Süden 2016 – Acht

Erster November 2016

Das ist ja nichts Neues, sagt der Blues. Bei Dir klappt ja nie was. Also, ich meine, ich frage mich oft, warum Du überhaupt Pläne machst. Wenn es dann immer total anders kommt. Immer. Total. Anders. Ich schweige. Vor mir hat sich das Buchungsfenster der Fährgesellschaft geöffnet und mir mitgeteilt, dass Camping on board ab 31. Oktober eingestellt ist. Also ab heute. Auch für die Route Patras-Bari, für die dasselbe Portal noch vor wenigen Tagen grünes Licht gegeben hat.

Ich frage mich dafür, seit wann Du soviel quatschst, sage ich. Das ist ja im Gegensatz zu meinen Plänen ganz was Neues. Er schweigt, zündet sich eine Zigarette an und klickt mit seinem Benzinfeuerzeug. Ein neues, wie ich sehe. „Greece“ ist darauf eingraviert und so etwas wie eine Landkarte. Klick klack macht das Feuerzeug. Klick Klack. Er inhaliert tief und bläst einen ungeheuerlich großen Rauchring in die klare Herbstluft. Romana Hasenöhrl, Ihr Guide zum Desaster, so könntest Du ein echtes Geschäft machen, sagt er. Abenteuerurlaub mit allen unvorhersehbaren Unvorhersehbarkeiten. Strömender Regen in der Wüste. Weltuntergang an der Cote d’Azur. Der einzige unfliegbare Herbst an der Düne. Autounfälle, wo immer wir hinkommen. Erdbeben. Horrorkatzen. Und dann noch sie, sagt er und deutet mit dem Daumen auf Carissima. Miss „huch, ich weiß nicht ob ich heute starten kann“. Er inhaliert tief und fläzt sich in das marode Campingstühlchen, dass er aus den Tiefen meiner Zubehörkiste gekramt hat.

Also echt jetzt, empört sich Carissima. Ein Auto ist nur so gut wie… äh… wie von seiner Besitzerin gepflegt, seufzt sie. Ich lehne mich gegen den Zaun und schaue hinaus aufs Meer, das weit unter uns glitzert. Wir sind in den Bergen von Delphi und es ist so arschkalt wie es klingt. Also Planänderung, sage ich. Dem Buchungsfenster habe ich nämlich auch entnommen, dass die Kabinenpreise nach Bari im Vergleich zur Route Venedig exorbitant hoch sind. Und an Deck, das geht um diese Jahreszeit wirklich nicht mehr. Ich weiß nicht, was ich tun soll.

Wir können das doch überprüfen, sagt Carissima. Also, das mit den Plänen. Wenn wirklich alle Pläne immer schief gehen, die Du machst, dann hat er Recht. Dann solltest Du keine mehr machen. Und sonst halt schon. Das ist ja wie mit meiner Startrechnung. Stimmt, sage ich. Die letzte Rechnung haben wir nicht gemacht.
Losfahren in Epidavros hat geklappt, an der kleinen Brücke stehen geblieben, hat auch geklappt, an der großen Brücke auch. Dann nochmal zum Tanken. Also vier aus vier, die dazu kommen.

Genau, sagt sie. Und jetzt Du. Was hast Du mit 40 geplant? Ich wollte mit einem Bulli kreuz und quer durch Europa reisen, so lange ich will, sage ich. Done, sagt sie. Mit 30? Da wollte ich Fallschirmspringen, bis ich nicht mehr kann, sage ich. Und, fragt sie? Done, sage ich und ein wenig zwicken in dem Moment mein zerstörter Wirbel und mein halb repariertes Knie. Gesprungen, bis der Arzt kommt, sage ich. Mit 20? Da wollte ich Motorradfahren, bis ich nicht mehr kann und mir die Welt ansehen. Und? Man sagt, ich sei herumgekommen wie das falsche Geld, sage ich. Und mit 10? Da wollte ich Schriftstellerin werden und um die Welt reisen, sage ich. Damals hatte ich zwar vor meinem inneren Auge Vier-Stern-Hotels und beheizte Pools, aber dann hätte ich ja nicht das Vergnügen, mit Dir zu reisen. Carissima beginnt ein wenig zu weinen vor Rührung und der Blues dreht sich angeekelt weg. Er hasst Sentimentalitäten, obwohl er permanent welche hervor ruft.

Wisst Ihr was, sage ich, ich geh‘ jetzt einkaufen. Plantechnisch sieht es ja eh nicht so düster aus. Nimmst Du mir ein Bier mit, fragt der Blues. Und mir was Süßes, ruft mir Carissima hinterher.

