In den Bergen

5. Juli 2017 oder „Wie wir einmal fast ganz um den Zürichsee gefahren sind“

Als wir am Morgen aufwachen, haben wir eine herzliche Einladung in die Seemannsmission in Trins, dort unsere Reise ausklingen zu lassen. Ich finde das wunderbar und nach einem abschließenden Waldspaziergang machen wir uns auf den Weg. Über Metz zurück nach Frankreich, vor Straßbourg auf die Bundesstraße, denn wir möchten noch Wein und Käse einkaufen, was auch gelingt, in einem sehr schönen Weingut direkt an der Route de Vin d’Alsace. Ich bin schon sehr gespannt auf diesen Wein, ein frischer, sehr trockener wird mir hier versprochen.

Dann zurück auf die Autobahn, Colmar, Mulhouse, alles läuft wie am Schnürchen. Heute bin ich genau 30 Tage auf dem Weg und das erst Mal schmerzfrei. Die stechenden Nackenschmerzen, von der Schulter ausgehend, sind morgens einfach weg und kommen auch nicht wieder. Ich liebe dieses Leben. Schmerzfrei. Super. Wanda verweigert bis zur Schweizer Grenze wieder einmal das Futter, immer an den Reisetagen ist das so, und nachdem es immer wärmer wird und ich Bedenken habe, ob sie auch genug Flüssigkeit bekommt, mache ich kurz vor Basel das letzte Säckchen Nassfutter auf. Das haben wir in Fleurie gekauft, zusammen mit dem herrlichen Käse, den ich in dem Spezialitätengeschäft im Alsace wieder gefunden habe. Der Kreis schließt sich.

Und das macht er in der Tat. Wir kommen so gut voran, dass es mich überhaupt nicht überrascht, als plötzlich alles schief geht. Findest Du nicht auch, sagt Carissima, dass das mit dem Schiefgehen in einem ursächlichen Zusammenhang damit steht, dass Du irgendwem erzählst, dass plötzlich nichts mehr schief geht. Hm, sage ich, da könnte was dran sein. Aber das würde uns ja in eine Art mysthisches Denken bestätigen, so wie es Fünfjährige haben. Wer weiß, ob das nicht die Realität ist, sagt sie. Aber pass auf – gekommen ist es zu diesem Gespräch nämlich so: kurz vor Zürich waren wir richtig, richtig gut in der Zeit. Den Campingplatz am Züricher See habe ich mir gut herausgeschrieben und so folgen wir meinen Angaben, die wie üblich auf einem handgeschriebenen Zettel am Armaturenbrett kleben. Die Abfahrt mit der Nummer 33 ist aber leider aus Basel kommend ganz blöd zu finden und ich nehme aus Versehen die Abfahrt Nummer 32, die mich unwiederbringlich und ohne Umkehrmöglichkeit ins Zentrum von Zürich führt. Jetzt ist das leider so, dass Zürich erstens eine große Stadt ist und zweitens mit einem rechtschaffen verrückten Abendverkehr aufwarten kann. Die Ampelphasen sind so kurz geschalten, dass mir schon alles weh tut und Carissima leidet ziemlich. Das Campingplatzschild, das ich an einer Wegkreuzung gesehen habe, war das einzige und nun irren wir verloren durch den Stadtverkehr. Draußen hat es 35 Grad, stop and go, sie läuft warm. Bevor die Temperaturanzeige rot zu blinken beginnt, schalte ich also die Heizung voll auf und hebe Wanda hoch zu mir, damit sie aus dem Fenster schauen kann und ein wenig kühlen Fahrtwind bekommt. Das Hündlein hechelt, Carissima schnauft und mir glühen die nackten Füße in der heißen Heizungsluft.

An einer Kreuzung, an der gar nichts weitergeht, stelle ich sie kurz ab. Schwerer Fehler. Denn sie springt nicht mehr an. Kein Ruckeln, kein Zuckeln, nichts. Ich versuche, cool zu bleiben, steige erst mal aus und zeige den Autofahrern hinter mir an, dass sie vorbei fahren sollen. Das tun sich auch brav, ohne hupen oder schimpfen. Ich warte ein wenig, versuche es noch einmal. Nichts. Wanda hechelt und sie tut mir so leid, dass ich laut schreien könnte. Ich schütte unser letztes Trinkwasser auf ein Tuch und gebe es ihr zum Kühlen. Sie schleckt es ab, obwohl sie noch vor fünf Minuten das Trinken verweigert hat. Ich versuche noch einmal zu starten. Nichts. Hej, baby, sage ich, bitte!!!!!!! Ich kann doch nichts dafür, sagt Carissima, das ist wieder das, das wissen wir doch. Ein Selbstschutz irgendwie, wenn es so heiß ist, geht nichts mehr. Ich erinnere mich an vergangene Situationen. Stimmt. Tatsache ist aber, hier bei 35 Grad in der prallen Sonne, mitten in der Stadt wird sie nicht so schnell abkühlen, als wenn wir fahren würden.

