In den Süden – Der Reise dritter Teil

Imperia – Lucca

Internetlösung gebongt. 10 Giga für 28 Euro, das passt doch, diesmal zeitlich nicht begrenzt, passt auch. Und es funktioniert ÜBERALL, weil TIM. Das freut mich natürlich außerordentlich. Nach zwei Tagen in Imperia bin ich also rundum glücklich, habe das Städtchen besichtigt und stelle fest, dass doch mal richtig cool wäre, weil ich jetzt schon damit angefangen habe, die Via Aurelia durchzufahren bis nach Rom. Ich finde diese Idee grandios und stelle fest, dass es hier mal bis Genua weitergeht wie an der Cote d’Azur. Kleine Städtchen, die jetzt bereits im nachsaisonalen Schlaf liegen, verlassene Strände, Palmen, Cafes und atemberaubende Bergstraßen folgen in einem Tempo aufeinander, dass man nach drei Stopps nicht mehr weiß, wie oft man noch stehen bleiben möchte, ein Fotomotiv jagt das nächste. Genua ist eine Herausforderung. Anfangs bin ich noch sehr stolz, dass ich die Aurelia nicht verliere, doch eine Abzweigung nicht aufgepasst und schon bin ich im Großstadtdschungel. Carissima findet stop and go nach einigen Kilometern mäßig witzig, wir spielen wieder heiße Füße und als ich dann die Autobahnauffahrt sehe, beschließe ich, dem Genua-Debakel ein Ende zu setzen und die Stadt zu umfahren. Die Autobahn ist kurvig und extrem schmal, das Überholen der Lkw wird zur Herausforderung und ich bin froh, als ich eine Abfahrt später wieder runter kann und sofort wieder auf der Aurelia bin.

Nach Genua geht es dann in der Qualität weiter, allerdings wird das Wetter regnerisch, dicke, schwere Wolken hängen über dem Meer, an manchen Stellen scheinen sie es zu berühren. In der Ferne fahren Ozeanriesen hinaus auf das große Meer. Die Straße ist kurvig, eng, mit herrlichen Ausblicken, die sich nun regenverhangen und trüb zeigen. Ich bin etwas unschlüssig, was ich tun soll. Es ist später Nachmittag, es regnet, jetzt einen Campingplatz zu suchen, macht keinen Spaß. Vielleicht bis La Spezia weiterfahren? Ins Hinterland? Auf einmal, etwa 40 Kilometer vor La Spezia, klingelt das Telefon. Jetzt ist es ja so, dass ich das Telefon nie eingeschalten habe. Hatte. In Gruissan brauchte ich mal einen Wecker und hatte einen Anruf vom fast weltbesten aller Männer drauf. Der seitdem verschollen ist. Naja, was soll ich sagen, klar lässt man das Telefon dann an. Und nimmt sich vor, wenn der sich nicht mehr meldet, dann wird die Küstenwache, die Bergrettung, das FBI und vielleicht auch die italienische Polizei verständigt. Und jetzt ruft er an, aus einer Telefonzelle, ist ebenfalls 40 Kilometer von La Spezia, hat sein Telefon kaputt gemacht und wir beschließen, uns am Campingplatz in Levici zu treffen. Den ich dann lange suche, denn es gibt ihn nicht mehr. Mir hat das Suchen jedenfalls sicher weniger Mühe gemacht 😉 Der fast weltbeste aller Männer ist nämlich mit dem Fahrrad unterwegs und nachdem wir die Küste bis Viareggio abgesucht haben und alle Campingplätze zu haben (und ich mich verweigere, bei Regen und Gagawetter irgendwo in der Pampa zu schlafen) betrete ich seit vier Wochen das erste Mal ein fixes Zimmer, also so richtig mit Bett und Bad und Hallellujah! Carissima parkt vorm besten Hotel der Stadt und fühlt sich offenbar grandios. Heiße Dusche, ohne dann in der Kälte zurück zu stapfen. Pizza. Wein. Was für ein Fest. Wir feiern 11.000 Kilometer und ich schlafe wie die Königin höchstpersönlich.