Ich spaziere über Schafweiden und Almlandschaften nach Delphi, denn neben der Straße zu gehen ist Selbstmord. Zwei Stunden später komme ich wieder, der Blues muss mit Rotwein leben und Carissima bekommt einen süßen Magneten mit einem „Delphi“ Schriftzug. Dann buche ich die Fähre nach Venedig. In einer Außenkabine.

 

 

2. November

Heute war ich also beim Orakel von Delphi. Die gute Pythia, bekannt für ihre nicht ganz eindeutigen Orakelsprüche, sagte zu mir: „Wenn Du weiterhin Deinen Weg gehst und Deinen Träumen folgst, wirst Du noch sehr oft auf die Schnauze fallen. Wenn Du das nicht machst, auch“. Mit Weisheit und drei Dosen Katzenfutter beladen mache ich mich also am späten Nachmittag auf den Weg zurück zum Platz. Heute ist es wieder unglaublich warm und angenehm und ich bin froh, die Zelte nicht abgebrochen zu haben.

Ein Stück von mir entfernt wohnt seit heute ein Franzose mit Zelt. Er ist mit einem Moped unterwegs, vier Monate, 8.000 Kilometer, mit einer Maximalgeschwindigkeit von 35 km/h. Ganz charmant fragt er mich, ob wir zusammen Abendessen wollen. Ich meine, dass ich heute noch arbeiten muss und außerdem schweinemüde bin vom Ruinen besichtigen. Dann morgen. Also gut, morgen. Da bin ich ja mal gespannt. Was zwei völlig verwilderte Personen auf einem Campingkocher zustande bringen.

 

 

3. November

Wenn der Bäcker Dich mit der Hand begrüßt und mit Küsschen verabschiedet, die Katzen darauf beharren, jetzt dann DOCH ENDLICH in Deinem Bett schlafen zu dürfen und die Menschen auf der Straße Dich nach dem Weg fragen, dann solltest Du Dich langsam wieder auf den Weg machen.

 

 

Heute also der letzte Abend in Griechenland. Aufgrund der Tatsache, dass ich nicht mehr viele Lebensmittel habe und die verbraucht werden sollten, hole ich also im Städtchen noch eine Flasche Wein, ein frisches Brot, etwas Gemüse und zwei Eier. Als Aperitiv gibt es ein Bier, das wir uns teilen. Denn das zweite Bier hat die Katze beim Sprung in den Bus umgestoßen, es ist auf einen spitzen Stein gefallen und hat eine dünne, aber druckstarke Fontäne ausgespuckt. Ich gehe also vorm Kochen noch einmal duschen und mich umziehen, weil ich vor Bier triefe. Als Vorspeise gibt es gebratene Paparikastreifen in Olivenöl, am Nachmittag frisch gemacht, eingelegte Tomaten, Schafkäse, Oliven und Brot. Als Hauptspeise gibt es Palatschinken mit Spinat gefüllt, mit viiiiiel Muskatnuss und dazu Weißwein, danach noch in Chiliöl geröstete Kartoffelecken und Rotwein. Nachdem ich das erste Mal seit Monaten wieder für mehr Menschen als mich selbst koche, wird auch noch schön aufgedeckt, soweit das mit dem grellorangen Campinggeschirr aus Plastik möglich ist.

Der Blues hat sein Campingstühlchen dem Gast überlassen und ist gegangen. Ich sehe ihn unten an der Straße dahinschlendern, kurz vor der Kehre. Er mag keine anderen Menschen. Wenn man sich mit Menschen trifft, in deren Gegenwart man sich wohl fühlt, verschwindet der Blues immer.

Nach der ersten Flasche Wein spielt mir mein Gast auf der Flöte vor, er hat sie zu seiner Abreise vor vier Monaten gekauft und spielt mittlerweile vier Lieder. Ich bringe Lady in Black und Bobby McGee auf der Gitarre und wir applaudieren uns gegenseitig. Ein jeder gibt seine Reiseabenteuer zum Besten. Der Mann ist bittesehr von Reims über Norddeutschland, Polen, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien in die Türkei gereist und von dort nach Griechenland. Er hatte nie damit gerechnet, dass das Moped so lange durchhält, erzählt er und unterwegs habe er einen getroffen, der sei noch ärger drauf als er. Ein Koreaner, der mit einem Kleinmotorrad, 125 ccm, um die Welt fahren möchte. In der Türkei haben die beiden sich kennen gelernt. Von allen Ländern, die er gesehen habe, sei Griechenland das allerschönste, meint mein französischer Nachbar. Sehr spät am Abend fragt er mich, ob ich ihm meinen Schafsack borgen könne, denn im Zelt sei es wirklich kalt. Das mache ich doch gerne. Ich denke mit jedem Satz, den er sagt, an meine Zeit mit dem Motorrad unterwegs. Mein Gott, was haben wir manchmal gefroren!!!

