Der Reise sechster Teil

Tropea

Nach sechs Tagen so direkt am Meer geht es weiter. Ich hätte hier noch ewig bleiben können, ganz ehrlich. Einziger Wermutstropfen: nachsaisonal entspannt kümmert sich der nette Herr im Jeep, der hier mehrmals täglich nach dem Rechten sieht und unglaublich nett ist, um genau gar nichts. Sprich, die Duschen sind in einem verheerenden Zustand, die Toiletten ebenso. Das nimmt man eine Weile in Kauf. Aber irgendwann iss auch mal Schluss. Auch wenn’s hier jeden Tag einen Sonnenuntergang gibt, der einem den Mund offen stehen lässt und die Nächte so mild sind, dass ich die Tür offen lassen kann und das Meer da drüben so schön rauscht…

Und so packe ich meine sieben Zwetschken zusammen und auf geht’s. Nachdem ich immer schon um halb acht auf bin, sind die knapp 200 Kilometer nach Tropea trotz Nebensträßchen ein Klacks und wir sind zu Mittag da. Die Küste ist der Hammer, das türkisblaue Meer lacht um jede Ecke wie aus dem Werbeprospekt. Trotz alledem merke ich auf der Fahrt wieder einmal, wie wichtig es gewesen wäre, zu frühstücken. Was mir ja schwer fällt, auch wenn ich schon zwei Stunden gearbeitet hatte, bevor es losging. Naja, Tropea erscheint mir dann naturgemäß als sehr anstrengend, ich finde diesen Campingplatz einfach nicht, den einzigen auf langer Strecke, der auch im Winter offen hat. Also zweimal durch das enge Städtchen, runter zum Meer und da ist er ja. Die Situation dort ist allerdings ein wenig skurril, denn die Rezeption ist zwar geöffnet, aber nicht besetzt und aus dem Nebenhaus schlurft eine ältere Dame, die mir erst einmal meinen Pass abnimmt. Nachdem sie keine Anstalten macht, ihn mir zurück zu geben, deutet sie mit einer ausladenden Geste auf die Gstättn, die wohl der Campingplatz sein soll. Außer mir sind noch zwei andere Camper da, die sich ganz vorne an die beste Aussicht zum Meer gestellt haben, die ist aber leider durch einen Maschendrahtbauzaun verstellt. Auf dem ganzen Platz wird gerade wüst umgebaut, was jetzt nicht so schlimm wäre, aber mit diesem Zaun kommt man sich doch eher vor, als wäre man hier eingesperrt. Nicht gut. Ich spaziere erst einmal ins Städtchen, das ist so wie in Sperlonga, über Treppen zu erreichen, und der Blick von oben ist beeindruckend. Wie aus dem Werbeprospekt, das Meer, das schöne.

Ich lasse mich langsam mit den eigenartigen Gegebenheiten versöhnen, arbeite noch ein wenig, die Geschichten sprudeln gut, dann noch einmal ins Städtchen zum Einkaufen, denn um die Mittagszeit war alles zu. Am Abend dann Pizza, leider im Campingplatzrestaurant, denn alles andere oben im Städtchen, mit der schönen Aussicht, hatte zu. Nachteil der Nachsaison.

Vorteil: als ich dem Kellner, der drei Brocken Englisch spricht, in etwa so viel wie ich italienisch, erzähle, dass die Rezeption vom Campingplatz jetzt zu hat und ich irgendwie meinen Pass recht vermisse, geht der mit mir zum Wohnhaus der Campingplatzbesitzer und dort darf ich die Nacht bezahlen und bekomme den Pass wieder. Die Mama, erklärt mir die Dame vom Campingplatz, die verwechsle manchmal Sachen und kassiere einfach jeden Pass ein. Sie hat auch bei mir vermerkt, dass wir zu zweit sind. Nunja.

Irgendwie sind wir das auch.
Ja richtig, sagt Carissima. Und jetzt lass mich schlafen.