Hätte ich in der Nacht noch begriffen, wie nah Lucca ist, wäre ich dorthin gefahren. Aber ich war einfach komplett drüber, nicht mehr in der Lage, eine vernünftige Entscheidung zu treffen. Nun aber, bei Tageslicht, sehe ich die knapp 27 Kilometer auf der Karte und es ist klar, Lucca zum nächsten Stopp zu machen, Wäsche waschen, Sachen trocknen, wieder mal Ordnung schaffen. Denn selbst wenn man ein Auto hat und kein Fahrrad, wenn es regnet und man im Auto wohnt, ist irgendwann alles nass. Oder zumindest klamm. Sandig. Voller Blätter. Oder einfach so in Unordnung, dass man nichts mehr findet. Der Campingplatz in Lucca ist in Ordnung, aber von einer gar sonderbaren Geräuschkulisse versorgt. Aus einem völlig unerfindlichen Grund scheint in Lucca die Hauptzentrale des italienischen Rettungsdienstes stationiert zu sein, denn gefühlte alle zehn Minuten fährt ein Auto mit Sirene irgendwo herum. Neben dem Campingplatz befindet sich ein Fußballplatz, an dem jeden Abend trainiert wird und ein Schießplatz, an dem den GANZEN TAG geschossen wird. Über dem Campingplatz starten Flugzeuge, wo auch immer sie herkommen, denn es sind kleine Flugzeuge, es sieht nach Flugübungen aus und jetzt kommt’s: als wäre das nicht genug, wohnt genau neben dem Campingplatz ein Freund der elektronischen Musik, der offenbar unter dem Druck eines Mitbewohners leben muss. Sprich. Plötzlich macht es bum-bum-i-i-i-japa-bum-bum-bum in VOLLER Lautstärke, so dass die Tassen am Tisch klirren, dann ist wieder für zehn Minuten Ruhe. Und dann wieder. Was toll daran ist, ist, dass man bis spätabends machen kann, was man will, denn wer soll sich angesichts diesen Wahnsinns beschweren?

Livorno

Weit ist das ja nicht, aber das Zusammenpacken in Lucca hat ewig gedauert und ich möchte die kommenden beiden sonnigen Tage gern am Meer verbringen. Dann soll es angeblich abkühlen und erst mal zwei Tage kräftig regnen. Ich lande bei Regen am einzig geöffneten Campingplatz in der Gegend, kurz vor Livorno, wo ich, als ich in die Rezeption gehe, eine Massagesitzung störe. Der Masseur kommt heraus, meint, er spreche nur italienisch und ob ich nicht zehn Minuten warten könne. Nach zehn Minuten kommt der Mann von der Rezeption, streckt sich noch ein bisschen und spricht mich dann in perfektem Deutsch an. Normalerweise wird hier nur ab zwei Personen mindestens abgerechnet. Sprich, als einer allein bist Du immer der Loser. Was nicht schlimm ist, finde ich, denn der Platz kostet ja trotzdem nur 19 Euro. Aber der frisch Massierte sieht mich kurz an, nimmt dann seine Brille zur Hand, überlegt und schreibt 12 Euro auf einen Zettel. Ob das in Ordnung sei. Ja, eh klar, sage ich. Offenbar sehe ich schon wieder so aus. Mir passiert das öfter mal, wenn ich länger am Weg bin, dass ich dann Geschenke bekomme. Weil ich irgendwie aussehe, ich weiß natürlich nicht wie.

Dann wird noch ein Mitarbeiter herbei geholt, der mir zum Stellplatz vorfährt, mittlerweile regent es richtig heftig. Es ist zum Glück nicht kalt. Der Mann parkt mich neben einen anderen T3, offenbar sind wir die einzigen Nicht-Dauercamper hier. Ich nehme an, dass das Nebeneinander Stellen seine Gründe hat, normalerweise mag ich ja nicht so eng parken, aber was soll’s. Jetzt erst Mal Entscheidungen treffen, für das Zelt regnet es zu heftig, für ganz ohne Vorbau ist zuviel noch feuchte Wäsche im Auto. Also die Plane, zwischen drei Bäume und Carissima. Tisch knapp vors Auto, sitzen im Auto, so geht sich das aus, ohne nass zu werden. Als ich dann das Bad aufsuche, sehe ich weiße Kaninchen, die friedlich am Wegesrand grasen. Ich überlege kurz, ob ich in den letzten Tagen zu viel Wein oder in den letzten Stunden zu wenig Wasser getrunken habe. Aber nachdem die Kaninchen dann auch um meinen Bus herum springen, nehme ich an, dass das jetzt echt ist.