Nach all den Geschichten sind mein Gast und ich uns einig: am besten reist es sich allein. Auch wenn man ab und an gern Gesellschaft hat – und diese auch findet.

 

 

4. November

Aufbrechen freut heute keinen und so trödeln wir beide bis in den Nachmittag herum mit zusammenpacken. Für mich ist es ja einigermaßen egal, denn die Fähre geht erst um Mitternacht und ich habe alle Zeit der Welt. Aber es ist ein gutes Gefühl, beim Losfahren jemanden in der Nähe zu haben, falls die Zuckerpuppe nicht anspringt. Denn hier ist wirklich niemand. Der Campingplatz ist völlig verlassen, nur am Abend gegen sechs kommt der Betreiber für eine Stunde vorbei und sieht nach dem rechten. Und sonst ist hier nichts und niemand. Aber Carissima spring nach einem einzelnen Hüsteln sofort an, nagelt entsetzlich, doch ich bleibe cool. Immerhin habe ich ja Öl kontrolliert, also was soll sein.

Nach einer Viertelstunde läuft der Motor normal und die Strecke von Delphi nach Patras macht alles gut, was in den vergangenen Tagen schwierig war – die Kälte in der Nacht, die vielen Gedanken und die leicht aufkeimende Trostlosigkeit, weil in Griechenland Anfang November einfach alles langsam dicht macht, als würde das Land in den Winterschlaf gehen. Diese Strecke der Küste entlang ist so traumhaft, dass alles wieder gut ist. Das Meer leuchtet wie auf Bestellung, der Himmel ist blitzblau und die Luft warm. Ich liebe es.

Der Herr Franzose hat sich auf den Weg nach Zakynthos gemacht, er will dort auf einem Schiffswrack campen und mir ein Bild schicken, falls es klappt. Und ich sitze nun wieder mal am Hafen von Patras. Hier ist es wesentlich wärmer als in den Bergen und die Luft ist mild und salzig. Die Sonne geht mit allen Farben des Malkastens um sich klecksend im Meer unter und das Gewitter, das an sich hätte kommen sollen, steht irgendwo in Richtung Sonne und färbt den Himmel mit. Das Ticket habe ich  und Carissima hat wieder ein hübsches Schild für die Windschutzscheibe bekommen. Wie steht unsere Rechnung, fragt sie. 22 zu eins, sage ich, wenn ich mich nicht verzählt habe. Ist doch gut, sagt sie. Finde ich auch, sage ich. Und dass ich keinen Bock auf zu Hause habe, weil ich sie nicht einwintern will, weil auf Sputnik noch keine Winterreifen sind, weil es zu schneien beginnt und ich kein Holz eingekauft habe und überhaupt. Sie erzählt, dass sie auch keinen Bock auf die Garage hat und dass es im Süden schön ist und dass wir Pläne machen müssen, wohin wir das nächste Mal fahren. Es ist ein Abend der Bekenntnisse.

Ich denke an meine eigene Türkeireise, im Dezember 2012. Völlig aus dem Häuschen ob des Verlusts meiner Arbeitsstelle habe ich damals spontan eine Woche Türkei gebucht. 2012 war alles noch ein wenig einfacher in Sachen Türkei – das Visum bekam man nach der Ankunft direkt am Flughafen. Seit 2014 ist die Sache anders, man muss, so wie auch für die USA oder Kanada, das Visum für die Türkei digital beantragen und dabei einige Dinge beachten. Über oben stehenden Link kann man sich genau kundig machen, was alles zu tun ist.

Wer mit seinem Hund in die Türkei reist, möge beachten, dass nicht die Einreise das knifflige ist, sondern die Ausreisen. Denn dann führt man ein Tier aus dem EU Ausland in die EU ein! HIER gibt es alle Hinweise zum Reisen mit Hund in die Türkei – und auch wieder zurück.

 

 

Bei der Security Control zickt Carissima und will nicht mehr anspringen. Kein Wunder, wer will sich schon von einem Fremden durchsuchen lassen. Aber nach einem kurzen Husten geht es dann wieder und wir fahren auf das riesen-, riesengroße Schiff. Die Nicht-Lkw werden auf das unterste Deck gelotst, wo ein Mann wartet, der einweist. Er ist super. Fixiert Dich mit den Augen und gibt Anweisungen, sodass die Fahrzeuge rückwärts eingeparkt so eng stehen, dass man kaum mehr die Tür aufbringt. Er hypnotisert. Macht, dass man sich nicht mehr in den Rückspiegel schauen traut, sondern nur noch in seine Augen, mit denen er jeden Zentimeter rückwärts kontrolliert. Der Mann weist ein Fahrzeug nach dem anderen ein und scheint einen Riesenspaß dabei zu haben. Ich bedanke mich sehr artig und lasse Carissima in einer schmalen Ecke zurück, hier ist definitiv das Schiff zu Ende. Oder das Parkdeck, wie man’s nimmt. Mich beruhigt das. Sollte sie in Venedig nicht mehr anspringen, kann ich warten, bis alle anderen weg sind und dann den Einweiser fragen, ob er uns anschiebt.