Auf nach Sizilien

Früh sind wir unterwegs. Halb neun ist es, als wir losfahren. Die Ausfahrt vom Campingplatz weist in eine Einbahn und ich denke mir noch, fein, das führt uns gleich in die richtige Richtung, dem Meer entlang. Doch nach 400 Metern treffe ich auf eine Horde grinsender Straßenbauarbeiter, eine Kurve später ist Schluss. Straße gesperrt. Ich drehe um und fahre zurück, man winkt mir fröhlich zu. Eine Kurve weiter werde ich von Autofahrern angeblinkt, offenbar war ich die Erste, die von der frühmorgendlichen Straßensperre erfahren hat. Aber nachdem hier eh alles völlig egal ist, wenn es um den Straßenverkehr geht, fahre ich flott drei Kilometer gegen die Einbahn zurück auf die Hauptstraße.

Ich habe mir vorgenommen, heute früh genug einkaufen zu gehen, denn in Messina ist das Wasser knapp und wer weiß, was da sonst noch auf mich wartet. Und jetzt pass auf, warum ist in Messina das Wasser knapp? Das ist eine höchst interessante Geschichte. Ende Oktober, heuer, gab es kleinere Erdbeben, weil der Ätna mal wieder aktiv ist. Ein Erdrutsch hat daraufhin in Messina eine Hauptwasserleitung beschädigt und nun ist fast die ganze Stadt sein ZWEI WOCHEN ohne Wasser. Hauptsächlich gibt man die Schuld dem Bürgermeister Accorinti, ein Umweltschützer, Friedenskämpfer und an sich hoch motivierter Politiker. Aber er bekommt das in dieser Krisensituation nicht auf die Reihe und so kommen Tanklaster aus Rom und bringen Wasser. Schlechte Menschen versuchen mittlerweile, Trinkwasser um 30 Euro pro Liter an den Mann zu bringen, Restaurants kochen mit Mineralwasser und Krankenhäuser müssen um jeden Tropfen Wasser kämpfen. Witzbolde machen sich über den Bürgermeister, der besonders gern in „Free Tibet“ T-Shirts abgelichtet wird, lustig und treten mit „Free Bidet“ T-Shirts öffentlich auf. Mehr zu dieser Situation gibt es >> hier <<.

Als ich um kurz nach halb neun in ein Alimentari stolpere, frage ich den jungen Mann, ob denn schon geöffnet sei, denn es sieht aus, als hätte eine Bome eingeschlagen. Ja, klar, sagt der, er habe heute die Weihnachtslieferung bekommen! Und da sehe ich sie schon, Kartons um Kartons voller Weihnachtsgestecke und Girlanden, Geschenkpapier und Deko in allen Farben. Ja, es wird Weihnachten… etwas eiwändig gehe ich zurück zum Auto und wir fahren los. Was issn, fragt Carissima. Weiß nicht, sage ich, gestern Abend so schlecht drauf, heute einwändig, komisch. Es hat 25 Grad und wir fahren mit offenem Fenster. Du hast volle Schiss vor der Fähre, sagt Carissima. Ja und, sage ich, weiß doch jeder. Nein, weiß niemand, grinst sie, niemand weiß, dass Du hellfire Angst vor dem Ozean hast. Ja, verdammt, dass es so schlimm ist, wusste ich doch bisher auch nicht. Ja, nicht wahr, sagt sie, wenn man wen anderen mit hat, dann kann man den ein wenig ärgern, egal mit was, und dann fällt das gar nicht mehr auf, mit der Angst. RICHTIG, sage ich. Von dem abgesehen, dass ich auf den meisten Überfahrten ohnehin fast durchgehend seekrank war und somit niemandem zur Last fallen konnte, verdammt. Sie kichert. Das habe ich damals auf dieser gottvedammten On-Deck-Passage nach Ancona gesehen, sagt sie. Die Fähre war klein und alt gewesen und es waren ALLE ON DECK. Also Autos und Passagiere. Es war die Hölle. Ja, sage ich, ich erinnere mich. Ich lag da auf einem Sonnenstühlchen und habe das Ende der Welt gesehen. Jetzt wird es sicher nicht so schlimm, sagt Carissima, denn vom einen Ufer kann man an das andere sehen. Woher weißt Du denn das, frage ich. Hab‘ auf der Karte nachgesehen, sagt sie. Ich sage erst mal nichts mehr.