Zwei Stunden später kommen die Nachbarn mit ihren Rädern zurück und eine weitere halbe Stunde später steht die Frau Nachbarin schon bei mir. Wie es denn sein könne, dass hier so viel Platz sei, und ich mich direkt neben sie geparkt habe. Ich erkläre die Vorgangsweise, merke an, dass ich arbeiten muss und stelle fest, dass diese Reise etwas verändert hat. Denn normalerweise würde ich jetzt aufspringen, alles wieder einpacken und mein Auto umparken. Und so ist es mir einfach nur egal. Immerhin schauen wir einander ja nicht in die offenen Türen. Das habe ich beachtet, als ich platzzugewiesen wurde 😉

Nunja, jetzt grümmelt es neben mir und es wird ein Vorzelt abgebaut und ein Auto umgeparkt und ich denke mir, meiner Seel‘, ich mag’s ja auch nicht so eng, aber hoffentlich geht so ein absoluter Wahnsinn in diesem Leben dann doch an mir vorbei. So viel zu Bullifahrern unter sich…

Heute mal viel arbeiten. Daneben Sonne tanken – das Solarpaneel auf den Radlträger stellen und zuschauen, wie die Sonne Strom macht. Das macht mir richtig Freude, ich kann gar nicht weggucken! Und dann mit dem Radl nach Livorno, einkaufen. Heute ist Sonntag, aber man bekommt die notwendigsten Dinge. Hier ist das übrigens nichts mehr mit Radwegen, ich fahren auf der vierspurigen Straße den Hafen entlang und danke Gott dem Herrn, dass heute Sonntag ist. Wenn Du so gestresst radelst, dass Dich schon die italienischen Rennradfahrer grüßen, dann bist Du flott unterwegs! Beim Zurückfahren dann nicht mehr so, weil vollbepackt mit Wasser und Wein und Obst und Mückenschutz. Ich eiere wie ein betrunkener Hafenarbeiter die Straße lang und denke an den fast besten aller Männer, der ungefähr fünfmal soviel Gewicht gerade jetzt in Richtung Siena transportiert. Hut ab. Morgen möchte ich nach Pisa radeln. Mal sehen!

Erkenntnisse der vergangenen Tage

1. Es ist sehr schön, mit einem Menschen tiefsinnige Gespärche zu führen, vor allem, wenn man
a) diesen Menschen schon sehr gut kennt und gern mag
b) dazu neigt, mit seinem Auto zu sprechen, vor allem beim Tanken

2. Ab und an darf man ein Hotelbett nutzen, auch wenn man
a) auf einer Pilgerreise ist
b) wissen will, die das Leben in einem Auto ist, mit dem man spricht

3. Ein voll bepacktes Fahrrad eiert

Pisa

Es gibt Tage, die fangen einfach eigenwillig an. Heute also. Entgegen aller Wettervorhersagen ist es dunkelgrau bewölkt und ich überlege sehr lange, ob ich die Radltour nach Pisa wagen soll. Immerhin sind es 20 Kilometer pro Strecke. Dann schütte ich Kaffee auf meiner Matratze aus, draußen war es zu kalt zum Frühstücken. Ich packe mal alles wetterfest zusammen und vergesse den Tisch und die Geschirrtücher. Achja, heute nacht hatte ich offenbar Besucht. Den Fußspuren auf dem Tisch nach zu schließen, war es eine Katze, die zum Abschluss ihrer Stöberaktion mit meinem Brot abgehauen ist. Nach der ganzen Putzaktion – das Tier war wirklich überall mit seinen Sandpfoten, sogar im Einkaufskorb – vergesse ich also den Tisch und fahre nach Pisa. Radle nach Tirrenia, biege dort in Richtugn Pinienwald ab und nach der nächsten Kurve wartet DER BLUES. Lehnt da an einer Mauer, Zigarette, gemütlich, setzt sich hinter mir aufs Rad. Ich denke mir, hm, wieso denn das jetzt. Ist der Blues am Ende ein Wetterphänomen? Die Fahrt nach Pisa wird auf jeden Fall unangenehm, eine lange, stark befahrene Straße ohne Radlstreifen wird von einer noch dichter befahrenen Straße mit Radlstreifen abgelöst. Allerdings ist der Straßenbelag am Radlstreifen dermaßen zerstört, dass es glatt selbstmörderisch ist, dort zu fahren. Und dann Pisa!!! Es ist ja so unglaublich unspektakulär, wie man in die Stadt einfährt und plötzlich steht man dann vorm Schiefen Turm. Immer wieder sorgt er dafür, dass mir der Mund offen stehen bleibt.

