Bergerac – Dune de Pyla

15. Juni 2017 – Bergerac

Hier sind wir nun also, am Camping Municipal in Bergerac, stehen unter einem herrlich alten Baumbestand und Wanda kann ziemlich viel herumtollen. Das tut sie auch, sie ist außer Rand und Band. Ich brauche erst Mal schnelles Internet, denn das, was man hier am Campingplatz bekommt, sind zwei Stunden Tickets, die ab dem Einloggen laufen, egal ob man on- oder offline ist. Und meistens ist man offline, weil das Netz einfach total schlecht ist. Geht also nicht. Entlang der Dordogne spazieren wir in Richtung Stadtzentrum, auf der Suche nach einem Orange Laden. Der ist auch rasch gefunden und wir bekommen ein Ticket zum Warten, zehn Minuten soll es dauern. 20 Minuten später lerne ich eine Dame kennen, die grade noch schrecklich böse mit ihrem Mann gesprochen hat, sie schickt ihn hierhin und dahin und der Typ, in kurzen Hosen und Sandalen, folgt wie ein Hündlein. Normalerweise würde ich nun kein Gespräch beginnen, wäre da nicht mein Hündlein, das fleißig kontaktet. Wir kommen also ins Gespräch, die Dame erzählt mir, dass sie aus Bergerac stammt und hier auch noch ein Haus besitzt, die Sommer verbringt man also hier und die Winter in Berlin, seiner Heimatstadt. Es sei eine rechte Herausforderung mit ihm, meint sie, vor eineinhalb Jahren Alzheimer diagnostiziert und nun ginge es rasend schnell, sie müsse ihm alles immer ganz klar sagen, damit er überhaupt noch etwas hinkriege. Normale Gespräche seien Vergangenheit. Ich bin betroffen. Dachte mir grade noch, wie springt denn die olle Tante mit ihrem Mann um. So vergeht in unserem Gespräch ein halbes Stündlein und die Dame, die uns Tickets gegeben hat, hat uns einfach vergessen. Zum Glück beschwert sich meine resche Gesprächspartnerin lautstark und so kommen wir ein weiteres Viertelstündlein später auch schon dran.

Wie auch zu Hause verstehe ich nicht, wie diese Mobile Phone Läden funktionieren können, aber vermutlich ist man mittlerweile so abhängig von der Telekommunikation, dass man jeden nicht vorhandenen Service in Kauf nimmt. Mir ist’s leidlich egal, denn Wanda hat im Geschäft auch noch ein paar Tricks vorgezeigt und viel Lob bekommen. Bald werden wir auf diese Art Geld verdienen *lach* Stolz verlasse ich also eine Stunde später das Geschäft, das Internet in einem kleinen, orangen Säckchen, und wir machen noch einen Stadtrundgang. Bergerac ist unglaublich schön, ich muss gestehen, dass wir deshalb hier sind. Vor knapp zwei Jahren bin ich durchgefahren und habe beschlossen, irgendwann wiederzukommen. E voila!

Zweimal um die Ecke, da steht er, der romantisch verklärte Cyrano de Bergerac, der es sich nicht zutraute, seiner Liebsten ein Geständnis zu machen. Ojemine. Mir steht noch eine Diskussion zum Thema romatische Liebe mit meinem Auto bevor. Vorab aber, weil wir so tüchtig waren, in ein Kaffeehaus. Das St. James an der Ecke zur gleichnamigen Straße ist todschick im old style eingerichtet, der Barmann mehr als motiviert (er nennt mich Madam, englisch ausgesprochen, was mich Anbetracht meines Aufzuges, kurze Hose, T-Shirt und Sneakers, ein wenig irritiert), Wanda bekommt Wasser, das sie ausnahmsweise annimmt. Ja, Carola, Du hast Recht: mit Chiwawis MUSS man ins Kaffehaus gehen 😉

Am Rückweg kommen wir an einem Schild vorbei, Boat Trips werden hier angeboten. Ich muss sofort an Bangkok denken, ich liebe es, eine Stadt vom Wasser aus zu sehen. Das wird auf der Stelle für morgen vorgemerkt. Das machen wir.

 

16. Juni 2017

Nachdem ich leider zu doof war, mein superschnelles Internet in Gang zu kriegen, muss ich heute morgen Chris um Fernwartung bitten. Wie immer extrem peinlich, hilft aber nix. Was ich gestern abend nach eineinhalb Stunden nicht geschafft habe, macht er in zehn Sekunden, und fertig, das Netz läuft suuuuuuuuuuperfast. Jetzt also erst mal ein wenig arbeiten, bevor wir dann zur Bootsfahrt aufbrechen. Wanda hat in der Zwischenzeit die Herzen eines holländischen Ehepaars am Platz nebenan erobert und wird den ganzen Tag gefüttert. Mit Hundeleckerlis, wohlgemerkt, denn die Dame liebt Hunde und hat immer Leckerlis in allen Größen mit dabei. Mein Erziehungsauftrag, Wanda zum „Komm“ zu bewegen, auch wenn die Umgebung interessant ist, scheitert somit kläglich. Dafür sitze ich fast eine Stunde bei meinen Nachbarn und wir reden über die Wirtschaftskrise vor einigen Jahren, die Chancen, die mancher daraus erkennen konnte, Coworking und Bücher schreiben.