Zum Glück wird das mit der Fähre hier so geregelt wie Zähne ziehen. Also, erst einmal geht die Bundesstraße ein paar Ortschaften vor Villa Dan Giovanni einfach verloren und man ist, so man kein Navigationszauberer ist, gezwungen, auf die Autobahn aufzufahren. Und dann steht auf der Autobahn ein Schild mit „Imbarco Messina“, man fährt ab und wird direkt in den Hafen geleitet. Keine Zeit, sich das noch mal anders zu überlegen. Imbarco, das klingt für mich immer so verdammt nach dieser letzten Fähre, die einen dann über den großen Fluss bringt. Ich kann mir nicht helfen.

Vor dem Imbarco-Terminal ereilt mich dann die übliche Panik-Attacke, die ich beim zu zweit Reisen mit lockeren Sprüchlein überspiele, ich taumle aus dem Auto und weiß nicht, was ich tun soll, während vor mir wild gestikuliert wird. Zum Glück steht da ein Fahrzeug mit der Aufschrift „Polizia“ und ich wende mich an den Fahrer. Der spricht zwar kein Wort englisch, aber er erklärt mir den Weg zum Ticketschalter und nach dem Erwerb des sündhaft teuren Tickets (das hatte ich so nicht in Erinnerung) werde ich schon weiter gewunken, hinter dem Polzeifahrzeug her, zwischen riesengroßen Lkw, hinauf auf die Fähre.

Als wir aus dem Hafen fahren, blicke ich in Richtung offenes Meer. Siehst Du das, flüstere ich Carissima zu, kannst Du Dir vorstellen, das 48 Stunden zu ertragen, ALLEIN??? Hej, flüstert sie, die anderen schauen schon, weil Du Selbstgespräche führst. Geh doch zu dem netten Polizisten und rede mit ihm, ok? Ok, flüstere ich. Der nette Polizist ist eigentlich aus Rom und muss nur dieses Polizeifahrzeug nach Catania überstellen. Er hat selbst einen Camper und fährt in den Sommerferien mit seiner Familie gern nach Norditalien, Triest, und Slowenien. Vor uns wabert immer noch das bleigraue Meer und ich mache sehr viele Fotos, um meine Panik im Griff zu halten. Das Fahrzeug ist ein Zivilfahrzeug und hat nur eine Polizia-Nummerntafel. Aber als wir in Messina von Bord gehen und ich immer noch meine angeschlagene Konstituation spüre, hänge ich mich an das Polizeifahrzeug und nutze den Luxus, dass mir mal einer vorfährt, der sich auskennt. Irgendwann kurz vor der Autobahnauffahrt verliere ich ihn, aber macht nichts, Autobahn ist immerhin angeschrieben. Habe ich irgendwann geschrieben, dass Neapel hart zu fahren ist? Vergiss es einfach.

In Messina gibt es kaum Bodenmarkierungen. Man kann vermuten, dass eine Straße zweispurig ist, doch es stellen sich auf jeden Fall drei Fahrzeugreihen an der Ampel an. Dazwischen drängen Motorräder, Motorroller und Dreiräder durch. Wer bremst, verliert. Ich komme mir vor wie in Indien, aber da wollte ich ja nie mit dem Auto hin. Es ist natürlich mühsam, wenn man allein ist, das gebe ich zu. Denn Du musst das Fahrzeug im Griff haben, die anderen Verkehrsteilnehmer, die Straßenschilder, die Tankstellenschilder, die Lebensmittelgeschäfte und was Du sonst noch brauchst. Das ist viel. Viel zu viel. Während Carissimas Tankanzeige wieder einmal lustig zwischen halb voll und komplett leer geigelt, suche ich die Autobahnauffahrt und eine Tankstelle gleichermaßen, ersteres gewinnt. Autobahn bis nach Messina, dann wieder Bundesstraße. Was hier als Bundesstraße ausgezeichnet ist, ist ein löchriges Flickwerk an Asphaltstücken, die aneinandergereiht durch kleine Dörfchen führen. Es ist schön, aufregend und sehr anstrengend.