Immer, wenn man in Pisa ist, denkt man sich, das kann sich hier nicht mehr steigern. MEHR Touristen und MEHR Händler gehen einfach nicht. Und wenn man dann das nächste Mal kommt, dann sieht man, schau, es geht noch mehr. Mitte Oktober geht es hier zu wie anderswo nicht in der Sommersaison. Ich fahre zurück an den Arno und diesen entlang bis zu dem Coworkingspace, den ich mir heute anschauen will. Hier ist Radfahren nicht ganz so beschaulich wie in anderen italienischen Städten, ich muss mich gut konzentrieren.

Am späten Nachmittag radle ich zurück und prompt beginnt es zu regnen. Nicht wie aus Kübeln, nein, sondern ganz leicht und fein. So, dass man dauernd die Hoffnung hat, nicht ganz so nass zu werden, was aber nach 20 Kilometern einfach total egal ist. Also: nass bis durch. Außen Regen, unterm Regenmantel geschwitzt. Die Radltaschen stehen vor Dreck und zurück am Platz fallen die Moskitos über mich her. Für die war der Regen nicht stark genug. Nachdem ich alles vom Sand und Gatsch befreit und mich selbst mit Anti-Mückenzeugs eingesprüht habe, kommt der heftige Regenguss und zum ersten Mal heute fluche ich so laut und verkünde lautstark, wer sich aller ins Knie f***** soll, dass ich am Ende froh bin, mittlerweile mutterseelenallein hier am Campingplatz zu sein. Das ist ja der Vorteil des allein reisens: wenn Du mal auszuckst, dann fühlt sich niemand betroffen. Oder gar verantwortlich. Sondern Du bist ganz auf Dich selbst geworfen mit Deinen Stimmungen und Deiner Wut und Deinem Frust, weil jetzt lauter halbnasse Sachen im Bus liegen und es die kommenden vier Tage regnen soll.

Als ich endlich in den Bus einsteigen kann, ohne eine weitere Wagenladung Sand mit hineinzunehmen, sitzt der Blues schon gemütlich im Bett. Hat sich grad eine angeraucht und wartet darauf, den Abend mit mir zu verbringen. Mist.

Weiterfahren

Irgendwann in den frühen Morgenstunden hört es auf zu regnen. Die großen Blätter fallen von den Bäumen und es hört sich jedesmal an, als hätte jemand auf das Dach geschlagen, so groß und regenschwer sind sie. Ich nutze die Regenpause zum Zähneputzen, Auto kontrollieren und noch ein paar Dinge zusammen klauben, die ums Auto sind, Stromkabel, Wäscheleine. Alles ist nass und voller Sand, genauso wie meine Schuhe und die gestern noch notdürftig gereinigten Radltaschen. Im Auto ist es klamm von den vielen feuchten Dingen, die notdürftig verstaut sind oder einfach herum liegen, weil ich nicht weiß, wie ich sie verstauen soll. Wenigstens regnet es jetzt nicht!

Als ich einsteige, sitzt der Blues schon gemütlich am Beifahrersitz. Hat sich die Schuhe ausgezogen, die Füße auf der Ablage und raucht. Ich zahle, verabschiede mich herzlich von dem netten Mann am Campingplatz und fahre los. Aber heute will ich es mal richtig machen, mích auf die Fahrt vorbereiten. Ich bleibe beim nächsten Lebensmittelgeschäft stehen und kaufe Wasser, Brot und Süßes. Für mich ein Croissant und für den Blues ein mit Zitronenpudding gefülltes Blätterteigröllchen. Er isst es und sieht gelangweilt aus dem Fenster. Es ist noch früh und ich hatte erst einen Kaffee, tuckere langsam die Aurelia entlang. Hinter Livorno kommt noch ein schönes Stück mit einem spektakulären Blick aufs Meer, dann wandelt sich die Straße in eine sehr enge, zweispurige Autobahn in einem elenden Zustand. Dass ich heute echt noch nicht fit bin, merke ich daran, dass mich kurz vor der Zweispurigkeit ein Leichenwagen überholt.

