Murradweg

25. Juli 2012
Um fünf Uhr früh aufgewacht, vor Aufregung nicht mehr schlafen können. Ich sitze also zuerst eine Stunde herum, dann ist es aber erst sechs, schalte den Computer ein und arbeite gaaaaanz leeeeeeise, bis ENDLICH um 8.00 der Wecker klinget. So eine Erleichterung. Der beste aller Männer hat noch nicht alles gepackt, vermeidet jegliches Stessaufkommen und will noch weiterschlafen. Dann stellt er fest, dass er noch was einkaufen muss. WIR WERDEN UM HALB ELF ABGEHOLT!!! Leider muss ich hinten im Auto sitzen und die Gruppe beschließt, über den Tauern zu fahren. Bis dahin bin ich grüngesichtig, übelllaunig und will nur noch raus. Es regnet in Strömen. Mittagessen. Dann endlich: der Regen lässt nach und es wirkt ein wenig, als würde die Wolkenschicht dünner.

Als wir aufbrechen, beginnt es wieder zu regnen. Nach 500 Metern auf dem heiß ersehnten Murradweg, die Mur schon in Sichtweite, stellt der beste aller Männer fest, dass er nicht genug Luft in den Reifen hat. Wir müssen also umdrehen und suchen eine Tankstelle am anderen Ende des Ortes auf. Verzeihung, der Stadt. Der Bezirkshauptstadt, genau genommen. Aufpumpen. Equipment wieder in die Satteltaschen verstauen. Zurück an den Start. Nach 100 Metern stellt der beste aller Männer fest, dass ihm kalt ist und beginnt, in seinen Fahrradtaschen nach einer Jacke zu kramen. Werden wir die Mur jemals zu Gesicht bekommen?

Zwei Dinge fallen auf, als wir dann endlich am Radweg sind: die Kilometerangaben zwischen unseren Reiseführern unterscheiden sich ziemlich. UND: das Höhenprofil meines kleinen Buches, das bis Bad Radkersburg ein permanentes abwärts Fahren verspricht, ist absoluter Humbug. Es geht sogar ziemlich steil bergauf, immer wieder mal. Und dann wieder bergab, was wenig tröstlich ist, weil es sehr kalt ist und der Fahrtwind dann unangenehm wird.

Dann, nach 40 oder 50 Kilometern, je nach Reiseführer, MURAU. Ich sehe die Brauerei am Ortseingang und weiß: hier muss ich bleiben. Der beste aller Männer ist so überrumpelt von dieser Entscheidung, dass er sich sogar zu einer Brauereiführung hinreißen lässt. Und so stolpern wir, kaum mehr des Gehens mächtig, mit zwei Bussen voll mäßig motivierter Bauern und Bäuerinnen (Milchausflug???) durch die alten Hallen.

Mit dem Eintritt in die Brauerei bekommt man selbstverständlich ein Freibier und dieses bewirkt, dass der extrem schlecht gemachte Werbefilm, zu dem man uns am Ende der Führung noch genötigt hat (Preis für die schlechtesten Schnitte der Welt und die lustigsten Bild-Text-Scheren), sich in Gelächter auflöst. Und schau an: erstens ist auch Murau eine Stadt und zweitens eine so kleine, dass wir das Gasthaus, das wir angestrebt haben, sofort finden. Ein richtiges Gasthaus, mit Fremdenzimmern, einem kugelrunden Wirt und einer verrauchten Wirtsstube. Es ist zauberhaft. Gepäck ins Zimmer, heiß duschen und eine Treppe weiter unten wartet schon das Bier 😉

26. Juli
Am Morgen regnet es wie aus Kübeln. Nachdem uns gestern abend mitgeteilt worden war, dass die Wirtin ab 7.00 Frühstück anbiete und es selbiges deshalb nur bis 9.00 gäbe, sind wir also um 9.00 gestellt. Danach lasse ich mir laaaaaaaange Zeit zum Packen, während der beste aller Männer sich noch einmal zu Bett begibt. Ich wundere mich, wie das ungalubliche Chaos an verstreuten Dingen dann letztlich doch in den Packtaschen Platz findet. Endlich. Um Punkt 11.00 Uhr hört es auf zu regnen und wir brechen auf. Am Marktplatz treffen wir noch den kugelrunden Wirt, der sich bei uns bedankt, weil wir so nette Gäste sind. Ich frage mich, wer sonst bei ihm übernachtet. Die Rolling Stones vielleicht?