Und dann – Taormina, eine der beliebtesten Städte hier an der Küste. Ich fahre falsch ab, komme an einer Baustelle auf der steilen Zufahrtsstraße zum Stadtzentrum zum Stehen und als die Ampel auf grün schaltet. Nichts. Hej, was los, sage ich. Ich weiß es nicht, keucht Carissima entsetzt. Ich springe nicht mehr an. Vedammte Scheiße. Ich winke die hinter mir gereihten Fahrzeuge vorbei, lege den Retourgang ein und lasse uns rückwärts in eine Kehre anrollen. Nicht ganz das Richtige für mein Nervenkostüm, aber es klappt, sie ist gleich wieder da. Scheiße. Das Gleiche wie in Norwegen??? Damals sprang sie ohne Anschieben überhaupt nicht mehr an. Damals waren wir zwei Menschen und ein Auto, was die Sache erheblich erleichtert hat. Ich bin verzweifelt. Carissima auch.

San Marco
Wir landen auf einem Campingplatz in San Marco bei Taormina, sehr gepflegt, alter Nussbaumbestand. Drei alte Männer mit Fahrrädern kümmern sich um die Ernte, legen Netze auf, sammeln Nüsse ein. Ein junger Mann betreut den Campingplatz, besser gesagt, er läuft völlig abgestresst durch die Gegend und telefoniert in einer Lautstärke, dass jeder mitkriegen muss, wie wichtig er ist. Meinen Pass? Ja, den kriege ich in einer Stunde wieder. Ich möchte wissen, was der eine Stunde lang mit meinem Pass vorhat. Hier sind genau drei Gäste. Egal. Ein gepflegtes Abendessen bei Kerzenschein, der Beschluss, morgen frei zu machen. Morgen sind es neun Wochen. Und Carissima?

Was hast Du, frage ich sie. Das weiß ich doch nicht, meint sie verzweifelt. Also, ich hatte angenommen, dass Reparaturen einfacher werden, wenn das Auto sprechen kann, meine ich. Ja, aber Du kannst ja auch sprechen, schreit sie, und wenn DU zum Arzt gehst, dann sagt der ja auch nicht zu Dir: was hast Du denn? Du kannst es ihm ja auch nicht sagen, dafür ist der Arzt doch da! Verdammt! Ich springe nicht mehr an. Ist ja gut, sage ich. Wir müssen jetzt einfach total klar planen. Also, morgen nachsehen, ob es einen Grund gibt. Und wenn nicht, versuchen, ob Du anspringst. Und dann halt das alte Spiel. Nur noch so parken, dass wir Dich zur Not anlaufen können. Das kennen wir doch aus Norwegen. Und dann fahren wir heim, wir zwei, ok? Ja, ok, sagt sie.

Ich finde nichts.

Das war irgendwie zu erwarten. Die Verteilerkappe war locker, jetzt sitzt sie wieder fest. Carissima springt an. Ob es das war? Kann sich eine Verteilerkappe lockern? Aber dann hätte sie ja gar nicht mehr fahren dürfen, vermute ich. Das olle Reparaturhandbuch hilft mir genau null weiter. Immerhin lerne ich ein französisches Paar kennen, das mit dem Fahrrad am Ätna war, also mit zwei Fahrrädern natürlich. An den Oberschenkeln sieht man, dass die das auch locker können, vor allem an ihren. Er ist Mechaniker! Die beiden müssen zum Zug, nach Syrakus, aber wir tauschen die emailadressen aus. Wenn der Hut brennt, kann er vielleicht mal nachsehen. Allerdings fliegen die beiden in drei Tagen heim. Bevor sie zum Zug sausen, machen wir ein Picknick am Strand, das finde ich extrem schön, so ganz spontan.

Und wir? Ja, nun ist das passiert, das ich erhofft hatte: so lange bleiben, bis es mich nimmer freut. Und jetzt freut’s mich nimmer. Nicht, weil Carissima Probleme macht und nicht, weil ich mich auf das freue, was es zu Hause zu erledigen gibt. Nein, Ihr, meine lieben Leser, Ihr fehlt mir langsam. Und darum also werden wir morgen die Rückfahrt so durchplanen, dass wir keinen bösen Schock erleben, falls Carissima dann nimmer, nimmer anspringt. Also, immer schön schräg parken. Bis Rom werden wir noch campen können, danach wohl nicht mehr. Ich denke, ich werde Ugo, Agnese und Elisa noch einen Besuch abstatten. Und von Rom zurück sind es zwei Tagesetappen. Nunja, hoffen wir, dass das Wetter ohne Schnee bleibt. Ich melde mich hier noch mit Berichten, so, stay tuned und auf bald!

