweilig“, sagt Carissima, „kannst Du nicht von Frank erzählen?“. „Kann sie nicht“, sagt der Blues, „sie kann ja keine Geschichten über 250 Wörter fertigschreiben!“. „Das stimmt nicht“, sage ich, „ich habe auch schon Bücher geschrieben“. „Sachbücher“, sagt der Blues. „Na und“, sage ich. Er grinst mich einfach blöd an. „Auftragsschreiberei“, ätzt er. „Alter, wenn ich nicht auftragsschreiben würde, dann könntest Du hier nicht neben dem vollen Kühlschrank sitzen, das ist Dir klar“, sage ich aufgebracht. „Du könntest Deine Energie in ein richtiges Buch stecken“, sagt er. Oh wie er mich nervt!!! Ich habe mal von einem Autoren – oder war es eine Autorin – gelesen, der sich regelmäßig an seinen Schreibtisch ketten ließ, um am Schreiben zu bleiben. Manche Menschen haben zum Schreiben eine sehr ambivalente Haltung. Sie lieben es, sie brauchen es, sie können sich nichts anderes vorstellen und dennoch wollen sie ständig davor davonlaufen. Ich gehöre zu dieser Gruppe.

Ich denke nach. Überlege, was ich wirklich brauche. Er hat ja recht. Ich könnte, könnte, könnte. Ich könnte mich einen Monat ins Kloster einsperren. Irgendwo am Meer sitzen. Aber das mache ich ja jetzt auch. Der Unterschied zwischen meiner Vorstellung und dem, was wirklich ist, könnte einfacher nicht sein, kommt es mir plötzlich in den Sinn. In meiner Vorstellung habe ich kein Internet. Bin nicht dauernd verfügbar. Bekomme keine 40 Mails pro Tag. Anfragen, Rechnungen, Hinweise und Gratulationen auf 15 verschiedenen Kanälen. Was interessiert es mich, dass mein Linked In Profil wahnsinnig oft angesehen wird? Dass meine Pins unglaublich viele Verlinkungen erzielen? Dass ein Blogger Magazin ein Interview mit mir will? Dass ein anderes Interview in wenigen Tagen online gehen wird? Dass ich leider dieses oder jenes Angebot versäumt habe? Das interessiert mich alles nicht, kostet aber viel Zeit. Immer wieder mehr Zeit, als mir lieb ist. Es verwirrt, lenkt ab, zerstreut. Und als hätte das Schicksal mich erhört, erhalte ich just in diesem Moment die Nachricht von meinem Telefonanbieter, dass mein Guthaben nun aber echt, also wirklich jetzt, verbraucht ist. Ich habe tatsächlich in 28 Tagen 20 Gigabyte Daten verbraucht. Und jetzt ist es aus.

Und hier geht’s dann weiter…

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