Die Bretagne

24. Juni 2017

Gestern haben wir den letzten Tag auf der Insel einigermaßen beschaulich verbracht. Ich habe meinen Muskelkater gepflegt und alles, aber auch wirklich alles, was in diesem Fahrzeug textil ist, gewaschen, denn Wanda hatte irgendwelche Tiere mitgebracht. Auch Wanda wurde zweimal gebadet und dann mit Hunde-Insektenspray behandelt, daraufhin ist sie den ganzen Tag sauer auf mich und unausstehlich. Erst am Abend versöhnen wir uns wieder. Und heute morgen waren die Tiere weg!

 

 

Und wir brechen auf. Über die große Brücke zurück auf das Festland und dann durch das „Pays de la Loire“ in die Bretagne. Richtig, die Bretagne. Da, wo der Asterix und der Obelix wohnen. Laut Lonely Planet ist eines der zehn wichtigsten Dinge, die man in Frankreich gesehen haben muss, dort. Und weil ich ja gestern beschlossen habe, IRGENDEINEN Plan zu brauchen, habe ich den gewählt, mich leiten zu lassen. Im Moment vom Lonely Planet. Der hat mich schon einma vor tiefster Verzweiflung bewahrt, in Bangkok. Und daran musste ich denken in den vergangenen Tagen. Sag mal, willst Du nicht endlich raus mit der Sprache, sagt Carissima. Wir schnurrln extrem entspannt auf einer „Rue Departement“ entlang von Weizenfeldern mit roten Kornblumen drin. Ach weißt Du, sage ich, ich habe einfach eine schreckliche Erkenntnis gehabt. Nämlich die, mich der Beliebigkeit angeschlossen zu haben. Und das ist dermaßen deprimierend, dass es mich wundert, wieso der Blues nicht schon längst da ist. Carissima lacht auf. Du bist wahrnehmungsgestört, sagt sie. Ich schaue in den Rückspiegel und da sitzt er. Eingeklemmt zwischen Gleitschirm und Hunderucksack hockt er auf dem Bett und das sieht ziemlich unbequem aus. Kein Wunder, auf dem Beifahrersitz ist ja kein Platz, denn dort liegt nun alles, was vorher auf dem Boden war, weil Wanda lieber am Boden sitzen wollte als auf dem Beifahrersitz und nun steht das Hundekörbchen auf dem Boden aber Wanda sitzt ohnehin auf meinem Schoß.

 

 