Ätna
Guten Morgen, sage ich. Guten Morgen, sagt Carissima. Probieren wir, ob das Rumgerüttle an den Innereien gestern was gebracht hat? Ja, sagt sie, mach doch mal. Sie springt einwandfrei an. Hm. Wir fahren los. Deine Ventile klackern, sage ich. Höre ich, sagt Carissima. Wir fahren zur nächsten Tankstelle, das ist die große Hürde, denn der Tank ist fast leer. Ob sie danach noch einmal anspringen will? Sie will. Sag mal, frage ich, läufst Du auf drei Zylindern? Fühlt sich fast so an, ächzt Carissima. Ich bleibe an einer Anhöhe stehen, man weiß ja nie, alleine das Auto anschieben ist eher wenig spaßig, finde ich. Stelle die Zündung ab. Starte wieder an. Sie springt sofort wieder an und diesmal sind alle mit von der Partie. Sehr eigenartig. Was sollen wir tun, frage ich. Weißt Du was, sagt sie, Du hast heute ohnehin nicht die Nerven für die Fähre. Und zu Hause wartet doch eh nur mühsamer Ärger, oder? Naja, sage ich, nicht nur. Aber elegant fühlt sich anders an. Also, elegant Heimkommen, das fühlt sich anders an. Im Moment macht es mir Magenschmerzen.

Na, eben, sagt Carissima, weißt Du was, lass uns auf den Ätna krachen. Geilen Ausblick genießen, nochmal gut durchatmen, dann gehen wir auf ein Bier, schlafen eine Nacht und dann fahren wir heim. Eine super Idee, sage ich. Und so krachen wir auf den Ätna.

Die Straße auf den Ätna ist so wie die auf den Vesuv mäßig beschildert. Will heißen, man sieht ein Schild, auf dem Etna steht, freut sich wie ein Räuber über die ausgezeichnete Beschilderung und fährt dann auf wilden Serpentinen am Fuß den Etna entlang, um irgendwann, vier Dörfer weiter, fest zu stellen, dass man falsch gefahren ist. Die einzig wirklich gut ausgeschilderte Straße ist die SP 92 ab Nicolosi, aber dorthin muss man ja auch erst mal kommen. Aber wir schaffen es und erreichen um die Mittagszeit die Rifugio Sapienza, von wo aus man nur noch zu Fuß oder mit der Seilbahn weiter kommt.

Auf dieser richtig schiachen, aber sehr informativen Website erfährt man mehr über aktuelle Ausbrüche und was sonst noch so am Ätna passiert. Im Moment ist sie wieder aktiv. Gestern Nacht konnte ich das Grummeln und das tiefe Murmeln aus der Erde hören. Wenn man oben am Kraterrand steht, sieht man den Rauch zischen, man hört es brodeln und krachen. Ob ich ganz oben war? Nein. Von der Seilbahnendstation zum Krater sind es noch zwei Stunden Fußmarsch und es gibt Dinge, die möchte ich gerne nicht ganz allein machen. Das hebe ich mir für das nächste „zu Zweit“ auf. Den Fußmarsch zum Hauptkrater, über Lavapisten und Schneefelder. Normalerweise ist der Aufstieg nur mit Bergführer erlaubt und das wird auch streng kontrolliert, aber im Moment, sprich im November, schert sich niemand darum. Und das klingt sehr verlockend für ein nächstes Mal.

Ich bin vom Lavagestein begeistert und denke mir, was für ein herrliches Weihnachtsgeschenk, Feuer für jeden Haushalt. Und so sammle ich und sammle ich, bis ich beide Arme voller Steine habe, springe mit Begeisterung und sehr großer Motivation zurück ins Auto und haue mir den Kopf so dermaßen am Türrahmen an, dass ich Sternderl sehe. Die Steine verteilen sich großzügig im Fußraum, wo sie während der Weiterfahrt auch liegen bleiben. Die nächsten 15 Kilometer sehe ich blaue und grüne Flecken vor mir tanzen und mir ist ein bisserl schlecht. Ich parke also am Camping Etna, gleich am Fuß des Berges, und versuche noch ein wenig zu arbeiten. Mal sehen, wieviel ich davon mitkriege.