Entgegen des beschriebenen Höhenprofils meines Murradwegführers geht es heute gleich von Anfang weg steil bergauf. Die Muskeln krachen, der Rücken auch und ich sehe wenig von der Landschaft, weil ich mit Reinbeißen und ein wenig Fluchen beschäftigt bin. Hinter Murau kreuzen wir die Mur, die hier schon viel breiter, reißender und vor allem: sehr hoch ist. Überschwemmte Flussufer und Wiesen zeugen von richtig starken Regenfällen, die den Fluss haben über die Ufer treten lassen.

Nach Unzmarkt sind wir uns einig, endlich mal eine Pause einlegen zu müssen, aber wie dies immer ist auf Reisen: kaum hat man ausgesprochen, was man möchte, kommt dieses Ziel nicht mehr daher. Also kein Gasthaus weit und breit. Der beste aller Männer bstätigt mir bei jeder Steigung, dass es dafür bald wieder bergab geht und ich denke mir, dass es ja dann auch wieder bergauf geht. Alle Muskeln tun mir weh, selbst jene, die ich bis dato nicht kannte, nämlich zum Beispiel ein kleiner Muskel zwischen den Schulterblättern – liegt der eigentlich unter oder über dem Trapezius?

Sauerbrunn. Bergauf. Gasthaus geschlossen. Thalheim. Gasthaus geschlossen! Ich könnte heulen. Es ist mittlerweile sehr heiß geworden und das mitgebrachte Wasser ist ausgetrunken. Immerhin gibt es in Thalheim nebst eines geschlossenen Gasthauses einen Bahnhof mit Trinkbrunnen. Wir füllen unsere Trinkflaschen und setzen uns in den schattigen Gastgarten, in dem ich dann tatsächlich einen Getränkeautomaten entdecke. Der funktioniert! Ich muss an „Dirk Gentlys Holistic Detective Agency“ denken.

Nach dieser halbherzigen Labung müssen wir in Judenburg noch einmal stehen bleiben, eine Suppe ist das, was ich möchte. Und nachdem Judenburg eine Stadt ist, schaffen es die Gasthäuser dann doch nicht, sich samt und sonders vor uns zu verstecken. Entgegen aller Erwartungen ist Radfahren für mich einfach richtig anstrengend. Ich muss zugeben, dass ich heute nicht mehr bis Leoben kommen werde. Leider kann ich nämlich trotz Gelauflage und gepolsterter Raldhose nicht mehr sitzen. Der Rest der Strecke wird also die Hölle, halb stehend, halb am Rad hängend bewege ich mich an Knittelfeld vorbei in Richtung St. Margarethen. Das in meinem Radführer angepriesene Gasthaus in Ugendorf existiert nicht. Der beste aller Männer fährt vor, um mir Ansporn zu geben, stellt aber selbst fest, dass im nächsten Dorf Schluss ist. Und so landen wir in St. Lorenzen, wo ich nach einer Erstversorgung mit Murauer Bier zumindest meine Sachen aufs Zimmer tragen kann. Mein Gangbild ist extrem gestört.

27. Juli
Im Radhotel Seiger lässt man uns Stefans GoPro aufladen, die er gestern leider eingeschalten ließ. Somit war der Aku leer und die Speicherkarte voll – mit 1800 Bildern von Stefans Radltasche, die die am Gepäckstäger montierte Kamera im 2-Sekunden-Takt geschossen hat.

Hier gibt es ein richtiges Frühstücksbuffet mit allem, was das Herz begehrt. Wir nehmen uns vor, heute mehr Pausen zu machen und früh zu starten, denn der Nebel hängt tief bis ins Tal und das verspricht zumindest für die erste Tageshälfte noch angenehme Temperaturen. Außerdem bekomme ich Magnesium-Saft in meine Trinkflasche. Das Doping hat begonnen.

Der beste aller Männer verweigert einen frühen Start jedoch konsequent und legt sich nach dem Frühstück wieder ins Bett. Als wir endlich losfahren, brennt die Sonne bereits gnadenlos vom Himmel. Die Straße schlängelt sich durch liebliche Blumenfelder und nachdem wir bis St. Stefan die Strecke mit einer Oldtimerralley teilen, ist es, als hätten wir einen Zeitsprung gemacht. Wir werden von Autos überholt, die tatsächlich so alt sind, dass wir sie nicht einmal mehr aus unserer Kindheit kennen.