Also was jetzt, beharrt Carissima. Also, es geht immer noch um den fast besten aller Männer, sage ich. Aha, sagt sie, das denke ich mir, seit wir das erste Mal losgefahren sind. Ja, ich weiß, sage ich. Also, weißt Du, bis zu ihm, da hatte ich eine klare Linie bei den Männern. PS-stark, gut geschnitten und alter Jahrgang, seufzt sie. Äh, langhaarig, links und extraspeziell, sage ich. Wobei das mit den langen Haaren dann meist erst passiert ist, als sie schon mit mir zusammen waren. Nur einer passte da nicht ins Schema, in all den Jahren, sage ich. Zwei, sagt Carissima. Woher willst Du das wissen, das war doch vor Deiner Zeit, sage ich. Im Radio gehört, sagt sie. Ach komm, sage ich. Erzähl weiter, sagt sie. Nun gut, also, seit unserer ersten großen Reise… Flucht, korrigiert sie mich… nenn es wie Du willst, sage ich… da ist viel passiert und ich stelle fest, dass da keine Linie mehr drin ist. Es ist beliebig geworden, verstehst Du? So, als würde mein „Es“ nur auf der Suche nach der Wiederherestellung des Zustandes sein, der nicht mehr erreicht werden kann und mich darüber in die Beliebigkeit bringen. Also, im Freud’schen Sinne, meine ich. Weißt Du, ich habe das Gefühl, dass auf meiner Stirn geschrieben steht „Arschlöcher von überall, kommt zu mir, ich spende Euch Trost und Rat, unterstütze Euch, wo ich kann, lasse mich aus Dankbarkeit dann dafür verklagen und einen Tritt in Hintern nehme ich auch noch mit einem Lächeln“. Ich bin wütend. Als ich in den Rückspiegel schaue, sehe ich, wie der Blues zufrieden lächelt. Er hat die Beine aufs Bett gelegt und sich auf längeres Wohlbefinden eingerichtet. Da ist was dran, sagt Carissima. Absolut. Aber das ist jetzt eh vorbei. Hä, sage ich. Mehr fällt mir nicht ein im Moment. Na, entschuldige, Du fährst mit einem Winzling von Hund in der Weltgeschichte spazieren, also einem Hund, so klein, dass man unweigerlich davon ausgeht, dass Du auch irgendwie süß bist, sagt Carissima. Also, ich bin mir nicht sicher, ob man mit Wanda die richtigen Männer anzieht. Besser noch, korrigiere ich mich, DEN Mann. Naja, sagt sie, wenn Du denen gleich mal erzählst, dass sie ins Bett kotzt, wenn sie zu viel gefressen hat, einen Kreislaufkollaps kriegt, wenn sie zu wenig gefressen hat und ab und an jede Menge Tiere mitbringt, dann siebst Du gut aus, glaube ich. Genau, sage ich, da bleibt nämlich keiner übrig. Und das ist ja auch nicht das, was ich sagen wollte, ich wollte sagen, dass die ganze Sache seit dem fast besten aller Männer stagniert, festhängt, blöd geworden ist. Und dass mir diese Geschichten der vergangenen zwei Jahre vor mir selbst so peinlich sind, dass ich nicht mehr weiß, was ich machen soll. Vorschlag, sagt sie, wie wäre es, wenn Du einen Reset machst? Ich meine, so einen, wie wenn man bei mir die Batterie abhängt, Du weißt schon, und dann sind alle gespeicherten Radiosender weg. Ja, knurre ich. Das weiß ich. Es ist eines der Dinge, die mich schier zum Wahnsinn treiben, wenn ich Carissima von Reparaturarbeiten abhole. Die Radiosender. Ok. Dann machen wir das heute. Gut, sagt sie. Der Blues hat sich aufgesetzt. Wenn er irgendwo Hoffnung riecht, wird er hellhörig.

Reset ist bei mir nicht einfach. Und vor allem ist nie sicher, ob es funktioniert. Heute also wird nach der Ankunft im Land von Asterix eine zweistündige Fahrradtor bis zur vollständigen Erschöpfung unternommen und danach der Durst mit Wein gelöscht. Morgen wird sich zeigen, welche Sender noch gespeichert sind.

 

 

Losgeradelt sind wir, ich in vollem Tempo, Wanda im Rucksack, heulend vor Protest. Dann die ersten Megaltihanlagen, Reihen um Reihen riesiger Steine, Hinkelsteine würde Asterix wohl sagen, Wanda rennt über den Waldboden, ich staune. Beschließe, sie weiter rennen zu lassen. Sie hat bald verstanden, dass es sicherer ist, hinter dem Fahrrad zu bleiben als davor. Unser Stopp bei einem der größten alleinstehenden Steine führt uns in die Stille und danach in den tiefen Wald. Hier sind keine anderen Touristen mehr und ich muss das Fahrrad über Baumwurzeln, Felsen und fast unpassierbare Engstellen tragen. Wanda läuft voraus. Wir erreichen die Steinreihen von Kermario, ein kleiner Turm lockt zur Aussicht. Davor eine Steigung, Wanda sitzt nun im Rucksack und hat fest gestellt, dass man nicht alles laufen muss. Ich schwitze und die Oberschenkel brennen, der Gegenwind bläst mir Staub und vertrocknetes Gras ins Gesicht. Neben der Straße, kurz vor dem Turm, steht mein Traumhaus. Aus groben Steinen, mit blauen Balken, ein kleiner Garten. Ich keuche. Als ich mich auf Höhe des Hauses befinde, schiebt ein Traumtyp sein Fahrrad durch das Gärtchen zum Traumhaus. Meine Oberschenkel schreien und ich fürchte, dass es nie mehr gut werden wird, denn ich habe schon viel gemacht, aber das ist wirklich anstrengend. Traumtyp dreht sich um und grüßt mich, ich denke an kalte Umschläge, heiße Sauna und eine Massage. WAS? Blonder Traumtyp mit kantigem Gesicht hat was gesagt? Ich drehe mich um. Er grinst und ich sage Bonjour. Fahre weiter. Merke, dass Carissima Recht hatte. Einfach radeln, bis die Muskeln krachen.