Am Nachmittag geht es mir besser und ich schreibe und kommuniziere mit daheim. Am Abend dann Appetitlosigkeit trotz Verzicht auf Mittagessen, Kopfschmerzen, Schüttelfrost und leichtes Fieber. Gehirnerschütterung?

Vallo della Luciana
Um halb sieben bin ich wach. Draußen wabern Nebelschwaden über den Ätna und die Sonne will nicht durchkommen. Wir stehen auf schwarzem Lavasand, der nun feucht von der Nacht ist. Nachdem mir die Überfürsorge des Campingplatzbesitzers ein wenig auf die Nerven geht, haben wir in einer halben Stunde gepackt und sind on the road. Carissima springt einwandfrei an. Als wir eine halbe Stunde später im Frühverkehr Catanias fest stecken, könnte ich schon wieder losbrüllen. Super Routenplanung, sagt Carissima. Ach, verdammt, sage ich. Ich wollte ganz woanders hin. So geht es uns allen, und das meistens im Leben, sinniert Carissima. Ja, da hast Du eindeutig recht.

Aber dann sind wir richtig und genießen die fast 100 Kilometer lange Fahrt der Küste entlang, wenn auch der Blick durch Nebel und tief hängende Wolken ein wenig getrübt ist. Bist Du traurig, frage ich. Nein, sagt sie, das Beste haben wir ja gemacht, bei Sonnenschein, blauem Himmel und glasklarer Sicht auf den Ätna! Was braucht es mehr? Heute ist es diesig, trüb, also mir macht das nichts aus, wenn wir heimfahren. Ja, mir jetzt auch nicht mehr, sage ich, fühle mich aber vom gestrigen Schlag auf den Kopf noch ein wenig trüb. In Messina ist es nicht schwierig, den Hafen zu finden, die „Imbarci“-Schilder führen einen. Diesmal lande ich bei einem „Turistici“-Schalter. Letztes Mal war ich ja auf einer kleinen Fähre, die nur von Einheimischen benutzt wurde. Ein Camper, sagt der Mann am Schalter. Ich sage, nein. 38 Euro kostet ein Auto, 55 ein Camper. Und das ist eh alles schon viel teurer, als wenn man online buchen würde, doch dafür braucht man ein Smartphone oder einen Drucker. Nächstes Mal nehme ich einen Drucker mit! Ich bin um 38 Euro herüber gefahren, also werde ich auch um 38 Euro zurück fahren, sage ich. Das ist ein Camper, sagt der Mann am Schalter. Ich schaue auf Carissima. Nein, sage ich, 5.20 Meter Länge, 1.96 Höhe, das ist kein Camper, bei keiner Fährgesellschaft auf der ganzen Welt! Der Mann rollt die Augen. Ich stemme die Hände in die Hüften und blockiere den Schalter. Cash, sagt er. Das darf doch nicht wahr sein! Cash – no camper. credit car – problem. Sagt der Mann. Und so gebe ich ihm mein letztes Bargeld und schreie innerlich über soviel Wahnsinn.

Dann stelle ich mich in der Autoschlange vor der Fähre an, eine große Fähre, und schon kommt einer und will mir die Winschutzscheibe putzen. Besser gesagt, der Carissima. Ich deute ihm, nein. Immerhin mache ich das ja täglich mit meinen feinen Putztüchern und nnnnnnnnnnoooooooooooooooooooooo!!!! schreie ich. Der Mann reagiert nicht, spritzt irgendein undefinierbares Gebräu auf Carissimas Scheiben und beginnt seelruhig zu wischen. ICH WILL DAS NICHT schreie ich in drei Spachen, was dem hoch motivierten Putzmeister scheißegal ist. Als der Mann zum Seitenfenster kommt, schreie ich nur noch. Was an einem NO er nicht verstehen kann. Sista, you have a problem? YES I HAVE A PROBLEM, schreie ich und schäme mich im nächsten Moment, da meine Probleme vermutlich verhältnismäßig klein sind im Gegensatz zu seinen. Ich gebe ihm zwei Euro, damit er endlich abzieht und er grinst. Und so stehe ich da, mit einer verschmierten Scheibe, die vorher ohne Schlieren war. Sag mal, fragt Carissima, läufst Du heute nur auf drei Zylindern. Ehrlich gesagt, nur auf zwei, sage ich, mir geht es echt nicht gut. In dem Augenblick beginnt die Beladung der Fähre und wir rollen in einer Autokolonne an Bord. Weil Touristenfähre muss man das Autodeck während der Fahrt verlassen, dafür gibt es ein Cafe und einen Souvenirladen, in dem ich einen Magneten für Carissima erstehe. Als ich hinaus auf Deck gehe, ist die Fähre schon losgefahren und angesichts des großen Wassers wird mir sofort schlecht. Und Leute, so hätte ich heute FAST die Straße von Messina vollgekotzt. Fast. Der frische Fahrtwind rettete mich.