Nach dann doch noch ein wenig Arbeit im Schatten der Bäume ist es Nachmittag geworden, Zeit für den Boat Trip. Wie üblich rennt Wanda wie verrückt den Uferweg entlang, um dann, an der Straße angekommen, darauf zu bestehen, über die Brücke getragen zu werden. Der Gehsteig ist schmal und der Verkehr verrückt, mir ist’s auch lieber so. Die Bootsfahrt ist schlichtweg DER HAMMER, weil nämlich genau nichts zu sehen ist. Bergerac ist, was seine Seite vom Fluss aus betrachtet angeht, so ein bisschen wie Salzburg. Die Dame am Mikrofon liest die englischsprachigen Texte von einem Blatt, und zwar so, dass man genau gar nichts versteht. Die Fahrt erheitert mich so über die Maßen, ich kann mich kaum mehr einkriegen. Wie gesagt, ich liebe Bootsfahrten und bin allein durch das Geschaukle schon hin und weg. Meine leicht irritierten Mitpassagiere aus den Niederlanden, Großbritannien und den USA sehen das wohl nicht so, geht man nach ihren Gesichtern, aber leider erheitert mich das noch mehr. Ich kann mich kaum mehr einkriegen und beobachte tapfer grüne Uferböschungen, kilometerlang. Für mich war’s ein Traum! Danach noch ein traumhaftes Abendessen, ein Glas Wein, was will ich mehr. Und Wanda, die schläft endlich.

 

17. Juni

Unser letzter Tag in Bergerac verläuft extrem beschaulich. Es ist heiß geworden, knapp über 30 Grad und so verzichte ich auf weiteres Sightseeing. Stattdessen wird ein Arbeitstag eingelegt, Wanda lernt schwimmen, zumindest die Kurzdistanz von eineinhalb Metern und ich packe langsam zusammen. Meine niederländischen Nachbarn sind etwas tougher als ich, mit knapp 70 machen sie eine ganztägige Fahrradtour, während ich mich bemühe, keine überflüssigen Bewegungen zu machen. Also, wenn das so weitergeht mit den Temperaturen, dann wird das mit Fliegen an der Düne noch hochinteressant. Außerdem entdecke ich im Wetterradar eine starke Südströmung, ob die nicht wieder den Wind vom Meer übertrumpft. Das hatte ich vor eineinhalb Jahren schon. Wir werden sehen.

 

18. Juni
Um unsere Fahrt in einem Temperaturrahmen zu halten, der uns nicht völlig bremst, starten wir um knapp vor acht. Heute ist Sonntag und es ist kein Mensch auf der Straße, bis auf ein paar Frühaufsteher, die mit frischen Baguettes die Straße entlang gehen. Ich hole ebenfalls frisches Brot und – geht nicht anders – ein Croissant und ein Eclair. In einem kleinen Schächtelchen mit dem Aufdruck der Bäckerei. Das habe ich wirklich vermisst, das war auf unseren Motorradreisen immer das Highlight, die kleinen Schächtelchen mit den Süßigkeiten. Auch am Markt bleibe ich noch stehen und als ich nach vier Minuten mit meinen Einkäufen zurückkomme, ist es im Auto bereits kuschlig. Das kann ja noch was werden heute, es ist knapp vor halb neun und hat schon 29 Grad. Von Bergerac geht es die D936 durch kleine Dörfer bis Bordeaux und von dort über die Autobahn Richtung Düne. 20 Kilometer davor ist dann so gut wie Schluss, alles steht, mein Gott, es ist Sonntag. Offenbar wollen einfach alle ans Meer. Binnen fünf Minuten ist die Temperaturanzeige über der Mitte und Carissima winselt. Jetzt mach doch was, keucht sie, mir ist heiß! Scheiße, mir auch, sage ich und schalte die Heizung ein, auf voll. Wanda nehme ich auf den Schoß, sie stützt sich mit den Pfoten am Fenster ab und hält ihren Kopf in den Wind, den die Schrittgeschwindigkeit erzeugt. Ich könnte durchdrehen, das sind diese Momente, in denen ich mich frage, warum ich manchmal einfach nicht mitdenken kann. Jetzt sind wir auf der Autobahn und keine Chance, hier wegzukommen. Zum Glück löst sich das Ganze nach gut 20 Minuten, Carissimas Temperatur geht nach unten und meine auch.

Dieses Mal habe ich mich für einen anderen Campingplatz entschieden, der das Thema Hunde ein wenig unverkrampfter beschreibt als der „Panorama Camping“, der konsequent für Hunde 5 Euro extra verbuchen will. Zumindest laut Netz. Der „Camping Foret“ ist superschön, die Damen am Empfang gemischt zwischen grantig und gelangweilt und was cool ist, sind die abgeteilten Grundstücklein, so kann ich Wanda ein wenig besser im Überblick behalten als auf der freien Fläche in Bergerac.