Nach einer Flasche Rotwein und dem Gefühl, bei all den großen Steinen ein paar eigene, kleine Steine liegen gelassen zu haben, beginnt es zu regnen. Zögerlich, ein klein wenig. Ich genieße es. Nach all der Hitze und Trockenheit, der Dürre, tröpfelt es nun friedlich auf das Autodach. Musstu morgen nicht Scheiben putzen, seufzt Carissima schläfrig. Das ist gut, sage ich, und alles andere auch. Als ich ins Auto steige, liegt auf dem Bett ein faustgroßer Stein. Der Blues ist weg.

 

25. Juni 2017

Weißt Du noch, sage ich, als der Blues oft tagelnag blieb? Ja, sagt Carissima, das waren noch Zeiten. Wir prusten beide los, während Wanda ihre frühmorgendlichen Gänge über das jeweils zugeteilte Terrain macht. Wir haben eine Weile gebraucht, bis ein Procedure gefunden war, aber nun funktioniert das so. Egal, wo wir ankommen, wird als erstes eine Wäscheleine montiert, auf der die Leine eingehängt wird. Und dann kann sie so gut wie überall hin, nur nicht zum Nachbarn, bis man weiß, wie der zu Wanda steht. Eine gute Einrichtung. Ich koche Kaffee. Die Sonne brennt bereits herunter, der einzige Schatten, der frühmorgens zur Verfügung steht, kommt von Carissima. Danke, sage ich. Bitte, sagt sie. Ich trinke Kaffee. Heute ist Markt in Carnac. Da wollen wir hin.

Auf meiner Einkaufsliste stehen Mineralwasser, Erdnüsse, Bargeld, Käse und frisches Gemüse. Sowie Gewürze von hier, für Fredi, denn der meint, das wäre hervorragend. Was ich auch finde. Die Logistik eines solchen Unternehmens ist nicht unerheblich. Denn es gilt zu entscheiden, ob zu Fuß oer per Fahrrad. Angesichts der Menge der Einkäufe, die zu erwarten sind, entscheide ich mich für zu Fuß, denn dann kann ich Wandas Rucksack als Rucksack für die Einkäufe verwenden. Und in Anbetracht der Tatsache, dass Wanda in kein Lebensmittelgeschäft darf, ich sie aber nicht draußen anbinden wíll, muss unser erster Besuch der Supermarkt sein, wegen des Wassers. Aber. Wenn wir schon beim Supermarkt waren, müssen wir das Wasser bis ins Stadtzentrum schleppen, wo sich der Bankomat befindet, denn wir haben original nur noch 27 Cent Bargeld. Für den Markt. Also müssen wir zuerst ins Zentrum, das dann wesentlich weiter weg ist, als ich gedacht hatte. Endlich, ein Bankomat. Und gegenüber ein wunderbares Geschäft mit Gewürzen, Salz und Spezialitäten aus der Region.

Ich muss hier einkaufen! Aber dann ist der Rucksack voll und Wanda hat keinen Platz mehr und ins Lebensmittelgeschäft darf sie nicht mit… also verzichte ich großzügig auf Wasser und Erdnüsse und mache mich auf den Weg zum Markt. Der Markt ist groß und unglaublich voll. Wanda muss also auf den Arm, denn alles andere wäre lebensgefährlich. Alle drei Meter greifen mir Menschen ins Gesicht, gefühlt, denn eigentlich greifen sie Wanda ins Gesicht, weil sie so süß ist, aber sie ist ja auf Gesichtshöhe. Eine Stunde und 28 Begegnungen später  haben wir alles, was wir brauchen. Bis wir zurück sind, bin ich streichfähig und Wanda will spielen, ja, so ist das Leben.