Als Quartier für heute habe ich mir ein Agriturismo in Vallo della Lucania ausgesucht, 431 Kilometer sind das. Carissima läuft und ich bin zufrieden. Es ist bewölkt und kühl und ich finde, das ist ein guter Moment, an das Heimfahren zu gehen. Vier, fünf Tage, so habe ich mir vorgestellt, will ich mir dafür geben und jeweils Zimmer nehmen, denn es wird kühler werden, Richtung Norden.Soweit der Plan.

Als ich in Vallo della Lucania ankomme, stelle ich fest, dass ich wieder mal zu wenig auf mich geachtet habe, sondern mehr auf Carissima. Ich habe Kopfschmerzen. Vielleicht rühren die immer noch von meinem Sprung gegen den Türrahmen. Es dämmert, ich nehme die falsche Abfahrt, muss aufs Klo und bin unleidlich. Ich bleibe bei einem Supermarkt stehen, in der Hoffnung auf ein Klo und werde im Supermarkt bitterlich enttäuscht. Als ich hinaus zum Auto wanke und mich mühsam auf den Fahrersitz gehievt habe, springt Carissima nicht an. AAAAAAAAAAAAHHHH! Das gibt’s ja nicht! Gibt es einen passenderen Zeitpunkt??? Ich habe natürlich schon passend geparkt, mit der Schnauze bergab, doch leider ist eine kleine Mauer im Weg, die ich im Zuge der Klonot nicht bemerkt habe. Nun gilt es also, einen Mann zu finden, der mir hilft, das Auto zwei Meter zurück zu schieben. Der Gefundene ist ein Soletti mit Schultern und ich merke sein Bemühen kaum, doch mit vereinten Kräften schieben wir Carissima so weit zurück, dass ich an der Mauer vorbei rollen kann und wusch, springt sie an.

Sag mal, sagt Carissima. Was, stöhne ich mit verkniffenem Mund. Wieso gehst Du nicht einfach immer aufs Klo, wenn Du mich tankst? Dann würde es nie so weit kommen wie jetzt. Jaja, sage ich. Ich bin in solchen Zuständen wenig verhandlungsbereit und noch weniger kommunikativ. Ich mein‘ ja nur, sagt sie. Trotz herovrragender Wegbeschreibung via Netz, die ich beim Supermarkt noch einmal echeckt habe, finde ich das Agriturismo nicht. Dafür fahre ich bei einem Hotel vorbei, das über die Buchungsplattform, auf der ich das Agriturismo gefunden habe, ebenfalls empfohlen wurde. Hochpreisig. Doch nachdem ich mittlerweile in der „Ein Königreich für ein Klo“-Phase angekommen bin, fahre ich zurück, parke Carissima saumäßig und stürme in das Haus. Ein sehr netter älterer Herr fängt mich ab. Englisch, nein, aber deutsch kann er, denn er hat in Deutschland gearbeitet, meint er. In Österreich war er immer nur zum Wandern, sagt er und findet das sehr witzig. Zimmer, klar, gibt es. Nachdem ich im Stehen in einen besseren Zustand gerate als im Sitzen, schaffe ich es noch, nach dem Preis zu fragen. Er schaut auf Carissima. Dann auf mich. Ich. Mit einer Jeans bekleidet, die an den Knien aufreißt und an den Oberschenkeln öl-und schmutzspurüberzogen ist von meinen jüngsten Autoschrauberversuchen. Meine Füße stecken in orangen Crocks, die staubüberzogen und fast durchgelaufen sind. Ja, und auch Carissima sieht immer noch aus wie Sau. Und in all dem Staub und Dreck steht in einem feinen Schriftzug, von mir persönlich in den Staub geschrieben, „La Carissima“ an der Seitenwand. Der Mann nickt und geht in die Rezeption. Dort redet er schnell und für mich absolut unverständlich mit seiner Frau. Die schaut mich an und meint „quaranta“. Ja, sage ich, super. Im Buchungsportal waren die günstigsten Zimmer mit 100 angegeben, die Preisliste an der Rezeption weist Einzelzimmer mit 70 Euro aus.