Nach etwa 30 Kilometern geht es ins Land, Richtung Volterra. Es beginnt, wie aus Kübeln zu schütten. Ich habe ja heute das erste Mal in meinem Leben eine Reiseroute nach dem Wetter bestimmt. Die nächste Stadt, in der es nicht regnen soll, ist Pescara. Aber 500 Kilometer für Sonne??? Morgen soll es ja grundsätzlich mal Regen geben… nur in Pescara nicht. Aber was ich jetzt brauche, ist mal ein Ort, an dem ich den Bus kurz ausräumen kann, Sachen trocknen, Sand entfernen und mich selbst ein wenig ordnen. So eine heiße Dusche wäre zum Beispiel ein deal. Ich mache etwas, das ich mir für den nächsten Besuch von Mr. Blues merken sollte. Ich denke nach, wo auf der Strecke zwischen Livorno und Pescara ich mich das letzte Mal so richtig super gefühlt habe. Jetzt abgesehen von den Toskanaaufenthalten mit oder ohne Olivenernte, das fällt weg, weil erstens nicht auf direkter Linie und zweitens dort Pisswetter. Assisi! Ja, Assisi. Dort war ich vor sechs Jahren das erste Mal – mit Carissima! Sie war ausgeborgt und hatte noch ein Innsbruck Land Kennzeichen und wir waren allein unterwegs, weil der damals noch beste aller Männer mit dem Rad fahren wollte. Nach dieser Reise wollte ich Carissima dann nicht mehr hergeben.

Und so ist es beschlossen und wir fahren durch den strömenden Regen an all den wunderbaren Plätzen vorbei, denen ich bei strömendem Regen einfach nichts abgewinnen kann: Volterra, San Gimignano, Siena, Perugia. Und dann sehe ich das Städtchen – kurz vor Perugia hat es zu regnen aufgehört – am Berghang kleben, umhüllt von einer dunklen Wolke, denke mir noch, wow, so groß habe ich Assisi nicht in Erinnerung, damals waren meine Sorgen so groß, dass alles andere immer klein erschien.

Ich denke auch an den pensionieren Polizisten, mit dem ich die ganze Nacht Wein getrunken und Uno gespielt habe und der Carissima ihren Namen gegeben hat. Er, ich und seine beiden Freunde hatten keine gemeinsame Sprache, aber jeder konnte eine Sprache, die jemand anderer auch konnte. Uno ging sich also aus. Als ich am Campingplatz eintreffe, reißt die Wolkendecke auf, die Sonne kommt heraus und es ist so warm, dass ich keinen Pullover mehr brauche. Der Mann an der Rezeption ist etwas genervt, lässt sich aber irgendwann durch meine Freude über diesen Platz anstecken und wir plaudern ein wenig. Dann endlich: all die feuchten Sachen aus dem Auto räumen und für morgen vorbereiten. Vorbereitete Regentage, die gehen gut. Irgendwann stelle ich fest, dass ich kein kühles Bier habe, was normalerweise die Belohnung für einwandfreies Zeltaufbauen ist, und gehe zurück in Richtung Geschäft. Das hat um diese Jahreszeit schon zu, aber der junge Mann, der gerade noch Bäume geschnitten hat, sperrt das Restaurant für mich auf und verkauft mir eine Flasche Bier. Jetzt machen sich die Baustellen und Autowerkstattaufenthalte richtig bezahlt, denn mir fehlt zwar die Sprache, um das kühle Bier korrekt zu ordern, aber ich kann es immerhin mit dem Feuerzeug aufmachen. Wir prosten uns zu und die Welt ist in Ordnung.

Als ich zurück zum Auto komme, ist der Blues weg. Nicht einmal Zigaretten hat er dagelassen.