Zurück am Platz entdecke ich drei Flaschen Mineralwasser, die Überlegung war also völlig für Tante Martha, und Erdnüsse haben wir noch immer nicht. Wanda schläft eine ausführliche Runde, während ich arbeite, mir einen Sonnenbrand auf den Unterschenkeln hole, weil ich die Beine am Tisch hatte und am Abend fahren wir in den Zauberwald.

 

 

26. Juni 2017

Diese Reise ist geprägt von Kontakten zu sehr viel älteren Menschen, solchen, die sagen „sie sind ja noch jung!“. Mir war nicht klar, dass ein kleiner Hund dies in die Wege leitet. Die Alten sind unglaublich nett, sie wollen wissen, wieviel Wanda wiegt, wie alt sie ist und ob sie ein Mädchen oder ein Bub ist. Sie freuen sich, dass Wanda spielen will und erzählen mir ihre Geschichten. Ich verstehe wie üblich fünfmal so viel wie ich sagen kann, was mich fertig macht. Ich erfahre von Hunden, die gestorben sind und dass das viele Tränen zur Folge hatte, von Hunden, die jemand als Kind hatte oder später und einige Menschen fragen mich, was ich denn hier arbeite. Sie sind dann erstaunt, dass ich „Tourist“ bin. Ich frage mich, was man hier mit unglaublich schlechtem Französisch arbeiten könnte… vielleicht könnte ich als Hundetrainer anfangen? Da kommt es ja nicht auf die Sprache an.

Hundtrainertechnisch schmeiße ich gegen Abend oft die Nerven weg und sehe unsere Erfolge nicht mehr. Weil Wanda am Abend regelmäßig völlig ausflippt. Sie bellt plötzlich, weil der Nachbar schnarcht, versucht, meine Frankreich Karte aufzufressen oder springt zum zwanzigsten Mal an meinen sonnenverbrannten Unterschenkeln hoch, obwohl ich jedes Mal vor Schmerz aufheulen muss. Und nun weiß ich, was Martin meinte, als er sagte, man dürfe einem kleinen Hund die Dinge nicht durchgehen lassen, die man sich von einem 50 Kilo Hund auch nicht vorstellen könne. Und das Hochspringen war so eine Sache.

Und dann wieder muss ich einfach sagen, Wanda ist spitze. Wir sind immerhin allein unterwegs. Wanda wartet ohne heulen vor dem Klo, vor der Dusche und auf ausgewählten Plätzen bleibt sie sogar bei Carissima. All die anderen Hunde machen Aufstand, wenn ein anderer Hund an ihrem Platz vorbeigeht, kläffen, wenn sie in der Ferne einen Hund hören oder reißen an der Leine wie verrückt. All das macht Wanda nicht. Und das muss jetzt auch mal gesagt werden!

Es ist halb elf und immer noch hell. Das ist es wohl, was ich am meisten vermisse, zu Hause. Das einfach draußen sitzen bis zur Schlafenszeit. Es ist das beste, das es gibt! Im Laufe des Abends war das Internet plötzlich down. Ich habe eine Weile gebraucht um draufzukommen, dass ich einfach mein Guthaben verbraucht habe. Die großen Bilder für die Arbeit downloaden, plus Musik hören, das war dann gestern abend doch irgendwie zuviel. Und morgen soll es weitergehen. Mit telefonischer Unterstützung des fast besten aller Männer bekomme ich mein Reiseziel noch einmal so erklärt, dass ich es auch auf meiner 1:500.000 Karte finden kann, kreise es ein und dann erhalte ich noch Rat für den nächsten Orange Shop.

 

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