Ich stammle noch, dass ich in Bälde das Auto schöner parken werde und stürme in mein Zimmer.

Das Hotel ist einfach wunderbar. Das Zimmer liebevoll gestaltet, das Badezimer winzig, aber sauber und mit richtig viel heißem Wasser. Also, so richtig, dass man auch gut Haare waschen kann. Der Parkplatz wird in der Nacht abgesperrt und so nehme ich nur das Nötigste mit aufs Zimmer. Die Tochter des Hauses serviert im Restaurant und spricht perfekt englisch. Wir sprechen über meine Reise, über mein Schreiben, der Abend wird unterhaltsam, ich liebe es, hier zu sitzen und einfach zu plaudern.

sizilien1314. November 2015
Als ich am Morgen – wie immer bin ich seit halb sieben wach und habe schon ein wenig gearbeitet – um halb acht zum Frühstück gehe, herrscht gedrückte Stimmung. Die Familie ist vor dem Fernseher versammelt. Man ist schockiert, ich versuche, mich zu orientieren. Löffle ein Joghurt, trinke einen Capuccino und erfahre aus den Fernsehen, was gestern Nacht vorgefallen ist. Die Drohungen gegen Rom werden ernst genommen, Italien macht mobil. Mir vergeht der Appetit. Ich gehe raus und kontrolliere die Verteilerkappe, die sitzt aber fest. Öl passt, Wasser auch. In meinem Kopf rotiert das im Fernsehen Gesehene. Die Familie verabschiedet mich freundlich, ich bin um kurz nach acht auf der Straße. Hatte eigentlich mit Elisa in Rom vereinbart, die Nacht dort zu verbringen. Kurz nach zwölf bin ich vor Rom, Polizeiautos fahren an mir vorbei, Einsatzfahrzeuge, am Straßenrand Kontrollen.

Wir haben lange geschwiegen. Nun meint Carissima, das gefällt Dir nicht, oder? Ich sage, nein, das finde ich beklemmend. Mich kotzt sowas so an, ich werde wütend, fühle mich hilflos, ich verstehe nicht, warum Menschen sowas tun. Ich auch nicht, sagt Carissima, aber ich kann Dir eines versprechen: wenn Du jetzt heim willst, dann fahre ich. Ich verspreche, ich bemühe mich, lass uns fahren, ich bringe Dich heim. Hmmm…. sage ich. Jetzt ist es Mittag, wir sind 400 Kilometer gefahren, sind in Rom, bis heim ist es noch weit. Aber, ja ich möchte heim. Ok, sagt sie, lass es uns versuchen! Du kanst doch den fast Besten aller Männer anrufen, dorthin ist es nicht ganz so weit! Ja, sage ich, so machen wir es.

Und so halte ich mich an alles, was Carissima mir geraten hat. Ich trinke genug Wasser, gehe immer, wenn wir tanken aufs Klo und esse. Wir halten dreimal und fahren nur Autobahn. Wenn man von der ersten Stelle, an der die Autobahn in Süditalien mautpflichtig wird, bis zum Brenner fährt, ohne einmal abzufahren, kostet das genau 70 Euro. Carissima säuft wie ein Hafenarbeiter und wir tanken heute um knapp 230 Euro. Wir kommen um kurz nach acht Uhr abends in Tirol an. 1155 Kilometer in 12 Stunden. Und das Problem mit dem Nicht mehr Anspringen ist nicht mehr aufgetaucht.

Epilog
Liebe Freunde, und so geht die Reise zu Ende. Ich brauche Zeit, anzukommen. Habe die warme Herbstluft in den Bergen genossen und freue mich über den Geruch des Waldes, der Blätter und der Berge. Denn von der Bergen hier in Trins, da riecht es schon nach Schnee.

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