Glockenblumen und Margarithen wachsen am Wegesrad und es ist einfach zauberhaft. Und dann. Geht es wieder bergauf. Noch finde ich das nicht so schlimm, aber ich weiß, dass ich die Steigungen, und seien sie noch so gering, bis zum Nachmittag wieder hassen werde. Wir treffen über den Ortsteil Göss – wie passend – in Leoben ein, suchen uns, wie geplant, einen schattigen Gastgarten, der hier Sitzgarten heißt, und ich brauche wieder mal eine Suppe. Danach entscheiden wir uns für die Südvariante des Weges, ich bekomme noch ein Tuch für den Kopf, was ein weiser Entschluss war, und es geht weiter. 30 Grad und blitzblauer Himmel!

In Bruck an der Mur gibt es dann Eiskaffee, es ist bereits Nachmittag und wir wundern uns über die Sprache der Einheimischen, die riesigen Portionen und die niedrigen Preise. Ab jetzt geht es nur noch Richtung Süden, mit der Sonne aus Südwest, was sich in Bezug auf meinen Sonnenbrand, der trotz Sonnencreme gerade entsteht, deutlich auswirkt. In Pernegg verfluche ich zum ersten Mal, mir das alles angetan zu haben, in Mixnitz heule ich dann vor mich hin, weil alles so weh tut und der beste aller Männer in weiter Ferne vor mit herradelt. In Röthelstein beschließt selbiger dann, dass es für meinen Zustand wohl klug ist, mich in kaltes Wasser zu werfen. Ich selbst bin bereits im Status der Entscheidungsunfähigkeit und werde ohne weitere Befragungen zum nahen Badesee gebracht. Wie konnte ich das einmal nicht mögen, einfach ins kalte Wasser zu springen und dort zu verweilen!

Jetzt wird alles gut und ein wenig gestärkt geht es weiter nach Frohnleiten, wo ein Platzkonzert in der Stadtmitte die vielen krückenbestückten Gäste entzückt. Was immer hier los ist – es sieht stark nach Kurort aus. Was uns zum Thema Kur bringt und den besten aller Männer dazu, mir zu beichten, dass wir einen Tag früher nach Hause müssen, weil er die geplante Arbeit vor seinem eigenen Kurantritt nicht geschafft hat. Morgen also der letzte Tag. Und wie immer, wenn ich dann beim abendlichen Bier sitze und die Schmerzen vergessen sind, finde ich das außerordentlich bedauerlich, dass diese Reise so bald zu Ende sein wird. Wir nehmen ein Zimmer im „Alten Sudhaus“ und speisen vorzüglich im Volksgartenrestaurant, eine Empfehlung für alle, die des Weges kommen! Hmmmmmmmmm.

28. Juli
Nach einem ausgiebigen Frühstück im „Alten Sudhaus“ (dessen Zimmer an einen Palast erinnern, wir wohnten eigentlich in einer Zweizimmerwohnung!) und den üblichen Startschwierigkeiten (draußen hat es um 10.00 Uhr früh bereits 30 Grad) beschließen wir, ein Stück getrennt zu fahren, denn ich will mir die morgendliche Bergetappe durch den Wald ersparen. Wir treffen und also eine Stunde später an der Lurgrotte, eventuell eine Besichtigung einplanend (eventuell und einplanen, das kann nur vom besten aller Männer kommen!).

An der Grotte angekommen ist die Aussicht auf Radtaschen auspacken, lange Hose und Pullover anziehen und selbiges dann in umgekehrter Reihenfolge jedoch wenig verlockend und der Verzicht fällt leicht. Die Luft steht, der Asphalt flirrt und nur der Fahrtwind bringt ein wenig Abwechslung.

Deutsch-Feistritz. So entzückend. Hier könnte man doch einfach auch mal bleiben. Im alten Sensenmuseum werden allabendlich Sommertheatervorstellunngen gegeben und das Programm klingt interessant, von Nestroy bis Shakespeare. Ab Deutsch-Feistritz geht es in gemütlichem Tempo – und ohne gröbere Steigungen – bis Graz weiter. Nachdem wir nun einen Tag früher nach Hause müssen und der Radtransport mittels Zug gar kein so einfaches Unterfangen ist (und mindestens einen Tag vorher gebucht gehört), verzichten wir auf eine spontane Weiterreise und beschließen, in Graz zu bleiben. Es bleibt also Zeit für ein paar Stunden am See bei Gratwein, bevor wir abgekühlt und frisch nach Graz weiterradeln. In der Ferne baut sich ein Gewitter auf, das Seinesgleichen suchen muss – es sieht richtig nach Weltuntergang aus, einzig die apokalyptischen Reiter fehlen noch.