Trotzdem bin ich ein wenig gefrustet. Es ist so heiß, dass ich mir beginne, Sorgen um mein Hündlein zu machen. Bei jedem zu lauten Schnarcher kriege ich die Panik, dass sie einen Hitzschlag hat. Jedes Mal, wenn ich sie hysterisch wecke, schaut sie mich an, als wäre sie hier die Betreuerin und nicht ich. Am Abend, als die Sonne endlich hinter der Düne verschwinde, wird sie naturgemäß unruhig, will spazierengehen und ist quietschfidel. Ich trage das Hündlein die Düne hinauf, wo wir einen Traumblick auf den Abend genießen, ganze zehn Minuten, dann frischt der Wind auf und sandstrahlt mich, während ich Wanda unter mein T-Shirt stecke. Knapp unterhalb des Dünenkammes ist es wieder gut und wir können gemütlich durch den Sand laufen.

Als die Sonne dann endgültig fort ist und es endlich angenehme 24 Grad bekommt, bin ich trotz des schönen Ausflugs fertig. Ich habe das Hündlein heute viermal kalt gebadet, nichts gegessen, der Wind kommt von der falschen Seite und außerdem wüsste ich nicht, wie ich das überhaupt hinkriegen soll, mit zu heißem Hund und Schirm. Das hatte ich mir wesentlich einfacher vorgestellt. Ich setze mich auf Carissimas Einstieg und weine ein bisschen. Der Blues lehnt am Ferienhaus gegenüber und schaut mich an. Jetzt nimm’s doch nicht so tragisch, sagt Carissima, manchmal läuft es einfach nicht so, wie man es sich wünscht. Aber bei mir läuft‘s nie so, wie ich es mir wünsche, schluchze ich. Aber das stimmt doch nicht, sagt sie, bloß wegen diesem Fliegen. Du setzt Dich deswegen ohnehin viel zu sehr unter Druck. Ich meine, es ist doch scheißegal, ob einer zwei oder drei oder 15 Jahre pausiert! Da gibt es keine deadline, ob und wann man wieder anfangen darf. Erinnere Dich an den Typen in Bergerac, der ist fast 20 Jahre nicht geflogen und jetzt fährt er mit seinem alten Fetzen los und geht es wieder an! Und der hat heute genauso Rückenwind wie Du. Ich schneuze mich. Stimmt. Ja, es stimmt ja. Dieser Druck ist einfach so enorm, ich weiß nicht warum, jedes Mal, wenn mich jemand fragt, möchte ich sagen, ich fliege wieder, aber ich komme einfach nicht wirklich rein. Du machst Dich wegen einer Sache fertig, die völlig unerheblich ist, sagt sie. Da wird ein Tag kommen, da wirst Du Deinen Schirm nehmen, vom Gaisberg fliegen, als wäre nie was gewesen und basta. Hm. Ich bin immer noch verunsichert. Der Blues überquert die kleine Straße, scheucht Wanda von ihrem Stühlchen, das einmal seines war und zündet sich genüsslich eine Zigarette an. Wanda versteckt sich unter dem Auto. Blödarsch, sage ich und gehe abwaschen.

 

 

19. Juni

Als ich aufwache, steht die Sonne schon hoch und es wird heiß im Auto. Der Blues sitzt heute Morgen auf meinem Stühlchen, weil auf seinem das Hundekörbchen steht. Ich überlege, wie wir weiter vorgehen sollen, bis Finisterre sind es noch etwas über 800 Kilometer und wir haben gut drei Wochen Zeit, bis wir wieder zu Hause sein sollen. Auch etwas, das mich unheimlich stört, diese Begrenzung. Hast Du eigentlich schon mal über die Möglichkeit einer Planänderung nachgedacht, sagt Carissima, putzmunter. Äh, nein, warum? Naja, Hitzewelle in Portugal und Spanien, ich hab da eher keinen Bock darauf, meint sie. Was, frage ich, ich dachte an der Atlantikküste ist es zurzeit richtig angenehm, mit etwas über 20 Grad? Nö, sagt sie, Hitzewelle. Woher willst Du das wissen? Radio, meint sie knapp.

Ich glaube es nicht. Starte eine Kurzrecherche im Netz und stelle fest: die Lage ist prekär. 38 Tote bei einem Waldbrand in Portugal, überall an der Küste steigen die Temperaturen bis Mitte der Woche an die 40 Grad Grenze. Im Landesinneren auch. Eine Milderung der Situation ist ab 26. Juni zu erwarten. Also, das geht gar nicht. Ich beschließe, dass das Ende der Welt auf mich warten muss, scheuche den Blues von meinem Stühlchen und beginne mit Landkarte, openstreetmaps, meteoblue und camping.info einen Ort zu suchen, an dem es kühler ist. Bedingung Nummer 2 ist, er darf nicht mehr als drei Stunden entfernt sein, damit Wanda nicht noch mehr Hitze im Auto ertragen muss. Nach gut einer Stunde habe ich den einzigen Ort gefunden, an dem es morgen unter 30 Grad haben soll: Les Portes-en-Ré. Ich gehe an die Planung und merke, wie mir leichter wird. Die französische Atlantikküste wollte ich ohnehin schon immer mal sehen.

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