Assisi

Wie vom Wetterbericht versprochen – heute Regen. Nicht schlimm für mich, ich wollte ohnehin arbeiten und mal wieder den ganzen Tag rumgammeln. Das lässt sich auch gut an, ich wache früh auf, Kaffee, Pressetexte, später dann Kürbiscurry, Pressetexte, am Nachmittag dann heißen Tee, denn irgendwie fällt die Tempertur. Ich schreibe und schreibe und schreibe, hochkonzentriert und sehr motiviert, denke mir irgendwann, dass der Regen jetzt aber heftig ist und die Temperatur stark zu wünschen übrig lässt, bis ich fest stelle, dass ich mit meinem Tischchen und Stühlchen im Zelt IM WASSER sitze! Ich hatte so konzentriert gearbeitet, dass ich nicht gemerkt habe, wie im Zelt das Wasser angestiegen ist, und zwar ordentlich. Ein Schritt und schon sind die Socken nass und ich merke erst das Ausmaß des Desasters. Räume also alles, was noch halbwegs trocken ist, ins Auto, staple Stühlchen auf Tischchen und beginne mit meiner kleinen Schaufel, ganz klassisch Wassergräben zu ziehen. Und zu schöpfen, denn zum Ablaufen ist es jetzt schon zu spät. Nach einer guten Stunde bin ich durchgeschwitzt und komme mir vor wie die gute alte Meryl Streep in „Out of Africa“, als sie sich aufrichtet und sagt: „Lasst es fließen, lasst es fließen. Dieses Wasser wohnt ohnehin in Mombasa“. Ganz im Stil der Streep muss ich also aufgeben. Es ist mittlerweile dunkel geworden und vor meinem Auto entsteht ein riesiger See. Und ich stehe irgendwie mittendrin.

Erkenntnisse des Tages

1. Wenn Du beim Wählen eines Stellplatzes weißt, dass es regnen wird, achte auf Senken und Gefälle.
2. Wenn Du weißt, dass es HEFTIG regnen wird, parke nicht unter einer Straßenlaterne.
3. Jetzt iss wieda alles feucht im Auto, zefix.

Sprechen

Heute beseitigen des nächtlichen Desasters. Ja, es hat wirklich viel geregnet. Plane säubern, trocknen, alles trocknen, was gestern nicht mehr in Sicherheit gebracht werden konnte. Zelt auf machen, versuchen, den Boden trocknen zu lassen. Windig ist es heute, das ist gut, und die Wolken sausen im Eiltempo über den Himmel und machen Spiele zwischen Blau und Grau. Dazwischen ein wenig arbeiten, duschen, Haare waschen und irgendwie so aufräumen, dass das hier alles halbwegs einen Sinn ergibt. Wenig Hausarbeit hat man in der Ferne nur, wenns warm und trocken ist, aber nachdem ich nun fünf Wochen Sonne hatte, darf das auch mal sein. Außerdem: Kaffee ist aus, Gas geht bald aus und ich brauche einen Stift, um die Rückseite meines Solarpanels als Whiteboard verwenden zu können. Also auf nach Assisi!

Am Weg ins Städtchen wird mir klar, dass ich aufgebrochen bin, um mit Menschen zu sprechen, sie zu befragen, was Leben und Arbeiten für sie bedeutet, was alternativ Arbeiten bedeutet, welche neuen Konzepte sie haben. Aber ich habe nicht viel gesprochen, in mir war etwas ganz still. Also, danke an die, die mit mir gesprochen haben! Aber es waren nicht viele… denn ich war in mir still. Ich habe viel gesprochen im Geschriebenen, denn das fällt mir leicht. Doch wenn man schreibt, dann bekommt das Gegenüber nicht die wahre Emotion mit, das Lachen, das Aufgeregt Sein, das Weinen. Geschrieben kann man emoticons schicken, doch wie reagiert wohl einer, wenn man dauernd weinende emoticons schickt? Das geschriebene Wort hat seine Qualitäten, doch kann es uns nicht in unserer Gesamtheit abdecken. Das wird mir so klar, als ich ins Städtchen wandere, mit großem Rucksack, weil ich ja einkaufen möchte, und am Wegesrand mit einem Mann zu sprechen beginne, der den Weg repariert. Er ist aus Bologna, kennt Salzburg, findet es sehr schön. Ich stammle meine paar Worte italienisch zusammen, klappt doch ganz gut. Schaffe es auch, in Assisi alles zu bekommen, was ich brauche, nur die Stifte fürs Whiteboard nicht, dafür aber einwandfreies Papier, das ich mit Gaffertape an das Paneel machen kann. In Assisi weht der Wind, nein besser, er braust durch die Gassen und ich denke daran, dass ich vor sechs Jahren im September hier war, mit Sommerkleid, und der Wind damals auch so stark war. Ich konnte das Kleid nicht mehr bändigen und aus allen Cafes und Bars kamen die zustimmenden Rufe, jedes Mal, wenn wieder ein Windstoß kam und ich mit Fahrrad und Tasche versuchte, mein Kleid im Griff zu halten. Es ist eine gute Erinnerung. In Assisi ist es gut. Pace e bene, gute Nacht.

Weiter…

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