Beim Frühstück hatte ich ja, in Anbetracht der Tatsache, dass ein vernünftiger Stadtplan der Stadt Graz fehlt, einige Quartiere vorgeschlagen, nach denen wir bei der Einfahrt in die Stadt Ausschau halten könnten. Von Gratwein über Judendorf geht es also weiter, ein kleines Stück der Mur entlang und dann hinauf nach Gösting. Erfrischend dabei: es geht danach richtig gut hinunter, wieder bis an die Mur, die hier ordentlich Schlamm abgelegt hat. Der Radweg ist zum Teil gesperrt, zum Teil zu Fuß bewältigbar und ein wenig sieht es aus, als hätte man hier einen künstlichen Sandstrand angelegt. Als wir schon fast in der Innenstadt sind, recherchieren wir nochmals wegen der Quartiere und ich bemerke, dass das Gasthaus Kokol sich ja wirklich gut angeboten hätte, weil sehr günstig und radfreundlich und direkt am Weg, aber leider hätte ich es nirgendwo gesehen. Der beste aller Männer meint daraufhin, achso, der Kokol, der war oben in Göstling, grade dort, wo der Weg dann wieder bergab ging. *gerpsskgdhlkfkwath*

Also zurück.

Im Vergleich zu gestern ist dieses Zimmer winzig klein, aber wirklich sehr günstig und wir könnten die Räder einstellen, denn es komme ja ein Gewitter, meint der Herr Kokol. Weil wir aber wagemutige Helden sind, fahren wir noch mit den Rädern in die Stadt, checken die Zugtickets (aufgrund eines Schienenersatzverkehrs ab Selzthal, der keine Räder transportiert, müssen wir über Linz reisen!) und besichtigen die schöne Kulturhauptstadt. Auf den Schlossberg führt zum Glück mittlerweile ein Lift, der in einen sehr spacig beleuchteten Tunnel gebaut ist, in dem sich offensichtlich einmal eine Grottenbahn wie am Pöstlingberg befunden hat. Das wäre natürlich etwas für Luis gewesen, der bitterlich weinen muss, weil die Grottenbahn geschlossen ist. Uhrturm. Der beste aller Männer ist müde und möchte dort oben nicht mehr spazieren gehen, sondern lieber Bier trinken. Was natürlich umgehend erledigt wird. Dann wieder runter. Die Murinsel. Dahinter scheint die Welt nun wirklich unter zu gehen. Was habe ich vorhin von apokalyptischen Reitern berichtet. HIER wäre ihr Platz, und nirgend anders!

Und dann beginnt es zu stürmen und wir flüchten uns in ein gutes Gasthaus, die Steirerstubn, und während die Kellnerin noch versichert, dass das Wetter noch halten wird, beginnt es wie aus Kübeln zu schütten. Und wir Pessimisten haben einen Platz im Trockenen, als die nassen Gäste von Draußen herein strömen.

Bei Wein und allerlei Köstlichkeiten bleiben wir so lange sitzen, bis es wieder aufgehört hat zu regnen und radeln dann zurück ins Gasthaus, wo man den ganzen Abend mit der Sicherung der für das morgige Fest vorbereiteten Zelte beschäftigt war. Nun steht aber noch alles, wie es aussieht und wir können alle den Schlaf der Gerechten schlafen.

Das waren sie, die Abenteuer der beiden Helden auf dem Murradweg. Was gibt es noch zu sagen: am kommenden Tag sind wir auf Druck meinerseits endlich einmal so früh aufgebrochen, dass wir drei Stunden vor Abfahrt des Zuges vor Ort sind und somit noch gemütlich Zeit für eine Stadtbesichtigung finden. Das Kunsthaus mit Arbeiten von Liu Xiaodong und der Medienkunstsammlung. Die Murinsel mit dem abgefahrenen Cafe, in dem Fotografieren ausdrücklich untersagt ist, was ich aber wieder einmal erst beim Rausgehen merke…

Und dann sind wir nach Hause gefahren, fünfeinhalb Stunden mit dem Zug und dort auch noch meine meist gehasste Steigung hinauf geradelt. Bei allem, was ich erlebt habe: der Voggenberg ist doch die übelste Steigung von allen. Aber jetzt ist’s viel leichter!

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