Ich komme mir vor wie die Königin von England. Ich habe eine Kabine gebucht. Alle anderen coolen traveller, mit denen ich gerade noch am Parkplatz geredet habe, breiten ihre Schlafsäcke in den Gängen aus. Ich habe eine Kabine. Und die ist riesengroß, mit eigenem Badezimmer, echten Betten und Bettwäsche und überhaupt. Sogar ein Kühlschrank ist da. Meine Zimmernachbarin – denn die Einzelkabine war dann doch ein wenig zuviel Luxus, finanziell gesehen – ist saugrantig, sitzt mit den Schuhen an den Füßen am Bett und sieht fern. Mir ist’s rechtschaffen egal und ich mache mir das letzte Bier auf, dass der Blues zurück gelassen hat.

 

 

Als ich aufwache, haben wir den Hafen von Igoumnitsa verlassen und die Küste Albaniens leuchtet im Morgenlicht. Ein Schiff, so groß wie unseres, fährt an uns vorbei und der Blick aus dem Fenster ist umwerfend, trotz aller Wassertröpfchen auf den Scheiben. Oh wie wunderbar ist diese Außenkabine! So wunderbar. Das zweite Bett in der Kabine ist leer und der Koffer samt Mitbewohnerin weg. Sie ist offenbar in Igoumenitsa ausgestiegen. Ich habe eine Kabine ganz für mich allein! Kurz springe ich auf und tanze zwischen den Betten, dann holt mich der Schlaf wieder ein und ich träume von herabgebrannten Lagerfeuern, dem Duft von Zimt und Jaques Dutrox. Abenteuer.  Mit der Musikbegleitung eines gottbegnadeten Chansoniers. Was das wohl zu bedeuten hat.

 


Ich wache auf, weil es an der Kabinentür klopft. Verschlafen schleiche ich zur Tür und öffne. Draußen steht der Blues. Er zittert am ganzen Körper. Musste an Deck schlafen, grummelt er, die Haare noch zerzauster als sonst. Und hier ist überall Rauchverbot. Unschlüssig steht er an der Schwelle. Ich habe plötzlich Kopfschmerzen. Komm‘ erst mal rein, sage ich, das Bett ist ja jetzt frei. Ohne ein weiteres Wort schlüpft er aus Jeans und T-Shirt und kuschelt sich in das noch unbenützte Bett der Grantlerin. Ich gehe duschen, in der Hoffnung, dass die Kopfschmerzen damit verschwinden, wasche Jeans und T-Shirt, hänge sie auf und gehe an Deck auf einen Kaffee.

Jetzt bin ich also soweit, dass ich meinem Blues die Wäsche wasche. Na toll. An Deck warten schon meine Lastwagenfahrerfreunde von gestern Abend, einer davon meinte, es sei eine weise Idee, alleine zu reisen, er mache das ja auch irgendwie, dauernd auf Achse sein. Aber nur, damit er nicht zu Hause bei seiner Frau sein müsse. Das brachte ihm schallendes Gelächter seiner Kameraden ein und mir ein sehr schüchternes Lächeln des einzigen Fahrers, der nie was sagt. Auch heute strahlt er mich an, ohne was zu sagen.

Ich trinke Kaffee, sehe nach dem Blues, der tief und fest schläft und gehe an Deck, um zu lesen. Man sieht immer noch eine Küste und als ich mein Telefon einschalte und fünf albanische Anbieter bekomme, beschließe ich, dass das wohl immer noch die albanische Küste ist. Man sieht noch ein kleines Inselchen am Ende eines Begkammes, dann drehen wir ab, hinaus auf das offene Meer. Für viele, viele Stunden ist um uns nur das große Blaue. Als ich die Durchsage höre, dass die Restaurants nun geöffnet sind, beschließe ich, so richtig essen zu gehen, also im richtigen Retaurant, nicht Selbstbedienung. Es ist zauberhaft. Ich sitze am Fenster, draußen das Meer. Echte Blumen am Tisch und ein Kellner, der sich Zeit nehmen kann, denn ich bin der einzige Gast.

 

 

Im Hafen von Venedig: der Lotse geht an Bord. Und der Nebel auch.

 

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