Also steige ich nochmal aus und frage die Autofahrer hinter mir, ob sie mich anschieben können. Der erste behauptet, mich nicht zu verstehen. Der zweite ist eine schwangere Frau, sie meint, sie würde wirklich gerne, aber – ihr Bauch ist nicht zu übersehen – der dritte sagt, er habe einen dringenden Termin, während er mit im Stau vor der Ampel steht. Der vierte Autofahrer sieht mich an, als hätte ich ihn um ein Date gebeten und meint, er habe sowas noch nie gemacht. Ich sage ihm, dass mein Auto wirklich nur tausend Kilo hat und nach drei Metern anspringen wird und er sagt völlig überfordert ja. Bittet die Autofahrer neben mir, nun nicht mehr reinzudrängeln und stellt sich hinter Carissima. Als es grün wird, rufe ich ihm zu, er könne schieben. Nach zwei Metern ist sie wieder da. Der Typ kann es nicht fassen. Von vorbeigehenden Fußgängern bekommt er kräftigen Applaus, was ihn ganz offensichtlich noch mehr verwirrt und bei der nächsten Grünphase sind wir endlich drüber über die blöde Kreuzung. Und dann fahre ich einfach, bis Carissima wieder Normaltemperatur hat. Das Hündlein habe ich das erste Mal auf dieser Reise unbeaufsichtigt aufs Bett gesetzt und sie hat sich in ihren Korb gelegt. Da hinten scheint es nicht viel kühler zu sein aber wenigstens bequemer.

Und so fahren wir und fahren wir, bis die Temperatur langsam, langsam wieder in den Normalbereich geht und ich endlich die Heizung wieder ausschalten kann. Wenn ich jetzt tanke, sage ich, springst Du dann wieder an? Wenn Du ab jetzt mit offenem Fenster weiterfährst, werden die Nackenschmerzen dann wieder kommen? Hä, sage ich. Ja, sorry, sagt Carissima, aber woher soll ich denn das wissen, ich bin doch kein Arzt! Was wissen, sage ich, das mit dem Anspringen oder das mit den Nackenschmerzen. Langsam werde ich matschig im Kopf, ich spüre es genau. Sie sagt nichts mehr. Bei der nächsten Tankstelle bleibe ich stehen und tanke, kontrolliere, ob bei Wanda alles passt und starte. Und es ist, als wäre nichts gewesen. Mittlerweile sind wir so weit um den See gefahren, dass wir einfach weiterfahren können und in 27 Kilometern kommt dann die Ortschaft, deren Ausfahrt wir nicht genommen haben, zweieinhalb Stunden sind mittlerweile vergangen und wir finden den Campingplatz sofort. Ein junger Mann steht dort am Schranken und fragt, ob ich reserviert habe. Nein, sage ich. Wir sind voll, sagt er. Ich bin nahe dran, das Bürschlein in den See zu werfen.

 

 

Drehe um, fahre zurück auf die Autobahn Richtung Zürich und beschließe, den nächsten Campingplatz, den ich mir auf einen Zettel geschrieben habe, zu suchen. In Wildberg soll der sein. Also zuerst die Westumfahrung Zürich, dann die Nordumfahrung mit Baustellen, die uns wieder in unerwünschte Temperaturbereiche bringen, dann endlich die A1 Richtung Winterthur und dann die Ausfahrt. Ich fahre ab und fahre und fahre, aber Campingplatz ist hier keiner angeschrieben. Irgendwann bleibe ich stehen und der Mann, den ich frage, kennt nicht einmal die Ortschaft. Ich verfluche diesen Tag. Eine Frau, die uns vom ihrem Balkon aus zugehört hat, mischt sich ins Gespräch ein und erklärt mir den Weg. Ich verstehe zwar kaum, was sie sagt, dieses Schwizerdütsch ist der Hammer, aber ich ahne, was sie meint und folge dem, was ich verstanden habe. 25 Minuten später bin ich auf einem kleinen Waldcampingplatz mit hauptsächlich fixen Häuschen für Dauercamper. Es ist halb zehn, natürlich ist hier niemand mehr an der Rezeption. Ich suche mir einen Platz und folge Stimmen, die ich höre, so Dauercamper kennen sich ja generell gut aus auf ihrem Platz.

Vor einem der Häuschen sitzen zwei Männer und beide erklären sich bereit, mir zu helfen. Der eine versucht, den Campingplatzbesitzer zu erreichen und der andere geht mit mir nachsehen, ob der Platz, auf dem ich stehen möchte, passt. Er erklärt mir noch ab wann Morgen jemand da ist, wo die Duschen sind, wo es einen Getränkeautomaten gibt und dass alles ganz easy ist. Mein Pech, ich habe keine Schweizer Franken für den Automaten. Und auch nicht für das Warmwasser in der Dusche. Er bringt mir zwei kalte Biere, drückt mir eine Handvoll Kleingeld für die Dusche in die Hand und meint, ich solle doch zum Abendessen kommen. Ich bin begeistert. Füttere Wanda, nehme meine zwei Biere wieder mit und zwei Bücher für meine Gastgeber und werde heute noch mit einem warmen Abendessen verwöhnt. Vom Gespräch kriege ich einiges mit, Martin ist Busfahrer und muss morgen mit einem Doppeldeckerbus zum Technikum nach Winterthur fahren, Betriebsausflug, und darum darf er heute nach seinem Radler nichts mehr trinken. Das Paar, bei dem wir zu Gast sind, hat zwei riesengroße Hunde so wie Martin und die drei haben sich über die Hunde kennen gelernt. Martin will nie mehr fix angestellt sein, weil er so mehr Zeit für seinen Hund hat und wenn er jetzt einmal in Zeitnot gerät, darf er seinen Hund bei dem Paar abgeben. Leider hatte ich bei der Klärung der Namen noch weniger Verständnis für die Sprache und habe sie darum nicht mitbekommen.

Irgendwann zwickt Wanda dann einen der großen Hunde in die Nase, weil ihr alles viel zu viel ist und ich beschließe, mich zu verabschieden. Als ich von der Terrasse des kleinen Häuschens auf den Weg trete, komme ich mir vor wie im Elfenwunderland, vor jedem kleinen Häuschen leuchten nun kleine Solarlampen in allen Farben. Eine heiße Dusche später sitze ich dann, und schreibe, es ist kurz vor Mitternacht und noch immer so warm, dass es im T-Shirt angenehm ist. Was für ein Tag.

 

 

6. Juli 2017

Internet gab es keines, da auf dem lauschigen Plätzchen in den Schweizer Bergen, und auch heute hat es geholpert, das Netz. Aber, alles der Reihe nach. Am Morgen brechen wir auf, möglichst früh, aber trotzdem wird es schnell heiß. Auf der Autobahn ist es bereits um halb zehn unerträglich. Winterthur, der Bodensee und dann der Arlberg, der hohe. Dort ist die Luft wunderbar und Wanda springt durch Alpenbäche. Carissima atmet durch, nach einmal richtig schwitzen bei den ersten langsamen Kehren geht es ab nun besser. Sie bekommt einen Magneten, der einen Bieröffner integriert hat. Ich bin schon gespannt, was der Blues dazu sagt.

 

 

Ich denke, mittlerweile kann man es Tradition nennen. Unsere erste lange Reise führte uns über Trins an die Pyrenäen und dann nach Sizilien und wieder über Trins nach Hause. Unsere zweite Reise führte insTrentino, Starter kaputt und dann zurück, über Trins an den Gardasee, bis Griechenland. Unsere dritte Reise führte über Trins an die Pyrenäen und über die Bretagne und die Normandie wieder… zurück nach Trins. Der fast beste aller Männer fliegt heute 260 Kilometer, locker liegen die Wolken auf den Bergen und die Luft ist klar, wie sie nur in den Alpen sein kann, in dieser Höhe. Wir atmen alle durch.

Es ist wie immer in Trins. Die Tage vergehen, Wanda galoppiert durch den Wald und ich sitze in der Sonne und denke über das Leben nach. Carissima schnarcht vor der Tür. Manchmal kommt ein Regen. Der fast beste aller Männer fliegt oder arbeitet oder kocht. Und manchmal verlegt er auch Wandas Leine, sodass ich nun mit einer grellorangen Fährtenleine gehen muss.

Die Abendessen auf dem Balkon sind wie immer legendär. Voller Wehmut fahre ich nach Hause. Dort sitzt der Blues auf der Treppe und rollt mit den Augen, weil wir „mit vier Tagen Verspätung nun auch endlich da sind“. Das Leben beginnt an mir zu zerren, der Blues richtet sich am Sofa ein und Wanda ist zufrieden, wenn alles seinen gewohnten Weg geht. Manchmal bellt sie, wenn draußen Vögel zwitschern.

 

 

 

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